Die strafrechtliche Verfolgung kurdischer Aktivist:innen begann Ende der 1980er Jahre entweder nach § 129a StGB (Mitgliedschaft in einer „terroristischen“ Vereinigung), oder ab Mitte der 1990er Jahre nach § 129 StGB (Mitgliedschaft in einer „kriminellen“ Vereinigung). Der Bundesgerichtshof entschied im Oktober 2010, nach türkischen linken und tamilischen Organisationen, auch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als eine „terroristische Vereinigung im Ausland“ gem. § 129a/b einzustufen. Hunderte politisch aktiver Kurdinnen und Kurden sind seit Ende der 1980er Jahre von deutschen Strafverfolgungsbehörden angeklagt und von Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte verurteilt worden.
In den meisten 129b-Verfahren geht es nicht um individuelle Straftaten von Angeklagten, sondern um deren politische Gesinnung. Grundlage ist das umstrittene Betätigungsverbot der PKK von 1993 und die laut § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) zur strafrechtlichen Verfolgung von Funktionsträger:innen. Eine generelle Ermächtigung hat das Ministerium am 6. September 2011 ausgestellt, diese wird bis heute automatisch gegen diesen Personenkreis angewendet. Jederzeit können auch Einzelermächtigungen erteilt werden. Von abgeschlossenen bzw. laufenden §129a/b-Verfahren betroffen sind nach derzeitigem Stand und Kenntnis von Azadî e.V. 59 Aktivist:innen; acht Kurden befinden sich aktuell in deutschen Gefängnissen in Straf- bzw. U-Haft.
Strafverfahren im Saarland
Im Zuge von Ermittlungsverfahren nach §129a/b gegen vier Aktivisten fanden am 18. Oktober 2022 in deren Privatwohnungen im Saarland sowie im Kurdischen Gesellschaftszentrum Saarbrücken e.V. Durchsuchungen statt. In diesen Fällen hat das Bundesjustizministerium Einzelermächtigungen erteilt. Außerdem wurde am 24. Oktober 2022 auf Veranlassung der deutschen Strafverfolgungsbehörden per Europäischem Haftbefehl eine Kurdin auf dem Flughafen Brüssel fest- und in Auslieferungshaft genommen. Sie war auf dem Rückweg von Rojava in ihren Heimatort im Saarland. Ihr wird vorgeworfen, sich an Aktivitäten der PKK-Jugendorganisation beteiligt zu haben (§129b StGB).
Prozesstermine im November
Der Rechtshilfefonds Azadî e.V. macht auf die folgenden laufenden Prozesse aufmerksam und weist darauf hin, dass sich alle Termine kurzfristig ändern können:
Mirza B., OLG München (Prozesseröffnung 13.5.2022):
Freitag, 4.11.: Urteilsverkündung
Die Verhandlung beginnt um 11:00 Uhr vor dem OLG München in der Nymphenburger Straße 16.
Mazlum D., OLG Stuttgart (Prozesseröffnung 21.2.2022):
Dienstag, 8.11.
Donnerstag, 10.11.
Dienstag, 15.11. und
Donnerstag, 17.11.
Die Verhandlungen finden jeweils ab 9:15 Uhr vor dem OLG Stuttgart-Innenstadt, Olgastraße 2, statt.
Ali E., OLG Stuttgart (Prozesseröffnung 2.11.2022):
Mittwoch, 2.11. (Sitzungssaal 3, EG)
Dienstag, 15.11. (Sitzungssaal 18, U1)
Donnerstag, 17.11. (Sitzungssaal 18, U1)
Montag, 21.11. (Sitzungssaal 18, U1)
Donnerstag, 24.11. (Sitzungssaal 3 EG)
Dienstag, 29.11. (Sitzungssaal 18, U1)
Mittwoch, 30.11. (9:00 Uhr)
Die Verhandlungen finden - mit Ausnahme des 30.11. - jeweils um 9:30 Uhr vor dem OLG Stuttgart-Innenstadt in der Olgastraße 2 statt.
Merdan K., OLG Stuttgart (Prozesseröffnung 17.3.2022):
Donnerstag, 3.11.
Dienstag, 8.11.
Donnerstag, 10.11.
Donnerstag, 17.11.
Dienstag, 22.11.
Donnerstag, 24.11. und
Dienstag, 29.11.
Alle Verhandlungen beginnen um 9:30 Uhr vor dem OLG Stuttgart-Stammheim, Asperger Str. 47.
Abdullah Ö., OLG Frankfurt/M. (Prozesseröffnung 11.4.2022):
Montag, 21.11.
Dienstag, 22.11. und
Mittwoch, 23.11.
Alle Verhandlungen beginnen um 9:30 Uhr vor dem OLG Frankfurt/M., Saal 223, Konrad-Adenauer-Str. 20.
Prozess gegen Veli T. wegen angeblicher DHKP/C-Mitgliedschaft
Darüber hinaus weist Azadî e.V. auch auf die Verhandlungstermine im §129b-Verfahren gegen Veli T. wegen angeblicher DHKP/C-Mitgliedschaft in Düsseldorf hin:
Montag, 7.11.
Dienstag, 8.11.
Donnerstag, 17.11.
Freitag, 18.11.
Montag, 28.11. und
Dienstag, 29.11.
Alle Verhandlungen beginnen um 11:00 Uhr in Saal A01 vor dem OLG Düsseldorf-Innenstadt in der Cecilienstraße 3.
Titelfoto: Antifa Report Pfalz