„Wenn nicht kurdische Deutschrapper, wer dann?“

Ein Gespräch mit dem Rapper Diyar Gerillya über Identität, Widerstand und Musik als politisches Ventil.

Diyar Gerillya

Diyar Gerillya ist nicht einfach nur ein Rapper – er ist eine Stimme für viele, die im öffentlichen Diskurs kaum vorkommen. Als Kurde aus Offenbach bringt er Themen in den deutschsprachigen Rap, die selten einen Platz in den Mainstream-Medien finden. Der Rapper, der seine Wurzeln in Mêrdîn (tr. Mardin) und Amed (Diyarbakır) hat, macht Musik, welche kein Produkt des Mainstreams, sondern eine Form des Widerstands ist. Zwischen Beats, Sprache und Herkunft hat er eine Bühne gebaut, auf der nicht nur er selbst spricht – sondern ein ganzes Volk gehört werden will. Mit ANF sprach er über seine musikalische Mission, politische Verantwortung und darüber, warum Offenbach für ihn Fluch und Segen zugleich ist.

Diyar, du bist in der deutschen Rap-Szene aktiv und machst kein Geheimnis daraus, dass du Kurde bist. Warum ist dir das so wichtig?

Für mich ist es sehr wichtig zu erwähnen, dass ich Kurde bin – auch als Deutschrapper. Meine Herkunft ist ein Teil meiner Identität, meiner Geschichte, meiner Familie. Das einfach auszublenden, käme mir nie in den Sinn.

Deine Songs behandeln häufig kurdische Themen. Was genau willst du mit deiner Musik erreichen?

In meinen Rapsongs mache ich auf Themen rund um Kurd:innen und Kurdistan aufmerksam – Themen, die viele vielleicht noch nie gehört haben, weil sie in den Medien kaum oder gar nicht präsent sind. Der Mainstream hat einfach kein Interesse daran, über unsere Geschichten zu berichten. Wenn auch nur ein kleiner Kreis durch meine Texte etwas über Kurdistan erfährt, habe ich schon etwas erreicht.

Hast du wegen dieser Themen schon negative Erfahrungen gemacht?

Klar. Viele haben mir abgeraten, überhaupt darüber zu rappen – auch, weil ich Drohungen von Faschist:innen bekomme. Aber ich frage mich immer: Wenn nicht ich, wer dann? Ich bekomme nach jedem Release auch sehr viel positives Feedback, das motiviert mich enorm. Der Hass von Faschist:innen lenkt mich nicht ab – von Beleidigungen bis zu Morddrohungen war alles dabei. Aber das sind für mich nur Internet-Rambos. Bis heute hat niemand vor mir gestanden und mir ins Gesicht gedroht.


Wie kam es überhaupt dazu, dass du begonnen hast, über diese Themen zu schreiben?

Ich habe mit 17 das erste Mal gerappt – und war auch mit 17 das erste Mal in der Heimat. Davor hatte ich nie das Interesse, nach Kurdistan zu reisen. Aber als ich dort war, war ich sehr glücklich. Ich habe gesehen, wo meine Wurzeln liegen. Und ehrlich: Schon davor war ich innerlich mit der Heimat verbunden. Ich habe meine Mutter weinen gesehen, wenn etwas in Kurdistan passiert ist. Ich habe kurdisches Fernsehen geschaut, mit Verwandten und Bekannten gesprochen, das alles hat mich geprägt. Ich habe schon damals hinterfragt, was da passiert.

Was bedeutet es für dich, über Politik in deiner Musik zu sprechen?

Ich sehe es als meine Pflicht – als Musiker, als Kurde, als Mensch. Ich habe das Ventil, ich muss es nutzen. An alle Kurd:innen mit Reichweite: Wenn ihr das nicht nutzt, seid ihr für mich keine echten Kurd:innen. Das ist hart, ich weiß. Aber es ist Fakt. Ich könnte mir damit Feinde machen, aber das muss gesagt werden.

Gab es Songs, bei denen dir das besonders wichtig war?

Ja, auf jeden Fall. Vor vier oder fünf Jahren habe ich einen Song über Rojava gemacht. Mein Ziel ist aber, einen Song zu schreiben, in dem ich über all das Leid rappe, das uns Kurd:innen seit über 100 Jahren widerfährt – über Şengal 2014, über das Dersim-Massaker 1938, über alles. 

Meine Songs sind Identitätssongs. „Ez Kurdim“ etwa betont meine Herkunft. „Mein Fluch“ (Min Go Dilo) spricht emotionale und persönliche Themen an. Und „Dieser Kurde“ – das ist wohl mein viralster Song. Ein Track, der die kurdische Kultur und Identität in den Mittelpunkt stellt.

Du warst zuletzt auch beim Newroz-Fest in Frankfurt dabei. Wie war das für dich?

Ja, ich habe meinen Song „APOCI“ dort zum ersten Mal live performt. Das war ein starkes Gefühl. Es hat sich angefühlt wie ein kollektives Ausatmen – so viele Kurd:innen an einem Ort, unsere Kultur sichtbar, unsere Stimmen laut.

Du sagst, kurdische Themen kommen im deutschen Rap zu kurz. Wie siehst du die Szene generell?

Ich kenne viele Rapper:innen, die sich für Palästina einsetzen – und das ist gut so! Aber sehr wenige machen das für Kurdistan. Die Rapszene spricht oft über das, was gerade „Hype“ ist. Ich finde, ein kurdischer Rapper oder eine kurdische Rapperin muss nicht in jedem Song über Kurdistan sprechen – aber ab und zu schon. Alles andere wäre ignorant.

Wie stehst du zu türkischen Hörer:innen oder Kolleg:innen?

Ich habe nichts gegen das türkische Volk. Es geht mir nicht um Einzelpersonen, sondern um Regierungen, die unterdrücken. Ich als Kurde verstehe das Leid der Palästinenser:innen – aber warum versteht uns niemand? Ich sage: Frieden für alle Völker.

Wer hat dich auf deinem Weg besonders geprägt?

Mein Bruder hat mir vieles beigebracht, auch über Politik. Und durch Benefizkonzerte habe ich gelernt, wie man mit Musik Aufmerksamkeit schaffen kann. Azad zum Beispiel hat so ein Konzert organisiert – ein Vorbild. Es gibt zu viele Rapper:innen, die Freiheit für andere fordern, aber Kurdistan nie erwähnen. Das ist schade.

Wie war dein Aufwachsen in Offenbach am Main?

Offenbach ist für mich ein Fluch und ein Segen. Es ist mein Geburtsort, mit vielen schönen Erinnerungen – aber auch mit negativen, wie falschen Freundschaften oder schlechtem Einfluss. Das Gute ist: In Offenbach kannst du sein, wie du bist. Niemand juckt’s, wie du rumläufst. Und du triffst so viele Kurd:innen, kannst sie auf der Straße auf Kurdisch grüßen – das fühlt sich manchmal wie Kurdistan an.

Was wünschst du dir für die Zukunft – für dich, für Kurdistan, für die Musik?

Ich wünsche mir, dass wir diese Sichtbarkeit, die wir langsam bekommen, gut nutzen. Dass wir unsere Stimmen weiter erheben – in der Musik, in den Medien, auf der Straße. Ich wünsche mir, dass Kurd:innen nicht mehr um Sichtbarkeit betteln müssen. Und dass meine Musik vielleicht noch mehr Menschen erreicht, die sonst nie von uns gehört hätten.