Türkei muss kurdischem Politiker Entschädigung zahlen

Der kurdische Politiker Tuncer Bakırhan war knapp drei Jahre zu Unrecht in der Türkei in Untersuchungshaft. Der europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Türkei zu Schmerzensgeld verurteilt, weil die Vorwürfe eindeutig politischer Natur waren.

In einer demokratischen Gesellschaft wäre die Inhaftierung des kurdischen Bürgermeisters Tuncer Bakirhan nicht notwendig gewesen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag entschieden und die Türkei wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention zu Schmerzensgeld verurteilt.

Der frühere Bürgermeister der kurdischen Stadt Sêrt (türk. Siirt), Tuncer Bakırhan, ist im Oktober 2020 in einem neu aufgerollten Prozess in der Türkei wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu zehn Jahren und zehneinhalb Monaten Haft verurteilt worden. Er war im März 2014 als Kandidat der Partei der demokratischen Regionen (DBP), der Schwesterpartei der HDP (Demokratische Partei der Völker), zum Ko-Bürgermeister von Sêrt gewählt worden. Im November 2016 wurde er auf Anordnung des Innenministeriums des Amtes enthoben und zusammen mit zahlreichen weiteren Politiker:innen, darunter auch die ehemaligen Vorsitzenden der HDP, Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, wegen Terrorvorwürfen verhaftet. Das Verfahren gegen ihn dauert noch an, er wurde nach knapp drei Jahren aus der Haft entlassen.

Wie der EGMR in seinem heutigen Kammerurteil einstimmig feststellt, hat die Türkei mit der Inhaftierung von Tuncer Bakırhan gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit und die Meinungsfreiheit verstoßen. Der Gerichtshof stellte fest, dass der Beschwerdeführer zwei Jahre und acht Monate in Untersuchungshaft war und dafür keine ausreichenden Gründe vorlagen. Bakırhan sei als Vertreter einer Oppositionspartei zum Bürgermeister gewählt worden und die Vorwürfe gegen ihn seien „eindeutig politischer Natur“, so der EGMR:

„In Anbetracht des grundlegenden Charakters der freien politischen Debatte in einer demokratischen Gesellschaft konnte das Gericht keinen zwingenden Grund erkennen, der die Schwere der fraglichen Maßnahme rechtfertigt. Die Tatsache, dass der Kläger, ein gewählter Volksvertreter, wegen seiner politischen Aktivitäten für einen solchen Zeitraum inhaftiert wurde, stellte einen Eingriff dar, der in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den verfolgten legitimen Zielen stand. Daraus folgt, dass die fragliche Inhaftierung in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen wäre.“

Die Türkei wurde zur Zahlung von 10.000 Euro Entschädigung und 3000 Euro Kostenausgleich an Tuncer Bakırhan verurteilt.