Am Dienstag findet die Trauerfeier für Evîn Goyî, Mir Perwer und Abdurrahman Kızıl im Pariser Vorort Villiers-le-Bel statt. Daran anschließend werden die Toten nach Kurdistan überführt. Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans e.V. (KON-MED) ruft die kurdische Exil-Community in Deutschland zur Teilnahme an der Verabschiedung auf. „Es ist unsere Pflicht gegenüber den Gefallenen, ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Wir sind ihnen tief verbunden und das wollen wir zum Ausdruck bringen“, erklärt der Dachverband in einer Mitteilung.
Evîn Goyî, die mit bürgerlichem Namen Emine Kara hieß und Exekutivratsmitglied der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) war, wurde am 23. Dezember zusammen mit dem kurdischen Musiker Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und dem langjährigen Aktivisten Abdurrahman Kızıl bei dem Anschlag auf das Kulturzentrum „Ahmet Kaya“ in Paris erschossen. Drei weitere Menschen wurden bei dem Angriff verletzt. Der Täter William Mallet befindet sich wegen mehrfachem Mord und Mordversuch in Untersuchungshaft, die französische Justiz ermittelt in Richtung Rechtsextremismus.
Die Geschichte hat sich wiederholt
Die kurdische Gemeinschaft dagegen sieht in dem Anschlag einen geplanten Terrorakt und eine Fortsetzung des Massakers vom 9. Januar 2013, bei dem die kurdischen Revolutionärinnen Sakine Cansız (Sara), Fidan Doğan (Rojbîn) und Leyla Şaylemez (Ronahî) von einem türkischen Auftragsmörder erschossen worden waren. Der Tatort von damals liegt wie das nun angegriffene kurdische Gemeindezentrum im zehnten Pariser Bezirk, beide Gebäude trennen gerade mal 1500 Meter. Für den Dreifachmord ist bis heute niemand bestraft worden, der inhaftierte Täter starb 2016 unter mysteriösen Umständen kurz vor Prozessbeginn. Das Attentat wird bis heute von Frankreich als Staatsgeheimnis behandelt.
„Niemand kann uns glauben machen, dass diese beiden Massaker zufällig und voneinander unabhängig an ein und demselben Ort geschehen sind. Wir wissen, dass sich die Geschichte innerhalb von zehn Jahren wiederholt hat. Der türkische Staat verübte bisweilen ganz offen vor den Augen der Welt Massaker an der kurdischen Bevölkerung, auch außerhalb ihrer Heimatgebiete. Wir sind uns sicher: Hätte die französische Justiz das Massaker von 2013 aufgedeckt, wäre der Anschlag von 2022 nicht geschehen. Auch sind wir von der Existenz gewisser Cliquen innerhalb des französischen Staates überzeugt, die an diesen Massakern beteiligt sind. Wir fordern die Justiz Frankreichs auf, diese schmutzigen Strukturen endlich zu zerschlagen und für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen”, erklärt KON-MED.
Kritik an Europas Appeasement-Politik
In der Mitteilung kritisiert der Dachverband eine „beispiellose Appeasement-Politik” Europas gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, seiner „faschistisch und genozidär motivierten Verbrechen” und seiner europaweit installierten Gegengesellschaft. „Die Politik der EU ist zahnlos”, betont KON-MED. „Andernorts würden Sanktionen nicht lange auf sich warten lassen, wenn in der Hauptstadt eines Mitgliedstaates selbsternannte Feinde eines Diktators ermordet würden. Doch da die EU auf Gedeih und Verderb von Erdogan abhängig ist, können Massaker an kurdischstämmigen Menschen offensichtlich mühelos in Europa geschehen. Das ist beschämend für die Menschheit.”
Der Dachverband glaubt nicht, dass die Anschläge von Paris unabhängig von der Kriminalisierung kurdischer Einrichtungen in Europa seien. Organisierte Kurdinnen und Kurden, die sich für Demokratie und Selbstbestimmung einsetzen, würden nahezu überall mit einem „Terror-Stigma“ versehen, ganz besonders aber in der Bundesrepublik. Das habe auch der jüngste Repressionsschlag deutscher Behörden gegen kurdische Strukturen in Bayern und Niedersachsen gezeigt, die mit der Verhaftung des langjährigen Aktivisten Tahir Köcer vorerst endete.
„Wir fordern ein Umdenken und Umlenken in der deutschen ‚Kurdenpolitik’. Statt der Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden und Repression à la Erdogan bedarf es einen entschlossenen Kampf gegen die terroristischen Aktivitäten des türkischen Staates in Europa. Wir alle wissen, dass der türkische Staatsterror bis nach Deutschland reicht und in der Bundesrepublik lebende Politikerinnen und Politiker aus dem kurdischen Kontext auf sogenannten Todeslisten der Führung von Ankara geführt werden. Die Bundesregierung sollte diese terroristischen Pläne offenlegen und juristisch verfolgen. Stattdessen zeigt sie sich ‚besorgt’, setzt ihre Politik der Unterdrückung gegen die kurdische Community jedoch fort.”
Justiz darf das Gewissen der Gesellschaft nicht verletzen
Die Repression werde die Exil-Gemeinschaft Kurdistans aber nicht davon abhalten können, auf demokratische Weise Rechenschaft für die Massaker an Kurdinnen und Kurden einzufordern, betont KON-MED. Mit Blick auf Paris mahnt der Dachverband: „Die Justiz einer Demokratie darf sich nicht Handlungen erlauben, die das Gewissen der Gesellschaft verletzen.”