Evîn Goyî: 34 Kampfjahre und die Zeit in Rojava

Weggefährt:innen von Evîn Goyî berichten, wie sie die in Paris ermordete Revolutionärin kennenlernten und in ihrer Zeit in Rojava erlebten.

Evîn Goyî ist im Dorf Hilal in der Botan-Region in Nordkurdistan auf die Welt gekommen und hat sich 1988 im Alter von 14 Jahren der PKK angeschlossen. Sie hat eine führende Rolle in der Frauenrevolution von Rojava eingenommen und ist im Kampf gegen den frauenfeindlichen IS verwundet worden. Am 23. Dezember 2022 wurde Evîn Goyî, die mit bürgerlichem Namen Emine Kara hieß und Exekutivratsmitglied der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) war, zusammen mit dem kurdischen Musiker Mîr Perwer und dem langjährigen Aktivisten Abdurrahman Kızıl bei einem gezielten Anschlag in Paris erschossen.

In Rojava haben Weggefährt:innen gegenüber ANF von Evîn Goyî erzählt. Cahîd Hesen hat Evîn Goyî in Başûrê Kurdistanê (Nordkurdistan) kennengelernt. Aus dieser Zeit berichtet er: „Ich hatte 2011 kurz die Gelegenheit, Hevala Evîn kennenzulernen. Anfang 2016 trafen wir uns in Rojava wieder, wir waren in der gleichen Leitung. Sie hatte zweifellos eine führende Rolle in Rojava und der Revolution in Nord- und Ostsyrien und arbeitete bei TEV-DEM und in den Kommunen und Räten. Weil sie eine sehr soziale Genossin war, wurde sie von der Bevölkerung von Rojava sofort ins Herz geschlossen. Das galt nicht nur für das kurdische Volk, sondern auch für die arabische und die anderen Bevölkerungsgruppen. Sie übernahm eine Führungsrolle in Städten und Dörfern und leistete großen Einsatz beim Aufbau der Kommunen und Räte. Sie organisierte die Menschen und leistete auch viel für die gesellschaftlichen Verteidigungskräfte.“

Cahîd Hesen: „Hevala Evîn war eine soziale Genossin“

Gleichzeitig sei Evîn auch für ihre Bescheidenheit bekannt gewesen, sagt Cahîd: „Hevala Evîn war eine Vorreiterin. Sie konnte gut Dialoge führen und zeigte viel Verständnis. Im Umgang mit Menschen hatte sie fast nie Probleme. Sie konnte zuhören und versuchte immer, ihr Gegenüber zu verstehen.“

Evîn Goyî habe sich ständig mit der Frage beschäftigt, wie die Revolution von Rojava weiterentwickelt werden kann, so ihr Kampfgefährte Cahîd Hesen: „Sie dachte viel darüber nach, wie Rojava zu einem Vorbild für ganz Kurdistan werden und zur Demokratisierung von Syrien beitragen kann. Dafür arbeitete sie ununterbrochen und sie war dabei bis zum letzten Moment herzlich, enthusiastisch und voller Freude.“

Ihr Kampfmarathon habe sich über 34 Jahre erstreckt, fährt Cahîd fort: „Sie hat ihr Leben dem Befreiungskampf gewidmet und es war ein atemloser Kampf. Sie war eine große Vorreiterin der Rojava-Revolution und des Frauenbefreiungskampfes. Ende 2018 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand, aber sie ließ sich dadurch nicht bremsen und behielt ihr Arbeitstempo bei. Hevala Evîn hat für alle vier Teile Kurdistans gekämpft. Sie war ein Vorbild für Frauen in Kurdistan und im Nahen Osten und ist zum Widerstandssymbol für alle Völker geworden, die für Demokratie und Freiheit kämpfen.“

Cahîd Hesen fordert, dass Frankreich den Anschlag vom 23. Dezember restlos aufklärt. Da jedoch bereits das Attentat auf Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 als Staatsgeheimnis eingestuft und niemand dafür bestraft wurde, hält er es für denkbar, dass die Hintermänner auch dieses Mal nicht aufgedeckt werden: „Wenn das Massaker vertuscht wird, wird das kurdische Volk Frankreich als Mittäter betrachten. Wir werden dafür kämpfen, dass es nicht vertuscht werden kann.“

Kelsuma Eyup: „Evîn machte uns klar, was richtig und was falsch ist“

Kelsuma Eyup hat Evîn Goyî 2018 in Dirbêsiyê kennengelernt. „Sie hat ständig Versammlungen einberufen und die Menschen waren ihr sehr verbunden. Sie war eine wertvolle Freundin und wurde geliebt und respektiert. Sie hatte die Fähigkeit, mit Erwachsenen eine Erwachsene zu sein, mit Jugendlichen eine Jugendliche und mit Kindern ein Kind. Hevala Evîn zeigte Wege auf und war fröhlich. Sie zeigte große Anstrengungen, damit wir nicht vom richtigen Weg abkommen, und sie hatte die Stärke, einem klar zu machen, was richtig und was falsch ist“, erzählt Kelsuma.

Evîn sei häufig bei ihr zu Besuch gewesen: „Bei uns war sie so entspannt, als ob es ihre eigene Wohnung sei. Wir haben ihr Haus und Herz geöffnet. Unser Haus ist aus Lehm gebaut und Hevala Evîn liebte es. Sie sagte, dass sie hier Luft schöpfen kann, und sie erzählte von ihrem eigenen Dorf. Meine Kinder waren damals noch klein und Evîn kam sehr gut mit ihnen zurecht. Sie hat bei allen fünf Kindern einen großen Eindruck hinterlassen. Sie mochten sie und fragten immer, wann sie wieder kommt.“

Zuletzt sagt Kelsuma: „Die Menschen haben Evîn schnell ins Herz geschlossen und wir sind traurig, dass sie gefallen ist. Als ich davon gehört habe, sind unsere gemeinsamen Tage wie ein Film vor meinen Augen abgelaufen. Es war für alle ein großer Schock. Es macht uns traurig und hat uns verletzt, aber wir werden ihren Kampf fortsetzen, damit ihre Arbeit nicht verloren geht.“

Evîn Seydo: „Hevala Evîns Mut machte auch uns Mut“

Evîn Seydo lernte Evîn Goyî 2017 kennen, als diese sie besuchte: „Sie lachte viel und redete sehr natürlich. Wenn sie nicht zu uns kam, gingen wir in das Haus, in dem sie sich gerade aufhielt. Wir hörten ihr gerne zu, sie gab uns Kraft. Hevala Evîn hat großen Anteil daran, dass Frauen jetzt stark sind und Widerstand leisten. Ihr Mut machte uns Mut und ihr Einsatz wies uns den Weg. Sie konnte gut reden und die Menschen beeinflussen und aktiv werden lassen. Wir haben versprochen, dass wir ihren Kampf fortsetzen. Unsere Kinder wachsen mit diesem Kampf auf. Sie mochte und umarmte uns und ihre Liebe ist unseren Herzen. Mit dieser Liebe werden wir unsere Kinder auf die Zukunft vorbereiten.“

Mihemed Xelef: „Bei Evîn hast du gefunden, was du gesucht hast“

Mihemed Xelef hat drei Jahre zusammen mit Evîn Goyî verbracht und erzählt: „Sie redete nicht viel, ihr Schweigen hat uns etwas gelehrt, es war lehrreich. Sie hat eine ideelle Verbundenheit im Volk geschaffen. Wir waren ihr gegenüber entspannt, niemand wich ihr aus. Sie hatte die Fähigkeit, die Menschen an die Partei zu binden und das Leben anziehend zu machen. Bei ihr hast du gefunden, was du gesucht hast.“

Mihemed sagt, dass Evîn Goyî die Linie der freien Frauen repräsentiert hat: „Die Revolution von Rojava wird von Frauen angeführt und eine dieser Vorreiterinnen war Hevala Evîn. Mit ihr ist eine weitere führende Frau angegriffen worden. Das Schweigen der internationalen Mächte weist auf ihre Mittäterschaft bei dem Massaker hin. Wir richten keine Aufrufe an diese Mächte, sondern an die Völker, die für Demokratie und Freiheit kämpfen: Niemand sollte zu den Morden an Frauen wie Sara und Evîn schweigen. Wer für Demokratie kämpft, darf zu dem Massaker nicht schweigen.“