Gemeinsam Kämpfen: Trauer und Wut zu Widerstand!

Die in Paris ermordete Evîn Goyî (Emine Kara) verkörperte die Realität der kurdischen Bevölkerung, in vielen Arten und Weisen auf der Welt kämpfen zu müssen. „Gemeinsam Kämpfen“ erklärt, ihren Kampf weiterzuführen: „Trauer und Wut zu Widerstand!"

Die feministische Organisierung „Gemeinsam Kämpfen“ hat eine Erklärung im Gedenken an die Ermordeten von Paris abgegeben und weist auf den Zusammenhang mit der internationalen Kriminalisierung des kurdischen Willens nach Demokratie und Selbstbestimmung hin. In der Erklärung heißt es:

Am 9. Januar 2013 wurden die drei kurdischen Politikerinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez (Sara, Rojbîn und Ronahî) in Paris vom türkischen Geheimdienst ermordet. Am 23. Dezember 2022 - kurz vor dem zehnten Jahrestag - wurden im Kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya in Paris drei kurdische Aktivist:innen erschossen: Emine Kara, Mîr Perwer und Abdurrahman Kizil. Weitere Personen wurden schwer verletzt. Zum Zeitpunkt der Tat sollte im kurdischen Kulturverein ein Treffen der Frauenbewegung zur Vorbereitung der jährlichen Gedenkdemonstration für die drei 2013 ermordeten Frauen stattfinden.

Die 2013 in Paris ermordeten Frauen, wie auch Evîn Goyî, die am 23.Dezember 2022 ermordet wurde, stehen symbolisch für die autonome Frauenorganisierung für Selbstbestimmung und Basisdemokratie. Evîn Goyî trug als Geburtsnamen Emine Kara. Evîn war ihr Name, den sie als Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung annahm. Mit 14 Jahren schloss sie sich 1989 in der Region Botan dem Befreiungskampf an und kämpfte viele Jahre in den Bergen für ein freies Leben und globale Frauenbefreiung. 2014 übernahm sie dann in Rojava Verantwortung im zivilen Bereich. Als der sogenannte Islamische Staat die Ezid:innen im Shengal angriff und Zehntausende nach Rojava flohen, organisierte Evîn als Vertreterin der Selbstverwaltung die Versorgung und Unterbringung der verfolgten Menschen. Aus gesundheitlichen Gründen kam sie 2019 nach Europa. Auch hier übernahm sie Verantwortung und vertrat zuletzt die kurdische Frauenbewegung in Frankreich. Sie verkörpert damit die Realität der kurdischen Bevölkerung, an vielen Punkten und in vielen Arten und Weisen auf der Welt kämpfen zu müssen. Mit ihrer Stärke und Ruhe war Evîn Goyî ein Vorbild für viele Menschen und wird es für immer sein.

Abdurrahman Kızıl hat sich auch in der Diaspora für die Belange des kurdischen Volkes eingesetzt und steht damit für viele weitere aktive Kurd:innen in Europa. Mîr Perwer war ein kurdischer Musiker, der in der Diaspora für seine Lieder bekannt und geschätzt war und der Kulturbewegung TEV-ÇAND angehörte. Er steht damit für die Vielfältigkeit der widerständigen Kultur des kurdischen Lebens. Wir gedenken der Ermordeten in tiefer Verbundenheit!

Es gibt keine rassistischen Einzeltaten

Dass Evîn Goyî, Mîr Perwer und Abdurrahman Kizil Opfer eines rassistischen Einzeltäters sein sollen, ist hanebüchen. Es gibt keine rassistischen Einzeltaten. Sie sind Teil eines faschistischen Systems, welches auf vielen Ebenen, über staatliche Grenzen hinweg – und auch tief in den Staaten selbst verankert – wirkt. Die kurdische Bewegung hat zudem unter anderem mit den Morden in Paris 2013 die Erfahrung gemacht, dass Morde an ihren Vorkämpfer:innen durch staatliche Geheimdienste geplant und durchgeführt werden.

Auch wir sehen diese Morde im Zusammenhang mit der internationalen Kriminalisierung des kurdischen Willens nach Demokratie und Selbstbestimmung. Wir wissen: der türkische Geheimdienst ist in Europa aktiv und die türkische Regierung drängt die europäischen Staaten mit Nachdruck zu immer massiveren Repressionsmaßnahmen gegen die kurdische Gemeinschaft in Europa. Wir erleben die Folgen davon jeden Tag! Am Tag vor den Morden in Paris wurden in Nürnberg und in Hannover die kurdischen Vereinslokale sowie Wohnungen durchsucht und der langjährige Aktivist und Politiker Tahir Köçer, Mitglied des Nationalkongress Kurdistan (KNK) und bis Juni 2021 Ko-Vorsitzender des bundesdeutschen Dachverbandes kurdischer Vereine (KON-MED), festgenommen. Am Morgen des Mordtages in Paris wurden in der Türkei in neun Städten BDP-Büros durchsucht und 14 Politiker:innen, einschließlich dem Ko-Vorsitzenden der DBP, Keskin Bayındır, festgenommen. Am selben Tag entschied ein türkisches Gericht, dass die Vorsitzende der türkischen Ärztekammer, Şebnem Korur Fincancı, für ihre Forderung nach unabhängiger Untersuchung der Chemiewaffeneinsätze des türkischen Militärs in den südkurdischen Bergen weiter in Haft bleibt.

Die organisierte kurdische Gesellschaft und die politischen Ziele von Demokratie, Frauenbefreiung und Ökologie sind die Dornen im Auge der türkischen Regierung und all ihrer Verbündeter auch hier in Europa. Denn sie sind eingebunden in eine politische Philosophie und eine kraftvolle Praxis, die ausstrahlen und die weit über die kurdische Bewegung hinaus aufgegriffen werden. Durch diese Kraft, die international ausstrahlt und aufzeigt, „Eine andere Welt ist möglich", wird sichtbar, dass viele Menschen weiterhin in ihren Herzen spüren, was Menschlichkeit und Hoffnung bedeuten und bewirken kann.

Jin Jiyan Azadî!

Für die Türkei ist dieser durch die kurdische Bewegung und allen voran die PKK ausgelöste gesellschaftliche Aufbruch für Selbstbestimmung gegen koloniale Unterdrückung und genozidale Praxis, für Freiheit, Würde und Demokratie eine Bedrohung. Der türkische Staat zielt daher mit seiner kurdenfeindlichen und faschistischen Politik darauf, diese demokratische, geschlechterbefreienden Realität und Hoffnung zu zerstören. Das ist nicht möglich, denn wo Gewalt und Brutalität waltet, bleibt immer der Widerstand für ein gutes Leben. Die Zeit der umfassenden Krise des Systems von Kapitalismus, Patriarchat und Staat ist eben auch die Zeit, in der sich Frauen und Menschen anderer unterdrückter Geschlechter organisieren und ihren Kampf stärken. Es sind Aufbrüche von feministischen Bewegungen gegen Feminizide, Aufbrüche von indigenen und ökologischen Bewegungen weltweit gegen die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen, Aufbrüche für die Frauenrevolution im Iran, die die Herzen der Welt bewegen und den Kampf nach Freiheit befeuern. Der Slogan „Jin Jiyan Azadî“, welcher vom Vordenker der kurdischen Bewegung, Abdullah Öcalan, ins Leben gerufen wurde, bringt all das zusammen. Der Kampf für das Leben, für die Freiheit der Frauen, für die Freiheit des Lebens selbst! Wir müssen starke Verbindungen knüpfen, uns überall organisieren, autonom als Frauen und Menschen anderer unterdrückter Geschlechter und auch mit allen demokratischen Kräften unserer Gesellschaften.

Die Trauer um unsere Freundinnen und Freunde, die wir heute in Paris und auch an vielen anderen Tagen und Orten verloren haben, ist zu Wut geworden. Wir werden ihren Kampf als den unseren weiterführen und so für immer verbunden sein! Lasst uns die Internationale der Hoffnung zum Leben bringen!

Jin Jiyan Azadî! Im Gedenken an die Ermordeten von Paris: Sara, Rojbîn, Ronahî sowie Evîn Goyî, Mîr Perwer und Abdurrahman Kizil - Şehîd Namirin!