Kommentar: Den Faschismus treffen

In den vergangenen Tagen haben sich zwei Menschen aus Protest gegen die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan selbst verbrannt. Selahattin Erdem bewertet diese Aktionsform im Kontext des antifaschistischen Kampfes.

Für das kurdische Volk waren die Selbstverbrennungen von Bubo Taş und Mehmet Akar einschneidende Erlebnisse. Bubo Taş verbrannte sich in Mêrdîn-Ertuqî und Mehmet Akar an der Stadtmauer von Amed. Bubo Taş war ein Patriot, der in der Zeit des Militärputsches vom 12. September 1980 inhaftiert war und dort Hayri Durmuş kennenlernte. Er lebte als konsequenter Patriot bis zu seinem letzten Atemzug. Mehmet Akar hingegen war das Kind einer Familie, die von Tayyip Erdoğan und Süleyman Soylu betrogen und gekauft wurde und vor der Tür des HDP-Provinzverbands von Amed protestierte, weil „die HDP unser Kind in die Berge verschleppt hat“. Er selbst erklärte, er sei nicht in die Berge gegangen und seine Familie getäuscht worden.

Sowohl der 65-jährige Bubo Taş als auch Mehmet Akar, ein junger Patriot, erklärten, dass sie sich selbst in Brand setzten, um gegen die Isolation auf Imrali zu protestieren. Während Bubo Taş dies per Videobotschaft tat, hinterließ Mehmet Akar einen Brief. Beide erklärten, dass die Isolation auf Imrali und das 22-monatige Ausbleiben von Informationen über die Situation von Abdullah Öcalan unerträglich seien, und riefen alle patriotischen Kurden dazu auf, stärker gegen die Isolation und für die physische Freiheit von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] einzutreten. Ihre Botschaft war also ebenso stark und bedeutsam wie der Mut, den sie bewiesen.

Es besteht kein Zweifel, dass die fraglichen Aktionen eine Fortsetzung der Selbstopferaktionen unter dem Motto „Ihr könnt unsere Sonne nicht verdunkeln“ sind. Dabei handelte es sich um Aktionen, die am 9. Oktober 1998 mit dem Start des internationalen Komplotts begannen. Der AKP/MHP-Faschismus hat die Türkei und Kurdistan heute in die Zeit des Putsches vom 12. September 1980 und des Komplotts von 1999 zurückversetzt. Die Indikatoren sind klar. Die Selbstverbrennungen von Bubo Taş und Mehmet Akar zeigen dies deutlich. Die faschistische AKP/MHP-Diktatur ist Hauptverantwortliche für diese Selbstverbrennungen. Die Menschen werden gezwungen, sich angesichts der faschistischen Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik selbst zu verbrennen.

Der Militärputsch vom 12. September 1980 lebt im AKP/MHP-Faschismus heute ebenso weiter wie das Komplott vom 15. Februar 1999. Es ist ganz klar, dass das Folter- und Isolationssystem von Imrali eine Fortsetzung des internationalen Komplotts ist und auf Vernichtung abzielt. Bei solchen Vernichtungsangriffen wird es immer wieder auch Selbstopferaktionen geben. In dieser Hinsicht sind die Aktionen von Bubo Taş und Mehmet Akar klar und verständlich. Natürlich sind sie auch im gleichem Maße sinnvoll. Ihre Haltung drückt den Höhepunkt revolutionär-patriotischer Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen aus. Sie verkörpert die Existenz und den Freiheitswillen des kurdischen Volkes, der sich in der Realität von Rêber Apo widerspiegelt. Sie ist Ausdruck der Empfindung der größten Gefahr, welcher die Kurdinnen und Kurden durch die Vernichtungshaltung der kapitalistischen Moderne ausgesetzt sind. Diese Haltung ist ein Beispiel von Mut und Opferbereitschaft.

Aktionen werden zur Korrektur des bisherigen Widerstands führen“

Natürlich haben diese Aktionen mit ihrer tiefen Bedeutung die kurdische Revolution und den Patriotismus zutiefst erschüttert. Die Schockwellen, die von diesen Aktionen ausgehen, werden zu einer Weiterentwicklung und Korrektur des bisherigen Widerstands gegen die Isolation auf Imrali führen. Alle werden ihre eigene Haltung angesichts dieser Aktionen neu bewerten, eventuelle Fehler und Unzulänglichkeiten beseitigen und eine aktive Positionierung für die physische Freiheit von Rêber Apo und gegen das mörderische System von Imrali entwickeln.

Statt den Feind zu treffen, treffen wir uns selbst“

Wie der Ko-Vorstand des Exekutivrates der KCK jedoch erklärt hat, sind diese Aktionen aber methodisch problematisch. Wenn man die Aktionen betrachtet, dann soll damit das faschistische System, also der Feind getroffen werden, aber eigentlich treffen wir uns selbst.

Man könnte sagen, dass es sich um eine Methode handelt, die darauf abzielt, das Gewissen der anderen Seite, d.h. des Feindes, zu erweichen, indem man sich selbst trifft. Aber der türkische Staat und das faschistische AKP/MHP-Regime sind kein solcher Feind. Er hat kein Gewissen, an das man appellieren kann. Der türkische Staat und der AKP/MHP-Faschismus sind eine Macht, die ihre Existenz auf der Negation der Kurdinnen und Kurden aufgebaut hat. Sie sieht die vollständige Zerstörung der kurdischen Gesellschaft als ihr wichtigstes Recht an. Daher kann ein solcher Feind nicht erweicht werden. Nur durch die Zerstörung dieser Mentalität und Politik ist es möglich, diesen Feind loszuwerden. Das macht es notwendig, nicht sich selbst, sondern die faschistisch-genozidale Mentalität und Politik anzugreifen.

Diese Tatsache ist verständlich und kann an einer Eigenschaft deutlich verstanden werden. Die Kurdinnen und Kurden sind niemandes Feind und wollen niemandem gegenüber feindselig sein. Das ist eine historische Eigenschaft der kurdischen Gesellschaft. Es ist die entscheidende Eigenschaft der apoistischen Linie, die die freie und gleichberechtigte Koexistenz aller Unterschiedlichkeiten vorsieht. Es ist bemerkenswert, dass sie in den fünfzig Jahren ihres Kampfes niemals ihr eigenes Bestehen in der Vernichtung anderer gesucht und sich auf diese Weise niemanden zum Feind gemacht hat. Dies ist eine Realität der kurdischen Freiheit. Aber nur weil die Kurd:innen so sind, sind nicht alle ebenfalls so. Die Kurdenfeindlichkeit des türkischen Staates und der AKP/MHP-Regierung ist anders und steht den Kurd:innen feindlich gegenüber. Deshalb müssen die Kurd:innen diejenigen, die ihnen feindlich gesinnt sind, genau erkennen und ihre eigene Haltung und ihren Kampf entsprechend entwickeln.

Die Situation draußen nicht mit der in den Gefängnissen verwechseln“

Außerdem darf die Situation draußen nicht mit der Situation in den Kerkern verwechselt werden. Sowohl gegen das faschistische Putschregime vom 12. September als auch gegen den Angriff des internationalen Komplotts führten Revolutionär:innen und Patriot:innen in den Kerkern hauptsächlich Aktionen durch, die wir als „sich selbst treffen“ bezeichnen können, also Aktionen, die sich auch in Form von Selbstverbrennungen verkörpern. Denn sie hatten keine andere Wahl und keine anderen Handlungsmöglichkeiten. Als draußen ähnliche Aktionen stattfanden, griff Rêber Apo ein und verlangte, dass diese Methode aufgegeben wird. Er fand es auch nicht richtig, dass diese Aktionen im Kerker weitergeführt wurden, und er versuchte, diese immer wieder zu verhindern.

Aktionen müssen den Faschismus treffen“

Ähnliche Fragen sind auch heute noch aktuell. Ja, die Isolation auf Imrali kommt einem Völkermord gleich, und der Kampf dagegen ist absolut notwendig. Gewöhnliche und kleine Aktionen reichen nicht aus. Um das System der Folter und des Völkermords zu durchbrechen und die körperliche Freiheit von Rêber Apo zu gewährleisten, ist es notwendig, sich zu erheben und zu den wirksamsten Methoden zu greifen. Dies ist die einzig richtige revolutionäre und patriotische Haltung. Das ist der Maßstab. Während einer solchen Aktion ist es jedoch notwendig, die Methoden gut zu bestimmen. Die Methode der Aktion muss so sein, dass sie den faschistischen Feind trifft, nicht die Bewegung selbst; sie muss das faschistisch-genozidale System zerstören, nicht die Aktivist:innen selbst.

Die Türken, die vom AKP/MHP-Faschismus ausgesandt wurden, um die Kurd:innen zu töten, indem sie sie täuschten und kauften, sollten Gewissensgebisse haben. Das könnte zur Zersplitterung der feindlichen Front führen. Es ist nicht richtig, dass Kurd:innen, denen alle Mittel zur Verfügung stehen, solche Aktionsformen wählen. Denn sie haben keine andere Wirkung als an das Gewissen der Kurd:innen zu appellieren, sie haben jedoch keinen Einfluss auf den Feind. Auf diese Weise kann der Faschismus nicht besiegt werden. Deshalb müssen wir Aktionsformen wählen, die das faschistische System treffen und wirksam sind. Hierfür gibt es tausend und eine Möglichkeit. Wir können Aktionen durchführen, die dem Völkermord der AKP/MHP überall wirksame Schläge versetzen. Auf dieser Grundlage müssen wir unser Handeln ausrichten und zu einer siegreichen Kraft werden. Wir gedenken in diesem Sinne den Gefallenen Bubo Taş und Mehmet Akar mit tiefem Respekt, und wir glauben, dass ihre Botschaft ein wirksames Echo finden wird.