Am 15. Februar jährt sich das „Internationale Komplott” gegen Abdullah Öcalan zum 22. Mal. An diesem Tag wurde der kurdische Vordenker in einem völkerrechtswidrigen Piratenakt aus der griechischen Botschaft in Kenias Hauptstadt Nairobi auf die türkische Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer verschleppt. Anlässlich des Jahrestags der Entführung Abdullah Öcalans veröffentlichen wir einen Ausschnitt aus dem vierten Kapitel seiner erstmals 2001 unter dem Namen „Gilgameschs Erben – Bd. II: Vom sumerischen Priesterstaat zur demokratischen Zivilisation” veröffentlichten Verteidigungsschrift (S. 272-282).
Das Komplott des 15. Februar 1999 kann in einen dauerhaften Frieden und Demokratie für die Völker verwandelt werden
Eine historische Interpretation des Februar-Komplotts führt zu folgenden wichtigen Erkenntnissen:
I.
Es ist festzustellen, dass das Komplott sich allgemein an der Linie des Ost-West-Konfliktes orientiert. Ich werde dabei als ein Faktor der Instabilität für Anatolien bzw. die Türkei betrachtet. Die griechische Politik ist in dieser Hinsicht die eines enfant terrible des Westens, die einen extremen Pol innerhalb Europas bildet. Die Rolle Griechenlands innerhalb dieser Verschwörung war die eines verräterischen Kollaborateurs, der mein Vertrauen ausnutzte. Es ist offensichtlich, dass Griechenland im Gegenzug für seine Handlangertätigkeit mit Zugeständnissen der Türkei in der Zypernfrage und den Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Ägäischen Meer rechnete. Die späteren Ereignisse stellten diese Erwartungshaltung deudich unter Beweis. Clintons Berater Blinken hat der Presse gegenüber verlautbaren lassen, dass der Befehl zu meiner Auslieferung von Clinton persönlich kam.*
Dies mit dem Kampf gegen Terrorismus erklären zu wollen, würde etwas zu kurz greifen. Sicher ist, dass es mit den Versprechen zu tun hat, die der extremistische Flügel der kriegsbefürwortenden israelischen Rechten der Türkei gegenüber gemacht hat. Der damalige Führer des rechten Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, war seinerzeit Ministerpräsident Israels. Er wurde zu einem Hauptakteur in diesem Komplott, um die Türkei im strategischen Gleichgewicht im Mittleren Osten auf seiner Seite zu halten. Er stand aber keineswegs allein. Allerdings kann ich mir eine Beteiligung der linken Demokraten in Israel, die der politischen Linie Schimon Peres’ folgten, nicht vorstellen. Man darf schließlich nicht vergessen, dass das Attentat auf Itzhak Rabin ebenfalls mit der extremen israelischen Rechten zusammenhing. Clinton stand zu dem Zeitpunkt, als sich die Planung des Komplotts intensivierte, aufgrund der Erpressung im Zusammenhang mit dem Fall Monica Lewinsky bereits stark im Kreuzfeuer und hatte kaum den Einfluss, den Wünschen der proisraelischen Lobby etwas entgegenzusetzen. So wurde es möglich, Clinton über seine Ehefrau Hillary und den Fall Lewinsky unter Druck zu setzen, um ihm eine Reihe präsidialer Entscheidungen abzuverlangen. In diesem Moment entstand zwischen Griechenland und Israel eine vorübergehende Interessengleichheit hinsichtlich ihrer Türkeipolitik. Clinton war Koordinator dieser strategischen Zusammenarbeit. Die Fundamente der Koordinierung wurden in London gelegt, von wo das Kalkül ausging, mich zu isolieren, um so die Kurden und die PKK unter ihre Kontrolle zu bringen. Meine Führungsposition unter den Kurden stellte für die traditionelle Politik des Westens ein großes Hindernis dar. Hier liegt die Krux der Angelegenheit. Aus diesem Grunde nämlich stimmte Europa meiner Ausschaltung zu. Denn ihre seit Langem praktizierte Politik hinsichtlich der Kurden führte aufgrund meiner Rolle zu keinem Ergebnis. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser unterschiedlichen Interessengruppen und Staaten war ihre Unfähigkeit, die Kultur des Ostens zu begreifen.
II.
Diese Unfähigkeit bildete den psychologischen und kulturellen Hintergrund meiner Auslieferung. Die westliche Kultur war strukturell nicht in der Lage, mich vollständig zu assimilieren. Auch wenn die materiellen und wirtschaftlichen Interessen in letzter Instanz entscheidend waren, darf man die kulturelle Basis des europäischen Vorgehens nicht übersehen. Man machte Front gegen mich, als sei dem Entstehen eines zweiten Lenin oder Chomeini entgegenzuwirken. Es zeigte sich sehr deutlich, dass die Europäer keine Toleranz gegenüber jemandem zeigen, der mit ihnen nicht kollaboriert oder ihre Kultur nicht einfach nachahmt und sie als überlegen anerkennt. Ich spürte, dass sie lange Zeit meine Persönlichkeit studierten. Ich fand mich in einem bewusst erzeugten Szenario wieder, in dem mir verdeutlicht wurde, dass sie bereits seit Langem darin übereingekommen waren, dass ich im krassen Widerspruch zu ihrer eigenen Mentalität stand.
III.
Die Verantwortlichen hielten dem Wesen der Kurdenpolitik des europäischen Kapitalismus der letzten zweihundert Jahre die Treue. Zur Grundlage dieser Politik gehört, die Kurden als eine Bedrohung einzusetzen, wenn es darum geht, die Türken, die Iraner oder die Araber unter westlicher Kontrolle zu halten. Es verstieß gegen ihre Interessen, dass wir ihnen diese Waffe aus der Hand nahmen. Für ein strategisch gelöstes Kurdenproblem war ihres Erachtens die Zeit noch nicht gekommen. Bis sie ihre offenen Rechnungen mit dem Iran, dem Irak und der Türkei beglichen hatten, musste die kurdische Option mit Vorbehalt betrachtet werden. Es handelt sich hierbei um eine Position, die mutatis mutandis auch von manchen Kreisen in der Türkei vertreten wird, die ihre persönlichen Interessen in der Fortsetzung des Konflikts sehen. Für die Kurden dagegen hielt diese Alternative weder Leben noch Tod bereit; eine barbarische Option, in der die Kurden gerade nur so viel Unterstützung erhielten, dass sie nicht vernichtet werden konnten, andererseits aber so weit an den Rand des Abgrunds getrieben wurden, dass es zum Leben nicht reichte. Wenn sie nur eine ihrer Haltung gegenüber dem Kosovo oder Mazedonien entsprechende Formel konsequent vertreten hätten, wäre der Konflikt längst in eine positive Entwicklung eingemündet. Eine ähnliche Strategie verfolgt Europa bei den Konflikten zwischen den Israelis und Arabern bzw. den Russen und Tschetschenen. Die Europäer haben ein gesteigertes Interesse an schwelenden Konflikten. Sobald es sich aber um Konflikte handelt, die das Innere oder die nächste Umgebung Europas betreffen, können sie rasch reagieren und Lösungsansätze entwickeln. Meine Position eignet sich vor dem Hintergrund konjunktureller Entwicklungen nicht für eine Lösung entsprechend den europäischen Interessen. Aus diesem Grunde war mein Ausschluss aus ihren Konfliktlösungsmechanismen nur folgerichtig.
IV.
Meine Auslieferung diente offensichtlich dem Ziel, die kurdische Freiheitsbewegung und ihre Führung zu liquidieren. Die mit den kurdischen Kollaborateuren seit Jahren gepflegten Kontakte wurden mit diesem Liquidierungsversuch wieder reaktiviert. Geplant war angeblich die Gründung liberal-demokratischer kurdischer Strukturen und anderer Organisationen, die die Lücke, die durch die Liquidierung der PKK in verschiedenen Staaten hätte entstehen sollen, auffüllen sollten. Deutschland war in dieser Hinsicht der Vorreiter. Die Gründung von türkischen, kurdischen, arabischen und iranischen Gruppierungen, die Deutschland nahestehen, ist eine alte Mittelostpolitik und wurde seit der Zeit Enver Paschas effizient praktiziert. Die irakischen Kurden waren dank ihrer Gerissenheit bereits zu den Nutznießern dieser Politik geworden; auch in der Türkei wurden in jüngster Vergangenheit die ersten Schritte zur Gründung solcher Strukturen unternommen. Das Heranwachsen unter den Fittichen fremder Mächte wurde zu einer Art der Mehrwertsicherung.
Die kurdische Freiheitsbewegung konnte trotz aller Versuche nicht ausgeschaltet werden. Die Schwäche der Freiheitsbewegung liegt nicht zuletzt darin, dass sie keine freien zivilgesellschaftlichen Strukturen aufbauen konnte. Diese Tatsache wird weiteren Missbrauchsversuchen Tür und Tor öffnen. Daher ist es von immenser Bedeutung, sowohl die reaktionären Organisationen mit Sektenstrukturen als auch die kollaborierenden, unechten zivilgesellschaftlichen Organisationen stets im Blick zu behalten und ihnen keine Gelegenheit zu geben, die Bevölkerung zu betrügen.
V.
Die Zeit meiner Inhaftierung auf Imrali für das Wiederaufleben eines dauerhaften Friedens in Anatolien und Mesopotamien zu verwenden, ist ein schwierigeres Unterfangen als die Kriegsführung: Die Folgen können revolutionärer und produktiver sein als die Resultate eines eventuellen Krieges. Ein Frieden, der sich auf die Anerkennung unterschiedlicher kultureller Existenzen stützt, entspricht optimal den Erfordernissen einer Renaissance in Anatolien und Mesopotamien, ebenso wie dem revolutionären Gehalt des Projektes Republik Türkei. Ausgehend vom Prinzip, dass jeder Krieg zu einem Frieden führt, ist es im Interesse der Völker notwendig und wichtig, die günstigsten Voraussetzungen für diesen Frieden zu schaffen. Eine politische Kraft, die einen Krieg nicht friedlich beenden kann, ist dazu verurteilt, dass sie von feindlichen Kräften missbraucht wird.
Betrachtet man die verschiedenen Reaktionen auf die Friedensbemühungen während meiner Haftzeit auf Imrali näher, wird man feststellen, dass unterschiedlichste und scheinbar entgegengesetzte Kreise dagegen opponierten. Die Einen leben von Korruption oder Marginalität, die Anderen haben das linke Sektenwesen oder das Schüren von Feindschaft zu einer Kunst erhoben. Ein sinnvoller und ernsthafter Friedensprozess schafft das Chaos ab, in dem Scheinheiligkeit und Politikformen, die der Gesellschaft nicht dienen und das Individuum nicht fördern, ihren Nährboden haben. Er begrenzt die rechtsfreien Räume und sorgt für eine geordnetere gesellschaftliche Entwicklung, in der legitime Einkommensformen und Lebensweisen überwiegen. Wessen Fähigkeiten und Lebensform dem nicht entsprechen, wer sich nicht rechtzeitig auf ein Leben im Frieden umstellen kann, versteht weder die Notwendigkeit von Frieden noch wird er wirklich Frieden wollen. Die Relevanz des Friedensprozesses muss begriffen werden. Selbst wenn auf den derzeit diskutierten Friedensprozess ein erneuter Krieg folgen sollte, wird dies ein anderer Krieg sein als der vorherige. Die bisher schwerste und längste Krise in der Geschichte der Republik Türkei ist ein Resultat des vergangenen Krieges. Ohne sich dies einzugestehen und aus dieser Krisensituation heraus einen gerechten Frieden aufzubauen, wird die Türkei diese Krise nicht abschütteln können.
VI.
Meine Haftzeit auf Imrali stellt für mich auf der persönlichen Ebene und in meiner Eigenschaft als eine politische Institution so etwas wie eine dritte Geburt dar. Die erste Periode begann mit meiner biologischen Geburt durch meine Mutter in eine Umgebung, die von den Widersprüchen zwischen der dörflichen Agrargesellschaft und den Bedingungen des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt war, und schließt mit dem Übergang in das offizielle Gesellschaftsmodell ab. Diese Phase meines Lebens war die der Abnabelung von einer Geschichte von über zehntausend Jahren, voller Bedeutung und voller Unzulänglichkeiten. Die Verflechtungen des Lebens von vor zehntausend Jahren mit dem heutigen Leben, wie sie in der kurdischen Dorfgesellschaft überall präsent sind, lassen sich nicht ohne Weiteres auflösen. Die unlösbaren Probleme, die daraus entstehen, führen zu Kämpfen innerhalb der Familie und der dörflichen sozialen Gemeinschaft. Ich wurde ein Bauernrebell. Mein Aufstand dauerte so lange, bis ich in der offiziellen Gesellschaft ankam. Auf diese Phase folgte später die Periode eines neuen Erschaffenwerdens, das mit meiner Grundschulzeit begann und nach unterschiedlichen Etappen in meine Revolte gegen die oligarchische Republik einmündete. In diesem Zeitraum kämpfte ich wie ein Don Quichotte gegen Windmühlen. Dadurch traten die bestehenden Probleme schärfer hervor und gewannen an Intensität. Zu den Widersprüchen neolithischer und feudaler Gesellschaftsformen, wie sie in der Dorfgemeinschaft nach wie vor existieren, kamen nun auch die der kapitalistischen Gesellschaftsformation hinzu. Da wir keinen wirklich revolutionären Umgang damit fanden, setzte sich eine Atmosphäre des Chaos durch. Der Aufstand, den wir wagten, konnte nicht einmal eine Lösung für die Rückständigkeit in seinem eigenen Inneren produzieren. Die Phase des Aufstands, die zwanzig Jahre währte, hatte Auswirkungen im Mitderen Osten und weltweit, ging jedoch infolge der auftauchenden Widersprüche in die Phase von Imrali über.
Die Umstände dieser Haft bedeuten nicht nur für mich persönlich eine dritte Geburt, sondern auch für die Republik und das Volk. Die zweite Geburt fand in Gewalt und Krieg statt, sie war eine Art Katharsis. Gemäß dem für jedes natürliche und soziale Phänomen gültigen Gesetz der Einheit der Widersprüche wird die Ara der gewalttätigen Gegnerschaft zur oligarchischen Republik, die bereits lange genug währt, Platz machen für eine laizistische und demokratische Republik, die durch Frieden und Demokratisierung verwirklicht werden wird.
Die gegenwärtige Phase erfordert von allen beteiligten Kräften eine Neugeburt und eine Restrukturierung. Das gesamte soziale Leben - angefangen vom Staat und der Wirtschaft über die Politik und das Rechtswesen bis hin zur Kunst und Ethik - wird erschüttert und sucht einen Ausweg aus der Krise. Meine Inhaftierung auf Imrali übt in diesem Prozess eine Katalysatorfunktion aus. Wenn sich komplexe Prozesse der Vergangenheit oft auf den plakativen Nenner ‚der Krieg und ich’ bringen ließen, so ist der gegenwärtige Prozess auf die Gleichung ‚ich und der Frieden’ fokussiert. Denn ein entscheidender Teil meiner institutionellen Existenz sind das Bewusstsein und der Wille des kurdischen Volkes zur Freiheit. Waren diese bislang vom Krieg geprägt, werden sie nunmehr vom Frieden beeinflusst. Während sich die Phase des Krieges negativ über eine antifeudale und gegen die oligarchische Republik gerichtete Stoßrichtung definieren ließ, konkretisiert sich der Friedensprozess gegenwärtig positiv in einer inhaltlichen und formellen Erneuerung hin zur Forderung nach einer demokratischen und laizistischen Republik. Der völlige Verzicht auf Separatismus und Gewalt innerhalb des bestehenden Systems ist machbar, wenn die Kurden nicht unter Zwang und durch Leugnung ihrer Existenz aus einem Prozess ausgeschlossen werden, an dem sie sich im Laufe ihrer Geschichte gemeinsam mit den Türken beteiligten: dem der Bildung eines gemeinsamen Staatswesens und später der Herausbildung der Nation. Frieden setzt voraus, dass die Politik und das Rechtssystem in der Türkei den Kurden die Möglichkeit einräumen, ihre kulturelle Existenz selbstbestimmt in die Republik einzubringen und sich in sie zu integrieren. Eine Republik, die auf der Leugnung der kurdischen Freiheitsforderung basiert, ist oligarchisch und fuhrt zwangsläufig zu Gewalt und Separatismus. Die Offenheit einer demokratischen Republik einem selbstbestimmten Zusammenleben gegenüber kann eine gemeinsame Zukunft in Frieden bedeuten.
Die Strategien der sowohl von außen als auch von innen wirkenden Kriegsprofiteure und korrupten Mafiabanden stabilisieren die umfassendste Krise in der Geschichte der Türkei. Das Land hat dadurch monatlich finanzielle Verluste von Milliarden US-Dollar hinzunehmen, ganz zu schweigen von den immateriellen Schäden und dem Leid der Menschen. Dieser fünfzehn Jahre andauernde Krieg kostete insgesamt vierzigtausend Menschen das Leben und schluckte mehrere hundert Milliarden US-Dollar. Es ist allein von daher längst an der Zeit, sich dem kurdischen Phänomen zu widmen und Lösungsansätze zu entwickeln.
VII.
Das Februar-Komplott hat auch hinsichtlich Europas, der USA und der Menschenrechtskonvention eine Bedeutung, die richtig verstanden werden will. Die rechtliche und politische Verantwortung für meine Festnahme und Verhaftung, die sich gegen den Freiheitskampf des kurdischen Volkes richtete und zweifelsohne widerrechtlich und nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar war, trägt weitaus weniger die Republik Türkei als vielmehr die Institutionen der USA und der EU. Denn wie ich bereits ausführlich darlegte, haben sie mit einem kolonialistischen Politikverständnis und mit einer Vorgehensweise, welche die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention mit Füßen tritt, die gegenwärtige Situation geschaffen. Infolgedessen bedeutet die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes flir Menschenrechte in meinem Fall nicht nur ein Anprangern der ungesetzlichen Praktiken der Türkei. Es geht vielmehr auch darum, die ungesetzliche und unmoralische politische Praxis der EU und der USA, die sich in meiner Person gegen den Freiheitswillen der Kurden richtete, zum Verhandlungsgegenstand zu machen.
Gewissenhaft zimmerte man mir in drei europäischen Hauptstädten einen Sarg. Jedes Land schlug einen Nagel in die Planken ein. Anschließend wurde ich mittels einer raffinierten kapitalistischen Intrige von den korrupten Kopfgeldjägern eines afrikanischen Landes in ein türkisches Flugzeug verfrachtet.
Der erste Nagel wurde in Athen eingeschlagen. Sie verhielten sich, als sei ich ihr Leibeigener, über den sie frei verfugen können. Im Gegenzug für Zugeständnisse in der Zypern-Frage und dem Ägäis-Konflikt boten sie mich der türkischen Regierung an. Das war nicht nur ein beispiellos niederträchtiger Verrat an den Regeln politischer Freundschaft, sondern zugleich ein eklatanter Rechtsbruch der Menschenrechtskonvention durch ein EU-Mitglied. Griechenlands unsägliche Unmoral und unrechtmäßiges Verhalten in dieser Frage können mit keinem Argument gerechtfertigt werden. Der griechische Schriftsteller Kazantzakis hatte längst seine ‚Griechische Passion’ über die nochmalige Kreuzigung Christi geschrieben. Aber meine Situation war keine individuelle Angelegenheit, sondern Millionen von Kurden, die mir bis in den Tod verbunden sind, sollten ebenfalls gekreuzigt werden. Auch Israel hätte sich nicht das Recht herausnehmen dürfen, mich für die Einbeziehung der Türkei in ein strategisches Gleichgewicht zu opfern. Hatte nicht unser gemeinsamer Urahn Abraham das Opfern von Menschen aus der Religion verbannt? Auch regionale Überlegenheitsbestrebungen müssen ethische Grenzen haben. Doch ich will mich nicht länger damit aufhalten. Ich habe die Rahmenbedingungen skizziert, unter denen der erste Sargnagel eingerammt wurde. Wenn eine aufrichtige Klärung der politischen und rechtlichen Dimensionen dieses Spiels erwünscht ist, wäre ich als Erster bereit dazu.
Der zweite Nagel wurde in Moskau eingeschlagen. Das hat mich weder überrascht noch geärgert. Auch halte ich es nicht für sinnvoll, mich darüber zu beschweren. Ich hätte ohnehin nicht damit gerechnet, dass humanitäre oder moralische Bedenken dort vorhanden sind, wo ein Volk und seine Regierung sich den edelsten Werten der eigenen Geschichte gegenüber so indifferent und abschätzig verhalten. In der jüngsten Vergangenheit haben sie häufig bewiesen, dass es für sie nichts gibt, was sie nicht für Geld opfern würden. Allerdings hat Russland als Mitglied des Europarates die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Folglich ist das Ignorieren meines Asylgesuchs und die darauf folgende Ausweisung entgegen dem anderslautenden Beschluss der Duma mit 298 Ja-Stimmen und nur einer Gegenstimme ein Rechtsbruch. Dieser wiederum fällt in den Zuständigkeitsbereich des Europarates und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
Der dritte Nagel wurde vor den Augen des Papstes in der heiligen Hauptstadt Europas eingeschlagen. Im Rahmen meiner beschränkten rhetorischen Fähigkeiten wollte ich einige Realitäten der Zivilisation zur Sprache bringen. Warum sperrten sie sich dermaßen dagegen? 66 Tage lang ließen sie mich von Polizisten umzingeln, dass ich mir vorkam wie in einem Stahlkäfig. Ich wollte Sprachrohr sein für Existenzrecht und Freiheit eines der ältesten Völker der Geschichte, für das die Menschenrechte nicht gelten. Ein solches Volk hat nach dem politischen und rechtlichen Selbstverständnis Europas ein Recht darauf, diesen Anspruch zu erheben. Doch dieses Recht wurde in keiner Weise respektiert. Für meine Entführung dagegen wurde alles Mögliche unternommen. Angesichts dieser Tatsachen fällt dem Europäischen Gerichtshof die Aufgabe zu, die Bedingungen zu hinterfragen, unter denen in Rom eine solche Situation entstehen konnte.
Meine Verschleppung in die Hauptstadt Kenias geschah mit der ausdrücklichen Zustimmung Europas und der USA. Die niederträchtigste Rolle dabei überließen sie Griechenland, von deren Botschaft aus ich an die Türkei ausgeliefert wurde. Die Drecksarbeit dieses Komplotts, nämlich das fertig verschnürte Paket zu transportieren, wurde den gut erzogenen Kenianern übertragen. Die Völker Europas haben viele Erfahrungen gesammelt, wenn es darum geht, Intrigen zu spinnen, für die sie am Ende keine Konsequenzen tragen müssen. In meinem Fall wurde die simple Rolle des politischen Vollstreckers an einige korrupte kenianische Beamte delegiert. Die Drahtzieher wandten diese Methode nicht zuletzt wegen möglicher Reaktionen ihrer Öffentlichkeit und zur Vermeidung rechtlicher Konsequenzen an.
Die Rolle der USA in Kenia ist offensichtlich und vom damaligen US-Präsidenten bestätigt. Ich glaube, es kann als gesichert gelten, dass der griechische Geheimdienst und die CIA diese Nummer nicht gerade aus Liebe zu den Türken durchgezogen haben. Ich hege keine Zweifel daran, dass sie strategisch das Ziel verfolgten, mich von den Türken töten zu lassen. Ich denke, dass die Briten das gleiche Ziel verfolgten. Dass ich keine Türkenfeindlichkeit zeigte und die besonnene Reaktion des türkischen Generalstabs führten dazu, dass die Situation nicht eskalierte, was sicherlich Zehntausende von Menschen das Leben gekostet hätte. Dennoch stellt dieses Komplott einen historisch beispiellosen Versuch dar, sowohl den Türken als auch den Kurden jeweils unter der Maske der Freundschaft jede Ausgangsbasis für eine Konfliktlösung zu nehmen.
Israel spielte eine entscheidende Rolle bei meiner weltweiten Isolierung und bei meiner Verschleppung. Für Israel war bereits meine Übersiedlung in den Mittleren Osten und die Entwicklung einer neuen kurdischen Strategie gefährlich, entstand doch dadurch eine Konkurrenz zu ihrer eigenen Linie, die sich traditionellerweise auf die vielseitige Zusammenarbeit mit den kurdischen Kräften im Irak beruft und ein strategisches Netz um alle Kurden zu legen versucht. Doch die Tatsache, dass ich dieses Netz der Kollaboration zerriss, unabhängig handelte, die Freiräume der Kollaborateure einschränkte und mich sehr lange im arabischen Raum aufhielt, führte Israel dazu, eine internationale Strategie gegen mich zu entwickeln. Es hatte den Anschein, als sei ich für Israel weitaus gefährlicher als Arafat. Diese Faktoren waren entscheidend bei seinem mit der Türkei eingegangenen strategischen Bündnis. Diese Strategie war vor allem das Werk des rechten politischen Lagers in Israel.
Es hatte seine Aufmerksamkeit bereits vor dem 9. Oktober 1998 auf mich gerichtet gehabt und sich z.B. über das Bombenattentat gegen mich vom 6. Mai 1996 in Damaskus informiert. Es wäre zu untersuchen, inwieweit Griechenland zu einem Handlanger gemacht werden konnte. Dass ich vom russischen Ministerpräsidenten Primakow aus Moskau ausgewiesen wurde, steht in engem Zusammenhang mit der dortigen rechten proisraelischen Lobby. Ich kann mich daran erinnern, dass damals Ariel Scharon persönlich in Moskau vorstellig wurde. Über die USA wurde auch Italien unter Druck gesetzt. Mit großer Wahrscheinlichkeit war der Mossad in die Bestrebungen involviert, mich in London und im gesamten Europa zu einer Persona non grata zu erklären. Auch im Entscheidungsfindungsprozess in Washington waren die entsprechenden proisraelischen Kräfte involviert. Es ist mein innigster Wunsch, dass auch das jüdische Volk seinen Platz in einem demokratischen Mittleren Osten bekommt. Ich war immer fasziniert von den Errungenschaften der Juden in Wissenschaften, Künsten und Philosophie. Sie werden in Zukunft besser verstehen, dass sie mit ihrer gegen mich gerichteten Haltung sich selbst geschadet haben. Je mehr die Kurden die komplexen Hintergründe meiner Entführung und Auslieferung verstehen, desto bewusster und deutlicher werden sie unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, Gerechtigkeit walten zu lassen.
*Antony J. Blinken war von 1994 bis 2001 Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat der USA und Clintons Sonderberater für die Beziehungen zu europäischen und NATO-Staaten. Die genannte Äußerung machte er im Juli 2001 in der Sendung Manşet auf CNN Türk, was für großes Aufsehen sorgte.