Hauptverfahren gegen Demirtaş wird fortgesetzt
In Ankara wird heute das Hauptverfahren gegen den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş fortgesetzt. Es ist die erste Verhandlung seit dem Urteil des EGMR vom Dezember, den 47-Jährigen freizulassen.
In Ankara wird heute das Hauptverfahren gegen den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş fortgesetzt. Es ist die erste Verhandlung seit dem Urteil des EGMR vom Dezember, den 47-Jährigen freizulassen.
Das Hauptverfahren gegen den kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş wird am heutigen Dienstag in Ankara fortgesetzt. Verhandelt wird im Gerichtsgebäude auf dem Gefängniscampus Sincan, im Saal anwesend wird Demirtaş aber nicht sein. Entsprechende Anträge hatte das Gericht mehrfach verworfen und die Einbindung des 47-Jährigen über ein Videoliveschaltungssystem aus dem Hochsicherheitsgefängnis im westtürkischen Edirne angeordnet.
Gegen Selahattin Demirtaş sind in der Türkei 122 Verfahren eingeleitet worden. Er wurde aufgrund des Hauptverfahrens im November 2016 verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP) unter anderem Gründung und Führung einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Volksverhetzung vor. Die Anklage baut auf 31 Ermittlungsberichten auf, die dem türkischen Parlament während Demirtaşs Zeit als Abgeordneter zur Aufhebung der Immunität vorgelegt worden waren. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 142 Jahre Haft, obwohl im Juni selbst das türkische Verfassungsgericht seine Inhaftierung als rechtswidrig eingestuft hatte.
Erster Prozesstag nach EGMR-Urteil
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 22. Dezember 2020 die sofortige Freilassung des Politikers aus der Haft angeordnet und ihm zudem insgesamt 60.400 Euro für Vermögensschäden, immaterielle Schäden sowie Ausgleich für Kosten und Ausgaben zugestanden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Freiheit und Sicherheit seien unter anderem verletzt worden, so der EGMR.
Die Inhaftierung Demirtaşs während des Referendums für das Präsidialsystem in der Türkei 2017 und der Präsidentschaftswahlen im Jahr darauf hätte den konkreten Zweck gehabt, Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken, erklärte der EGMR in seinem Urteil. Schon 2018 hatte das Straßburger Gericht die Freilassung des Politikers angeordnet, weil die lange Untersuchungshaft ungerechtfertig sei. Die Türkei setzte das Urteil aber nicht um. Daher landete der Fall vor der Großen Kammer des EGMR, der höchsten Instanz des Gerichts. Doch auch dieses Urteil wird von der türkischen Regierung ignoriert.
Neuer Haftbefehl im Eiltempo
Anfang September 2019 wurde der Haftbefehl im Hauptverfahren gegen Demirtaş überraschend aufgehoben. Daraufhin hatte sein Rechtsbeistand bei einem Istanbuler Gericht, das den Politiker kurz zuvor in einem anderen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hatte, einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt. Um das zu verhindern, rollte die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara das Verfahren um die Kobanê-Proteste im Oktober 2014 wegen „neuen Ermittlungserkenntnissen“ wieder auf und erwirkte einen zweiten Haftbefehl. Im „Kobanê-Verfahren” wird dem Politiker, der lange Jahre als Menschenrechtsanwalt arbeitete, unter anderem 37-facher Mord vorgeworfen. Im selben Verfahren sind auch Figen Yüksekdağ sowie 106 weitere Politikerinnen und Politiker angeklagt. Ein diesbezüglicher Antrag von Demirtaş beim EGMR ist noch anhängig.