Die ehemalige HDP-Vorsitzende Figen Yüksekdağ hat sich zur Anklageschrift im sogenannten „Kobanê-Verfahren“ geäußert. „Kobanê ist ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte. Ganz gleich was Ihr sagt und tut, Ihr werdet unter dieser Geschichte begraben werden. Es ist egal, wo wir sind, ob drinnen oder draußen – wir sind im Recht und die wahren Schuldigen werden unseren Atem stets in ihrem Nacken zu spüren bekommen“, schrieb Yüksekdağ am Sonntag bei Twitter. Die 49-Jährige ist eine von mehr als hundert Politikerinnen und Politikern, gegen die der Oberstaatsanwalt von Ankara mit grotesk anmutenden Anschuldigungen im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten vom Herbst 2014 mehrfach lebenslange Haft unter erschwerten Bedingungen fordert.
Figen Yüksekdağ ist Mitgründerin der Sozialistischen Partei der Unterdrückten (Ezilenlerin Sosyalist Partisi, ESP) und war bis September 2014 deren Vorsitzende. Nach der Niederlegung ihres Amtes trat sie zur HDP über. Noch im gleichen Jahr schloss sich die ESP der als Dachpartei mehrerer Kleinparteien fungierenden HDP an. Auf dem zweiten HDP-Kongress wurde Figen Yüksekdağ am 22. Juni 2014 zur Ko-Vorsitzenden gewählt. Zeitgleich mit Selahattin Demirtaş und zahlreichen weiteren HDP-Abgeordneten wurde sie am 4. November 2016 auf Betreiben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan verhaftet.
Am vergangenen Donnerstag hat ein Gericht in der türkischen Hauptstadt die Anklageschrift in dem international kritisierten Kobanê-Verfahren angenommen. Insgesamt 108 Politikerinnen und Politiker werden darin terroristischer Straftaten beschuldigt, darunter Yüksekdağ und Demirtaş, die wie 25 weitere Betroffene in Haft sind. Sechs Beschuldigte aus dem Verfahren sind unter Führungsaufsicht, nach 75 weiteren wird gefahndet. Auch mehrere Mitglieder des Exekutivkomitees der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Südkurdistan, darunter Murat Karayılan, Duran Kalkan und Cemil Bayık, sind angeklagt. Sie alle werden der „Zerstörung der Einheit des Staates und der Gesamtheit des Landes“ beschuldigt, außerdem werden ihnen 37-facher Mord und Dutzende Mordversuche im Zusammenhang mit den Protesten vor mehr als sechs Jahren vorgeworfen.
Hintergrund der Kobanê-Proteste
Am Abend des 6. Oktober 2014 war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach 21 Tagen Widerstand der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Zentrum der westkurdischen Stadt einzudringen. Angesichts der kritischen Situation rief die HDP die Öffentlichkeit zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung auf, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der radikalislamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstranten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen. Die türkische Regierung macht die HDP für die Vorfälle verantwortlich.