Der Überfall auf einen Zellentrakt im Hochsicherheitsgefängnis Kandira, in dem prominente HDP-Politikerinnen als politische Geiseln festgehalten werden, hat auf Grundlage eines neuen Verfahrens stattgefunden. Das sagte Ezgi Güngördü, Anwältin der früheren HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ, am Dienstag in Ankara. Die Hintergründe der Ermittlungen seien allerdings noch völlig unklar, da über die Akte ein Geheimhaltungsbeschluss verhängt wurde. „Bekannt ist nur, dass sich das Verfahren gegen irgendeine ‚Gefängnisstruktur‘ richtet und von der Generalstaatsanwaltschaft Kocaeli eröffnet worden ist“, so Güngördü. Die Behörde habe sogar dem Schwurgericht in Ankara eine nähere Auskunft mit Verweis auf die Geheimhaltung verweigert, teilte die Juristin weiter mit.
Bei den „Verdächtigen“ handele es sich neben Figen Yüksekdağ um die beiden früheren Bürgermeisterinnen von Dersim, Edibe Şahin und Nurhayat Altun, sowie die ehemaligen Parlamentsabgeordneten Sebahat Tuncel, Gültan Kışanak, Gülser Yıldırım, Çağlar Demirel und Aysel Tuğluk. Dass selbst dem Gericht nicht mitgeteilt wird, welche Beschuldigungen gegen die Politikerinnen im Raum stehen, lässt vermuten, dass die Generalstaatsanwaltschaft von Kocaeli noch keinen Tatvorwurf konstruiert hat, um die Politikerinnen zu belasten.
Gedichte als „Organisationsdokumente“ beschlagnahmt
Der Zellentrakt der HDP-Politikerinnen wurde am 30. November vom Wachpersonal der Vollzugsanstalt in Kandira gestürmt. Zunächst war noch davon ausgegangen worden, dass der drei Tage zuvor von PKK- und PAJK-Gefangenen initiierte Hungerstreik gegen die Isolation von Abdullah Öcalan als Begründung herangezogen wurde. Bei der Durchsuchung wurden Bücher, Stifte, persönliche Aufzeichnungen, Gedichte und literarische Texte sowie Unterlagen für die Verteidigung vor Gericht beschlagnahmt. Nach Angaben von Ezgi Güngördü werden die Gedichte ihrer Mandantin Figen Yüksekdağ als „Dokumente einer terroristischen Organisation“ gehandelt.