In den türkischen Gefängnissen findet erneut ein Hungerstreik statt. Die von Mitgliedern der PKK und der PAJK begonnene Aktion richtet sich gegen die Isolation von Abdullah Öcalan und gegen die zusätzlichen persönlichen Beschränkungen und Menschenrechtsverletzungen, denen politische Gefangene seit Beginn der Covid-19-Pandemie ausgesetzt sind. In der ersten Etappe wird der Hungerstreik gruppenweise im Wechsel für jeweils fünf Tage durchgeführt.
Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der Zellentrakt von politischen Gefangenen im Frauengefängnis Gebze am 27. November von einer vierzigköpfigen Wachmannschaft überfallen worden. Bei der Durchsuchung wurden Tagebücher, Fotoalben, persönliche Unterlagen und Bücher beschlagnahmt. Das teilten die Gefangenen ihren Angehörigen telefonisch mit.
Mizgîn Aydin, die zu der ersten Gruppe der Hungerstreikenden gehörte und an einer Krebserkrankung leidet, wurde bei der Zellenrazzia von Kopf bis Fuß durchsucht. Präventionsmaßnahmen gegen eine Virusinfektion wurden vom Wachpersonal nicht eingehalten. Nach Angaben der Gefangenen haben sich zwei Frauen mit dem Coronavirus infiziert. Sie gehen davon aus, dass sie vom Wachpersonal angesteckt worden sind und die gesamte Razzia zu diesem Zweck stattgefunden hat. An die Öffentlichkeit appellieren sie: „Wir erleben eine sehr schwere und schlimme Zeit, aber wir können uns kein Gehör verschaffen. Wir werden die Isolation durchbrechen. Bis uns das gelingt, wird der Hungerstreik fortgesetzt.“
Überfall auf Zellentrakt von HDP-Politikerinnen in Kandira
Auch ein Zellentrakt im Hochsicherheitsgefängnis Kandira, in dem prominente HDP-Politikerinnen als politische Geiseln festgehalten werden, ist aufgrund des Hungerstreiks vom Wachpersonal durchsucht worden. Das teilte der Frauenrat der Demokratischen Partei der Völker (HDP) mit. Bei den betroffenen Politikerinnen handelt es sich um Figen Yüksekdağ, Sebahat Tuncel, Gültan Kışanak, Çağlar Demirel, Edibe Şahin, Aysel Tuğluk, Nurhayat Altun und Gülser Yıldırım. Bei der Durchsuchung wurden Bücher, Stifte, persönliche Aufzeichnungen, Gedichte und literarische Texte sowie Unterlagen für die Verteidigung vor Gericht beschlagnahmt.
Hintergrund des Hungerstreiks
Seitdem der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK im Jahr 2015 von Seiten der AKP-Regierung für beendet erklärt wurde, wird Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali isoliert und kann nicht einmal von seinem Anwaltsteam oder Angehörigen Besuch erhalten. Nach einem 200-tägigen Massenhungerstreik, der Ende 2018 von der kurdischen Politikerin Leyla Güven initiiert wurde, ist die Isolation kurzfristig durchbrochen worden. Der letzte Anwaltsbesuch fand im August 2019 statt, seitdem gibt es keinen Kontakt mehr. Während Öcalans Rechtsbeistand und Familienangehörige weiterhin regelmäßig Besuchsgenehmigungen beantragen, hat die Generalstaatsanwaltschaft Bursa am 23. September ein Besuchsverbot für weitere sechs Monate angeordnet. Grund dafür ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft das Erstellen einer „Road Map“ für eine Lösung der kurdischen Frage, die Öcalan im Jahr 2009 einem Verteidigungsschreiben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angehängt hatte.
Für die politischen Gefangenen, die im Zusammenhang mit der PKK oder der Frauenpartei PAJK inhaftiert sind, war dies der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Seit dem 27. November findet gruppenweise im Wechsel ein jeweils fünftägiger Hungerstreik statt. Da die Gefängnisverwaltungen unter Berufung auf die Pandemie das Besuchsrecht einschränken sowie kaum Anwaltsgespräche zulassen, ist unklar, wie viele Gefangene in den verschiedenen Haftanstalten an der Aktion teilnehmen.