Gericht lehnt Freilassung von Demirtaş ab

Ein Gericht in Ankara hat den Haftentlassungsantrag des früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş mit Verweis auf die fehlende Übersetzung des schriftlichen EGMR-Urteils ins Türkische abgelehnt.

Ein Gericht in Ankara hat mit Beschluss vom Samstag einen Haftentlassungsantrag des früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş abgewiesen. Zur Begründung verwies die 7. Strafabteilung des Amtsgerichts auf die „fehlende Übersetzung” des schriftlichen EGMR-Urteils ins Türkische. „Die Verteidiger des Beschuldigten haben ihrem Antrag auf Haftentlassung nur eine englische Übersetzung beigefügt. Insofern wird davon ausgegangen, dass das Urteil des EGMR nicht für eine rechtliche Überprüfung des Haftbefehls geeignet ist”, ließ die Strafkammer verlauten. Demirtaş-Anwalt Mahsuni Karaman warf dem Gericht vor, eine Straftat zu begehen. Der Jurist Ramazan Demir sprach von einem taktischen Manöver, um die Freilassung seines 47-jährigen Mandanten hinauszuzögern.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 22. Dezember entschieden, dass die Inhaftierung von Selahattin Demirtaş politisch motiviert war und er sofort freigelassen werden muss. Darüber hinaus muss die türkische Führung dem kurdischen Politiker 60.400 Euro für Vermögensschäden, immaterielle Schäden sowie Ausgleich für Kosten und Ausgaben zahlen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan warf dem EGMR daraufhin „Doppelmoral und Scheinheiligkeit” vor. Die Straßburger Richterinnen und Richter stellten sich mit dem Urteil hinter einen „Terroristen”.

Selahattin Demirtaş ist seit über vier Jahren im Gefängnis. Der Rechtsanwalt wurde am 4. November 2016 zeitgleich mit zahlreichen weiteren kurdischen und linken Politiker*innen festgenommen und anschließend inhaftiert. Vor einem Jahr wurden die Haftbefehle gegen Demirtaş und die Ko-Vorsitzende Figen Yüksekdağ überraschend aufgehoben. Auf Betreiben des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan wurde jedoch ein erneuter Haftbefehl erwirkt. Erdoğan erklärte dazu: „Wir können sie nicht freilassen. Die haben das Parlament infiltriert. Unsere Nation vergisst diejenigen nicht, die die Menschen auf die Straßen gerufen und unsere Söhne ermordet haben. Wir werden sie bis zum Letzten verfolgen und niemals ablassen.“

Im Juni hatte das türkische Verfassungsgericht einer Klage von Demirtaş wegen der Verletzung seiner persönlichen Freiheit durch die Untersuchungshaft stattgegeben. Das Gericht gab Demirtaş Recht und urteilte, dass die Untersuchungshaftdauer den „angemessenen Zeitraum“ überschritten habe und damit Artikel 19 der türkischen Verfassung verletze. Das Justizministerium müsse ihm zudem 50.000 TL Entschädigung zahlen. Eine Entlassung aus dem Gefängnis blieb trotz des juristischen Erfolgs aus, da bereits eine neue Haftentscheidung gegen den kurdischen Politiker vorlag.

Der EGMR in Straßburg hatte bereits im November 2018 entschieden, dass die Untersuchungshaft von Demirtaş unrechtmäßig ist. Auch dieses Urteil wurde durch eine Ad-hoc-Verurteilung in einem der zahllosen Strafverfahren gegen den kurdischen Politiker unterlaufen.