Die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan hat sich zusammen mit dem Verteidigerteam von Selahattin Demirtaş auf einer Pressekonferenz in Istanbul zu dem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) geäußert. Der EGMR hat die sofortige Freilassung des HDP-Politikers angeordnet und sein Urteil ausführlich begründet.
Rechtsanwalt Mahsuni Karaman erklärte auf der gut besuchten Pressekonferenz in der Istanbuler HDP-Zentrale, dass in der Urteilsbegründung das Verhältnis zwischen Politik und Justiz in der Türkei gründlich aufgearbeitet worden ist. Das Urteil zeige auf, wie die politischen Entwicklungen der vergangenen vier bis fünf Jahre über die Justiz organisiert worden seien: „Es ist das Ergebnis des autoritären politischen Regimes und des Präsidialsystems.“
Karaman wies darauf hin, dass das Urteil nicht nur in Hinsicht auf seinen Mandanten verbindlich ist, sondern für alle verhafteten Abgeordneten gilt.
Sein Kollege Ramazan Demir ergänzte: „Der EGMR bewertet die Verhaftungswelle vom 4. November 2016 insgesamt. Das Urteil zeigt nicht nur auf, dass Demirtaş rechtswidrig verhaftet wurde, sondern wie die kurdischen Politikerinnen und Politiker insgesamt über die Justiz kriminalisiert werden.“
Ein wichtiger Punkt in dem EGMR-Urteil sei auch die Bewertung des Demokratischen Gesellschaftskongresses (KCD), führte Demir weiter aus: „Leyla Güven ist zu 22 Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Es werden täglich Menschen wegen ihres Engagements im KCD verurteilt. Der EGMR jedoch sagt, dass der KCD eine legale Organisation ist und die Betätigung für ihn kein Beweis für die Mitgliedschaft in einer [terroristischen] Organisation sein kann. Erstmalig hat der EGMR also gesagt: Ihr könnt nicht willkürlich Leute der Mitgliedschaft beschuldigen. Euer Gesetz hat keine rechtliche Grundlage.“
Rechtsanwältin Benan Molu erklärte, dass das Urteil völlig eindeutig ist und eine Präzedenz-Entscheidung für alle Oppositionellen sei, gegen die juristisch vorgegangen werde.
Zuletzt ergriff die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan das Wort und forderte die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş. Das Urteil betreffe nicht nur ihren Amtsvorgänger, sondern zeige auf, dass die Justiz der Türkei dem Palast unterstehe und die Gerichtsbarkeit nicht unabhängig sei:
„Demirtaş hätte sofort freigelassen werden müssen, eine Entlassung ist jedoch noch nicht erfolgt. Seit dem 4. November 2016 werden unsere Abgeordneten und Hunderte weitere Mitglieder unserer Partei als Geiseln festgehalten. Selahattin Demirtaş und die anderen politischen Gefangenen müssen gemäß dieses Urteils unverzüglich entlassen werden. Demirtaş ist auch kein gewöhnlicher Mensch. Er ist seit vielen Jahren Politiker und hat als Präsidentschaftskandidat und als Vorsitzender der HDP, die über zehn Prozent der Stimmen bekommen hat, einen großen Einfluss auf die Menschen in der Türkei.“
Auf die Frage eines Journalisten nach dem Grund für die Inhaftierung von Selahattin Demirtaş antwortete Pervin Buldan: „Dazu haben wir bereits viel gesagt, ich kann eine Sache wiederholen: Es wird sich vor Demirtaş gefürchtet. Das ist einer der Gründe, warum er als politische Geisel im Gefängnis festgehalten wird.“
Buldan verwies darauf, dass im Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs auch die Aufhebung der parlamentarischen Immunität und der Demokratische Gesellschaftskongress behandelt worden sind. Sie betonte, dass die am Dienstag erfolgte Verhaftung von Leyla Güven nach demselben Schema vollzogen worden ist. Diese Rechtlosigkeit müsse sofort beendet werden, forderte die HDP-Vorsitzende. An Erdogan und seine Parteifreunde gerichtet sagte Buldan: „Dieses Urteil ist verbindlich, meine Herren. Sie müssen alle unsere Kolleginnen und Kollegen freilassen. Wenn Sie ein internationales Abkommen unterschreiben, müssen Sie sich auch daran halten.“