Die Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg (Bündnis 90/ Die Grünen) verurteilt den völkerrechtswidrigen Krieg des türkischen Regimes nicht öffentlich. Eine entsprechende Zusage, die sie in Dresden gegeben hatte, wurde nicht eingehalten. Das teilen Aktivist:innen von „Defend Kurdistan“ und „Women Defend Rojava“ mit:
„Am 8. Dezember haben wir in einer Delegation des Aktionskomitees Defend Kurdistan und des Ortskomitees der Kampagne Women Defend Rojava die Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg von Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Büro zu einem gemeinsamen Gespräch besucht. Grundlage dieses Gesprächs war eine Erklärung mehrerer Forderungen an die Abgeordnete, die wir ihr eine Woche zuvor hatten zukommen lassen.
Schwerpunkte dieses Papiers waren die Positionierung gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieges durch die Türkei, das Einrichten einer Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien, die Ächtung der Verwendung von Chemiewaffen im Nordirak und die Verurteilung der allgemeinen Kriminalisierung der kurdischen Bevölkerung durch das PKK-Verbot. Des Weiteren wurde über Waffenlieferungen an die Türkei und den Iran sowie die Situation von Abdullah Öcalan, der seit 23 Jahren in türkischer Isolationshaft sitzt, gesprochen.
Das Gepräch mit der Abgeordneten stimmte uns zunächst zuversichtlich. Merle Spellerberg sicherte uns zu, wir alle seien uns einig darüber, dass der Krieg des türkischen Regimes gegen die Selbstverwaltung Nordostsyriens (AANES), aber auch gegen die Guerilla in den Bergen Südkurdistans im Nordirak völkerrechtswidrig und auf das Schärfste abzulehnen ist.
Wir konnten Frau Spellerberg außerdem offenbar einen praktischen und klaren Eindruck davon verschaffen, was das PKK-Verbot für die hier lebende kurdische Bevölkerung bedeutet. Die Abgeordnete machte einen sichtlich geschockten Eindruck und sagte uns hierzu wörtlich: ,Das PKK-Verbot darf nicht dazu genutzt werden, die Zivilbevölkerung zu kriminalisieren.' Auch wenn wir über praktische Schritte hinsichtlich der Aufhebung dieses Verbotes uneins waren, so stimmten uns diese Worte doch zunächst optimistisch, was eine Positionierung der Abgeordneten betraf. So hatte sie den deutschen Verfassungsschutz im Gespräch mehrfach scharf kritisiert, dafür plädiert, ihn abzuschaffen, hatte die Anerkennung des Genozides an der ezidischen Bevölkerung 2014/15 in Aussicht gestellt, auch, um (Zitat) ,noch einmal die Rolle zu würdigen, die YPG und YPJ im Kampf gegen den IS und bei der Verteidigung der Bevölkerung gespielt haben'.“
Schöne Worte, keine Taten
Schon unmittelbar nach dem Gespräch hatte jedoch eine Aktivistin von Defend Kurdistan betont: „Nun müssen auf die schönen Worte auch Taten folgen." Diesbezügliche Hoffnungen sind nun jedoch enttäuscht worden. Eine zugesicherte öffentliche Erklärung der Abgeordneten bis zum 18. Dezember ist kommentarlos ausgeblieben, und auch abseits davon hat seitdem keine Kommunikation mehr zwischen den Aktivist:innen und der Abgeordneten stattfinden können.
„Es drängt sich der Eindruck auf, dass Merle Spellerberg nicht vorhat, die zugesicherte Erklärung überhaupt noch abzugeben“, teilen die Aktivist:innen mit. Teilnehmende am Gespräch vom 8. Dezember hatten bereits unmittelbar danach den Eindruck geschildert, die Abgeordnete sei zwar schnell bereit gewesen, „die richtigen Dinge" zu Themen wie dem Angriffskrieg oder Chemiewaffeneinsätzen zu sagen, habe sich aber, sobald es um konkrete Konsequenzen gegangen sei, sehr schnell hinter Fragen der Zuständigkeit, der Kompetenzen und vermeintlichen Machbarkeit zurückgezogen. Schon damals sei die Befürchtung entstanden, Spellerberg habe vor allem Angst gehabt, ihre Kompetenzen innerhalb ihrer Fraktion zu überschreiten, zuständigen Sprecher:innen auf die Füße zu treten oder sich anderweitig mit der offiziellen Linie ihrer Partei in Widerspruch zu begeben.
„Wir fordern nichts Unmögliches, sondern das Mindeste“
„Wir sind sehr enttäuscht. Der Bruch einer solchen Zusage macht auf uns den Eindruck, als habe uns Merle Spellerberg eigentlich nur abwimmeln wollen. Wenn es nicht einmal mehr möglich ist, dass die Partei ,feministischer Außenpolitik' öffentlich ausspricht, dass sie Krieg gegen die Zivilbevölkerung verurteilt, welchen Wert haben ihre Worte dann überhaupt noch?", so eine Aktivistin des Komitees:
„Bereits im Gespräch selbst haben wir versucht, Frau Spellerberg zu verdeutlichen, dass nicht nur die Bundesregierung oder ihre Partei, sondern auch sie ganz persönlich als Abgeordnete und Obfrau im Unterausschuss Abrüstung und Rüstungskontrolle Verantwortung trägt: Verantwortung für die Situation der Zivilbevölkerung, Verantwortung für das Verhalten des NATO-Partners Türkei und Verantwortung für das Schicksal eines Projektes, das nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die demokratische Moderne der gesamten Welt große Hoffnung darstellt. Eine Abgeordnete der Grünen kann demnach nicht einmal dazu bewegt werden, öffentlich zu erklären, dass sie diesen völkerrechtswidrigen Krieg ablehnt. Damit zeigt sie uns, dass ihr persönlich sowie ihrer Partei Kompetenzgerangel, Posten, parlamentarische Bürokratie und die so viel gelobten Beziehungen zur Türkei wichtiger sind als diese Hoffnung. Offenbar ist ihr wichtiger, nicht in Konflikt mit den Vorständen ihrer Partei oder despotischen Regimen wie dem der AKP/MHP zu geraten, als die Interessen der Zivilbevölkerung, der Demokratie und des Friedens zu vertreten. Wir haben die Abgeordnete nicht gebeten, Unmögliches, sondern das Mindeste zu tun. Wir haben sie gebeten, ihre Stimme zu erheben gegen die Ermordung tausender Menschen und für ihre Selbstbestimmung - gegen Faschismus und für Demokratie - gegen Krieg und für den Frieden. Die Abgeordnete hat es vorgezogen, zu schweigen. Sie reiht sich damit ein in die Reihe von NATO-Partnern, Regierungen, internationalen Organisationen und Politiker:innen, die zu all dem schweigen. Sie schweigt zur Zerstörung demokratischer Selbstverwaltung, zu Angriffen auf die Kämpfer:innen, die einmal für die ganze Welt den IS besiegten, zur Ermordung kurdischer Guerilla durch Giftgas, zu lebenslanger Isolationshaft, Folter und Mord - und dieses Schweigen tötet.“
Das Aktionskomitee Defend Kurdistan kündigt an, dieses Schweigen nicht weiter hinnehmen zu wollen: „Die Öffentlichkeit, auch in Dresden, muss diese Verbrechen zur Kenntnis nehmen und etwas dagegen tun. Wir werden mit weiteren Aktionen darauf aufmerksam machen!“