Die Nürnberger Ortsgruppe der Initiative „Defend Kurdistan“ hat am Sonnabend eine Weihnachtsfeier der Grünen zum Anlass genommen, um auf die kriegerische Aggression der Türkei gegen Kurd:innen in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien sowie die brutale Repression des Regimes in Iran gegen die revoltierende Bevölkerung aufmerksam zu machen und Änderungen im Kurs der Bundesregierung zu fordern. Die Aktivist:innen übergaben zwei Papiere mit konkreten Forderungen an die Parteibasis, den Druck auf die Parteispitze zu erhöhen und endlich konkrete Schritte gegen Erdogans Angriffskriege in Kurdistan zu unternehmen, die deutsche Unterstützung dieser Politik und die Verfolgung hier lebender Kurd:innen einzustellen und den politischen Forderungen von (Exil-)Iraner:innen zur Unterstützung der Protestbewegung nachzukommen, statt sich mit „wachsweichen Kompromissen ohne reale Konsequenzen für das Mullah-Regime“ zu schmücken.
Mit Transparenten, Fahnen und Sprechchören übernahmen ca. 25 Aktivist:innen kurzzeitig die Bühne der Feier und stellten sich mit Transparenten und Flaggen der kurdischen Bewegung auf. Ein Sprecher des Bündnisses verlas eine politische Erklärung und die Forderungen an die Anwesenden: „Die türkische Regierung führt Krieg in Kurdistan und schreckt dabei vor keinem Kriegsverbrechen zurück: Bombardierung von Krankenhäusern und ziviler Infrastruktur, extralegale Hinrichtungen durch Drohnen, der Einsatz von Giftgas. Mit Hilfe dschihadistischer Söldner vernichtet die türkische Armee die Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung. Es ist ein Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung und die Zivilbevölkerung, ein Krieg gegen Mensch und Natur.“
Keine Abkehr von der deutschen Türkeipolitik trotz Chemiewaffenangriffen
Der Sprecher rief den Anwesenden das Ausmaß der deutschen Unterstützung des türkischen Angriffskriegs in Erinnerung: „Die Bundesregierung finanziert Erdogans Krieg gegen die kurdische Freiheitsbewegung und die Zivilbevölkerung, schickt Waffen und gibt diplomatische Rückendeckung für die Angriffe. Der tausendfache Einsatz verbotener Chemiewaffen über Monate hinweg ist vielfach belegt. Selbst dieser eklatante Bruch des Völkerrechts führt nicht zu einer Abkehr der Bundesregierung von der bisherigen Türkeipolitik. Statt einer Verurteilung der offenen Missachtung des Völkerrechts sicherte Innenministerin Faeser kurz nach Beginn des jüngsten Angriffskrieges auf einem Freundschaftsbesuch in Ankara der Türkei die Unterstützung Deutschlands im ‚Kampf gegen den Terrorismus‘ zu.“
Auch gegen die Untätigkeit der Bundesregierung gegen die Zuspitzung der Gewalt und der Repression gegen die von Frauen und LGBTIQ* getragenen Proteste in Iran richtete das Bündnis konkrete Forderungen: „Nach nun mehr als dreimonatigen Protesten, die auf die Ermordung der Kurdin Jina (Mahsa) Amini folgten, rückt das iranische Regime in Rojhilat [Kurdisch: „Osten“ - bezeichnet alle Gebiete Kurdistans, die im westlichen und nordwestlichen Teil des iranischen Staates liegen] mit Panzern, Hubschraubern, Drohnen und Artillerie vor und versucht die feministische Revolution dort blutig niederzuschlagen. Teheran geht dabei gegen die gleiche demokratische und feministische kurdische Bewegung vor, die von der Türkei bombardiert wird. Jeden Tag sterben Menschen.“
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind seit Beginn der Revolte in Iran und Rojhilat vor drei Monaten etwa 500 Menschen von Regimekräften ermordet worden, darunter viele Kinder. Das bislang jüngste Opfer der Repression, Kian Pirfalak, verstarb am 16. Dezember im Alter von neun Jahren. Am stärksten betroffen von dem blutigen Versuch des Mullah-Regimes, sich an der Macht zu halten, sind Kurd:innen und Belutsch:innen. Mindestens 18.000 Demonstrierende sitzen in Haft, Folter ist an der Tagesordnung. Erste Todesstrafen sind bereits vollstreckt. Jeden Tag drohen weitere Hinrichtungen.
Nur mahnende Worte an mörderische Theokraten in Teheran
Defend Kurdistan betonte: „Außer mahnenden Worten gegen die mörderische Theokratie in Teheran wurden bisher keine wirksamen Sanktionen verhängt – weil sie die Wirtschaftsinteressen Deutschlands gefährden könnten. Während sich deutsche Politiker:innen heuchlerisch die Parole der kurdischen Befreiungsbewegung und der kämpfenden Menschen im Iran aneignen, werden kurdische Frauen zeitgleich mit Drohnen und Panzern aus deutscher Produktion angegriffen. Hilfegesuche an Außenministerin Annalena Baerbock von Familien politischer Gefangener, denen im Iran täglich die Hinrichtung droht, verhallen ungehört. In Deutschland geht die Verfolgung politisch aktiver Kurd:innen unvermindert weiter.
Wir fragen die Mitglieder der Partei Bündnis90/Die Grünen: Was muss noch passieren, damit der politische Druck endlich größer wird? Was werden Sie tun?“
Es sei überfällig, dem Morden und der Unterdrückung, den Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im Nahen Osten nicht länger zuzusehen. „Es ist Zeit, der feministischen Revolution und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker den Rücken zu stärken. Finden Sie klare Worte und werden Sie endlich aktiv – gegen das Mullah-Regime im Iran und gegen das faschistische Regime in der Türkei!“
Forderungen an die Grünen
Da von Seiten der Bundesregierung bisher nur sanfte Worte in Richtung der Türkei und keinerlei wirksame Unterstützung der Protestierenden im Iran zu vernehmen gewesen seien und Deutschland weiterhin enge Beziehungen mit den Herrschenden in Ankara pflege, wurden die Grünen aufgefordert, sich bis zum Abend des 21. Dezembers 2022 öffentlich als Partei zu folgenden Punkten zu bekennen:
1) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass die Bundesrepublik Deutschland bei der OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) eine Untersuchung der Chemiewaffenangriffe in Südkurdistan/Nordirak beantragt.
2) Unterstützen Sie öffentlich die Kampagne „No Flyzone 4 Rojava“ für eine Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien.
3) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass Deutschland ein vollständiges Embargo über die Lieferung von Waffen, Waffenteilen, Munition und Dual-Use-Gütern an die Türkei und den Iran verhängt.
4) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), dass immer wieder als Rechtfertigung für die Verfolgung und Unterdrückung kurdischer und demokratisch bewegter Menschen in Deutschland, der Türkei und ganz Kurdistans herhalten muss, aufgehoben wird. Setzen Sie sich schon jetzt dafür ein, dass bereits laufende Prozesse gegen politisch aktive Kurd:innen gestoppt werden.
5) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass – analog zu Ihrem Beschluss vom Digitalen Kleinen Parteitag am 14. Mai 2022 bezüglich des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – „nie dagewesene politische, wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegen [den Iran, die Türkei] und [ihre] Machtregime“ verhängt werden. Dazu gehören auch das Einfrieren von Vermögen von Regierungsmitgliedern, Diplomat:innen und den „Revolutionsgarden“, die weite Teile der iranischen Wirtschaft kontrollieren. Die iranischen „Revolutionsgarden“ (IRGC) müssen auf die EU-Terrorliste.
6) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass die türkische und die iranische Botschaft geschlossen und Diplomatenpässe und -privilegien annulliert werden.
7) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei für einen Abschiebestopp in die Türkei und für die Öffnung legaler Fluchtwege ein. Der Abschiebestopp in den Iran muss zudem dauerhaft und ohne Ausnahmen gelten. Wie Sie in Bezug auf ukrainische Geflüchtete bereits richtig feststellten: „Bayern hat Platz.“
8) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass die unbürokratischen Aufnahmen und langfristigen Aufenthaltsperspektiven, Rechtssicherheit, Zugänge zu Sprachenkursen und dem Arbeitsmarkt sowie die Rechte auf Wohnen, Bildung und Teilhabe zukünftig für alle Geflüchteten gelten.“
Mit den Parolen „Hoch die internationale Solidarität!“ und „Jin, Jiyan, Azadî“ endete die kurzzeitige Besetzung der Weihnachtsfeier bei den Nürnberger Grünen.