Gedenken an jüdische Zwangsarbeiterinnen von Rheinmetall

Im Rahmen des antimilitaristischen Camps „Rheinmetall entwaffnen“ in Unterlüß hat an der ehemaligen KZ-Außenstelle Tannenberg eine Gedenkveranstaltung für jüdische Zwangsarbeiterinnen des deutschen Rüdtungskonzerns Rheinmetall stattgefunden.

Im Rahmen des antimilitaristischen Camps „Rheinmetall entwaffnen“ in Unterlüß hat an der ehemaligen KZ-Außenstelle Tannenberg in Altensothrieth eine Gedenkveranstaltung für jüdische Zwangsarbeiterinnen des deutschen Rüdtungskonzerns Rheinmetall stattgefunden.

„Wir waren entsetzt, als wir letztes Jahr davon hörten, dass den überwiegend polnischen und ungarischen Jüdinnen hier nicht gedacht wird“, erklärte Doris von „Rheinmetall entwaffnen Frankfurt“. „Wir wollten örtliche Initiativen unterstützen einen würdigen Ort des Gendenkens zu schaffen“, so die Aktivistin weiter.

Die Frankfurter Gruppe hat daraufhin umfangreich recherchiert und konnte 53 Namen von Frauen zusammentragen, die hier in Unterlüß Zwangsarbeit leisten mussten. Unter dem Namen „Studienkreis Widerstand 1933-45“ wurden Interviews ausgewertet, die Überlebende im Juli 1945 gegeben hatten. Ein vorbereiteter Gedenkstein wurde kurz vor dem Zusammentreffen platziert. „Hätten wir ihn vorher hierhingebracht, wäre er wahrscheinlich entfernt worden. Die Menschen aus Unterlüß, mit denen wir im Vorfeld gesprochen hatten, stehen dem Gedenken kritisch gegenüber. Sie wollen sich nicht mit der Geschichte hier vor Ort auseinandersetzen“, sagte einer der Aktivisten.

Nach der Enthüllung des Gedenksteines und einer Gedenkminute wurden Texte überlebender Frauen vorgelesen, die von Hunger, Kälte, Folter, Sadismus und Willkür berichten. Die Frauen waren aus Auschwitz in das Lager gebracht worden und mussten harte Arbeit leisten, so etwa Bunker ausheben. Später wurden sie in die Rheinmetall-Fabrik geschickt, wo sie unter anderem Schrappnelle mit heißem Phosphor füllen mussten. Wenn es keine Arbeit gab, wurden sie von Aufseherinnen stundenlang zu Appellen gezwungen, oder mussten sinnlos hin- und herlaufen, um noch mehr gequält zu werden. Die Frauen bekamen nur sehr wenig zu essen. Wer krank wurde, wurde in den sicheren Tod nach Ausschwitz zurückgeschickt.

Im Anschluss an die Berichte der Überlebenden wurde das jiddische Widerstandslied „Zog nit keynmol“ (Sag nie du gehst den letzten Weg) in deutscher Übersetzung gemeinsam gesungen. Blumen und Steine wurden an dem neuen Gedenkstein niedergelegt. Auf dem etwa vier Kilometer langen Rückweg von Altensothrieth nach Unterlüß wurden Stoffbinden mit den Namen von 40 Frauen aus dem Lager Tannenberg angebracht. Der Weg, den die Frauen jeden Tag gehen mussten, wurde mit weißer Farbe, Erinnerungsbannern und Flatterband markiert. Ein Straßenschild, das auf das Lager und das Mahnmal hinweist, wurde ebenfalls angebracht.

Kaum vorstellbar, wie sich die geschwächten Frauen jeden Tag und bei jedem Wetter und jeder Jahreszeit diesen Weg entlang schleppen mussten, in dem Wissen, dass sie in den Tod geschickt werden, wenn sie nicht weiterkommen.

Neben der Wut darüber, dass Rheinmetall durch seine Waffenproduktion tagtäglich am Mord an den Menschen im Jemen und Syrien beteiligt ist, mischt sich dass Entsetzten über die Vertuschung des massenhaften Folterns und Mordens während des Nationalsozialimus und die Kontinuität der Gewissenlosigkeit bis heute.  

Abendveranstaltung über Zwangsarbeit jüdischer Frauen

Bereits gestern hatten mehr als 90 Personen an einer Abendveranstaltung im großen Zirkuszelt auf dem Gelände des „Rheinmetall entwaffnen“-Camps teilgenommen, auf der Hendrik Altmann über das Lager Tannenberg berichtete. Viele Informationen hat Altmann aus dem Buch der Überlebenden Edith Balas „Vogel im Flug“.

In den letzten Kriegsjahren waren mehr und mehr Zwangsarbeiter*innen in der Rüstungsindustrie eingesetzt worden. Insgesamt 19 Arbeitslager sind rund um Unterlüß dokumentiert. Die einzigen Quellen sind Protokolle von Augenzeugenberichten jüdischer Ungarinnen des National Committee for Attending Deportees. Edith Balas, heute 90-jährig, hatte sich vor einigen Jahren an den Bürgermeister von Unterlüß gewandt, in der Hoffnung, dass dieses dunkle Kapitel aufgearbeitet wird -  vergeblich. Hendrik Altman berichtete, dass kurz vor Kriegsende die Wachmannschaften das KZ verlassen hätten, dann jedoch der Volkssturm - bewaffnete Zivilisten aus Unterlüß - die überlebenden jüdischen Frauen festgenommen und nach Bergen-Belsen verbrachten, wo noch weitere von ihnen zu Tode kamen. Nur 53 Namen der mindestens 900 Frauen sind bekannt.

Die Historikerin Cornelia Rühling berichtete im Rahmen der Veranstaltung darüber, dass es in ganz Deutschland tausende solcher Lager gegeben hätte, die wenigsten seien jedoch dokumentiert. 1944 wurden 1700 ungarische Jüdinnen aus dem KZ Auschwitz nach Walldorf bei Frankfurt gebracht, um für die Firma Züblin am Flughafen eine neue Rollbahn zu bauen. Drei engagierte Walldorfer Bürger*innen begannen in den Siebzigern, die verdrängte Geschichte aufzuarbeiten. Sie fanden Überlebende, im Jahr 2000 folgten 18 Frauen aus sechs Ländern einer Einladung nach Walldorf. An Ausgrabungen beteiligten sich Frankfurter Schüler*innen und sogar Angehörige von Überlebenden.

Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung beschlossen die Stadt Unterlüß aufzufordern, Edith Balas einzuladen, um die Morde von Tannenberg aufzuarbeiten.