Vierter Tag des „Rheinmetall Entwaffnen"-Camps
Seit vier Tagen findet im antimilitaristischen Camp „Rheinmetall Entwaffnen“ im niedersächsischen Unterlüß ein buntes Programm statt.
Seit vier Tagen findet im antimilitaristischen Camp „Rheinmetall Entwaffnen“ im niedersächsischen Unterlüß ein buntes Programm statt.
Neben einem Besuch beim Vorstandsvorsitzenden von Rheinmetall in Hermannsburg fanden im Rahmen des Camps „Rheinmetall Entwaffnen“ in Unterlüß am Mittwoch verschiedene Workshops, ein feministisches Plenum und ein Besuch auf dem örtlichen Friedhof statt. Auf dem Friedhof sind Kinder von Zwangsarbeiterinnen der Rheinmetall-Borsigwerke begraben, die an Unterversorgung gestorben sind.
Workshop: Aspekte der psychologischen Kriegsführung
„Aspekte der psychologischen Kriegsführung“ war das Thema eines Workshops am Vormittag, auf dem u.a. kontrovers diskutiert wurde, ob Befreiungskämpfe auch als Kriege zu werten sind. Patriarchale Gewalt wie Vergewaltigungen wurden neben der Unterdrückung von Sprache und Kultur als gesellschaftsschwächende Strategie auch heutiger Kriege entlarvt. Durch Konsum und Entpolitisierung würden die internationale Solidarität mit Kriegsbetroffenen und Organisierung in den verursachenden Ländern geschwächt, Unterstützung wie zum Beispiel Seenotrettung kriminalisiert, diskutierten die Teilnehmer*innen.
Schwerpunktthema Zwangsarbeit
Ein Schwerpunktthema am Mittwoch war die Vernichtung durch Arbeit bei Rheinmetall während der Nazizeit. Am Mittag berichtete Helga Rohmer von der VVN Celle über ihre Recherchen zu Zwangsarbeit in Unterlüß. Einer der hier Ermordeten war der italienische Offizier Guiliano Nicolini.
Nicolini, der sich geweigert hatte den Hitlerfaschismus zu unterstützen, ist am 6. April 1945 in einem Arbeitserziehungslager zu Tode geprügelt worden. 56 Prozent der Arbeiter*innen bei Rheinmetall waren Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa, mindestens 4000 Menschen. Zunächst wurden schwangere Frauen aus Osteuropa nach Hause geschickt, später mussten sie bis kurz vor der Geburt und wenige Tage nach der Geburt wieder arbeiten. Ihre Kinder wurden in sogenannten „Ausländerkinderpflegestätten“ gebracht, wo mehr als die Hälfte von ihnen an Unterernährung starb. Auch bei einem alliierten Luftangriff starben mindestens 50 bis 60 Kinder, deren Namen nicht dokumentiert sind. Erst 2002 wurde eine Gedenktafel auf dem örtlichen Friedhof aufgestellt, die Kinder werden respektlos als „Russenkinder“ und „Polenkinder“ bezeichnet.
Helga Rohmer hat dafür kein Verständnis, auch nicht dafür, dass in ganz Unterlüß kein Raum für eine Veranstaltung zur Verfügung gestellt wurde. Der Unterlüßer Historiker Peter Heine wollte auf dem Camp nicht sprechen, da er selbst bei Rheinmetall arbeite, so Helga Rohmer.
Am Abend wird der Heimatforscher Henrik Altmann, der auch im letzten Jahr auf dem Camp über das Lager Tannenberg informiert hatte, über die Zwangsarbeit bei Rheinmetall und die Geschichte des Außenlagers Tannenberg berichten. Cornelia Rühling wird über die Geschichte jüdischer Zwangsarbeiter*innen an der „Rollbahn“ des Frankfurter Flughafens berichten. Am Donnerstag wird ein „Weg der Erinnerung“ vom Außenlager des KZs Bergen Belsen, Tannenberg zum Rheinmetallwerk gebahnt werden.
Workshop zu autonomer feministischer Organisierung
Am Nachmittag fand ein Workshop der feministischen Kampagne „Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und demokratische Autonomie" zu autonomer feministischer Organisierung statt. Rund 25 bis 30 feministische Personen kamen zusammen und setzten sich in vier Stunden aktiv mit unterschiedlichen Aspekten des Themas auseinander.
Für viele bedeuten feministische Räume und Organisierung, überhaupt einen Zugang zu politischer Organisierung zu finden. In einem intensiven persönlichen Erfahrungsaustausch teilten die Anwesenden wichtige Erlebnisse, die sie zu einem Bewusstsein über das Patriarchat und Möglichkeiten, sich gemeinsam dagegen zur Wehr zu setzen, brachten. Inspiriert durch die Frauenbefreiungsbewegung Kurdistans wurde ein breites Verständnis von Selbstverteidigung diskutiert, welches sowohl körperliche als auch mentale Anteile hat. Hiervon ausgehend wurden Strategien und Wege für die Praxis entworfen. Gestärkt und mit einem guten Gefühl fand der Workshop für alle einen schönen Abschluss, erklärte eine Teilnehmerin: „Klar ist: Feministische Selbstverteidigung und eine bessere Welt sind durch eine organisierte Kraft zu erreichen.“