Die Blume des Andok Cotkar blüht weiter

Der Internationalist Andok Cotkar (Konstantin Gedig) verteidigte Serêkaniyê, als er vor fünf Jahren durch einen türkischen Luftangriff ermordet wurde. In seiner Heimat Kiel ist ihm gedacht worden.

Reger Andrang bei Gedenkfeier zum 5. Todestag

Die Plätze im weitläufigen Mega-Saray Eventcenter wurden knapp, als sich am Sonntag rund 300 Personen zur Gedenkveranstaltung anlässlich des fünften Todestags des Kieler Internationalisten Andok Cotkar (Konstantin Gedig) in dessen Heimatstadt versammelten. Der junge Landwirt hatte sich im Alter von 21 Jahren auf eigene Faust den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nord- und Ostsyrien angeschlossen, um die dortige Bevölkerung vor der dschihadistischen Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu beschützen. Drei Jahre später wurde er bei der Verteidigung von Serêkaniyê durch Bomben der türkischen Luftwaffe getötet, als er dort die Evakuierung eines Krankenhauses absicherte.

„Aufopferung und Mut im Dienst des globalen Friedens und der Gerechtigkeit“

Einen intensiven Nachmittag lang hielten Angehörige, Weggefährt:innen und solidarische Internationalist:innen die Erinnerung an die Geschichte eines besonderen Menschen, seine humanistischen Werte und den Kampf wach, für den er sein Leben gab. Aus dem gesamten Bundesgebiet waren die Teilnehmer:innen angereist, um Andok Cotkar an der Seite seiner Eltern Ute Ruß und Thomas Gedig sowie seines Bruders Benjamin zu gedenken, selbst aus Irland hatte sich eine Delegation der Feier angeschlossen.



Nach einer Schweigeminute für alle Gefallenen des Freiheitskampfes in Kurdistan wurde ein Brief von Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), verlesen. Darin würdigte er Andok Cotkar nicht nur als Kämpfer für die Menschenrechte, sondern auch als konsequenten Revolutionär in den Reihen einer Bewegung, „die darauf abzielt, die Menschen von allen Formen der Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu befreien, ob politisch, sozial oder wirtschaftlich“. Innerhalb des revolutionären Aufbaus in Nord- und Ostsyrien habe Andok sich herausragend für die Rechte der Arbeiter:innen und Landwirt:innen sowie benachteiligter Gruppen eingesetzt. Abdi versprach im Namen der QSD, „diesem Vermächtnis treu zu bleiben und uns weiterhin um die Verwirklichung der Ziele zu bemühen, für die er gelebt hat“.

„Hoffnung ist ein Lichtschein in der Barbarei“

Anschließend übernahmen Familienangehörige das Wort. Einleitend verurteilte Andoks Vater Thomas die aktuellen Angriffe des türkischen Militärs auf Wohnhäuser und zivile Infrastruktur in den kurdischen Gebieten in der zurückliegenden Woche. Er forderte die deutsche Bundesregierung auf, ihre Unterstützung für den türkischen Staat einzustellen und sich für eine Klage gegen die Türkei vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag einzusetzen.

Andoks Mutter Ute würdigte ihren Sohn als klug, willensstark, mutig und überzeugt davon, das Richtige zu tun. Benjamin charakterisierte seinen älteren Bruder mit Zitaten aus den Erinnerungen von Marcello, der Kommandant gewesen ist, als Andok während der Befreiung von Raqqa im Jahre 2017 verletzt wurde. Dieser rühmte, neben seiner Tapferkeit und Entschlossenheit, die mehrmals seine Einheit retteten, insbesondere auch dessen Witz, Unbeschwertheit und Fähigkeit „mitten in der Hölle Freude zu empfinden“. Marcellos Darstellungen bildeten auch im Folgenden den Kern der diesjährigen Rede der Familie.

Die gemeinsame Ansprache der Familie war in diesem Sinne auch ein Appell gegen die Entmutigung. In den Worten des jüdischen Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel forderte Ute, der Übermacht des Grauens zu trotzen und den Kampf gegen alle Ungerechtigkeit fortzuführen: „Es mag Zeiten geben, da wir gegen Ungerechtigkeiten machtlos sind, aber wir dürfen nie versäumen, dagegen zu protestieren.“

„... für unseren Rechtsstaat … unsere Werte … unsere Freiheit …“

Nachfolgend wurde der Literaturpreis Konstantin – Andok des SOLI NETZ präsentiert, den unter knapp 200 Einsendungen die Bochumer Schriftstellerin und Dramaturgin Rike Reiniger für sich vereinnahmen konnte. Der in diesem Jahr erstmals verliehene Preis erinnert auch an das rege literarische Interesse Andoks. Reinigers Anti-Kriegs-Theaterstück „Risse in den Wörtern“ habe der Ausschreibung unter dem Motto „Mut zur Haltung“ genial entsprochen.

Neues Graffiti in Kiel-Gaarden

Tiffany Köberich, Schauspielerin am Theater Kiel, trug in einer beeindruckenden Vorstellung Auszüge des Theatermonologs vor. Er behandelt die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer ökonomischen Notlage zum Bundeswehr-Soldaten wird und in Afghanistan stationiert wird. Bei einem Gefecht mit den Taliban sterben einer seiner Kameraden und ein junger afghanischer Milizionär. Als er seinem feindlichen Gegenüber die Menschenwürde erweist und ihm entgegen den Vorschriften und dem politischen Kalkül ein Begräbnis vergönnt, wird er suspendiert und muss sich der Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Im Verlauf seiner Verteidigungsrede erkennt er in seinem Feind jemanden wieder, der wie er Opfer herrschender Interessen geworden ist, für die er die Waffe in die Hand nehmen musste. Angeklagt wurde jedoch der Verrat daran, weil er sich entgegen der Kriegslogik ein Stück Menschlichkeit bewahrt hat.

An dieser Stelle wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass es bis heute keinen Gedenkort für die Angehörigen von Andok-Konstantin gibt. Sowohl die Türkei als Besatzungsmacht in Serêkaniyê, als auch die Bundesregierung verweigern die Aufklärung des Verbleibs seiner sterblichen Überreste seit fünf Jahren.

„Widerstand ist Leben“

Einen Schwerpunkt der diesjährigen Gedenkveranstaltung stellte die Thematisierung des IS-Genozids im nordirakischen Şengal vor zehn Jahren dar. Tausende Menschen Ezid:innen wurden seit 2014 von der Terrormiliz ermordet, Frauen und Kinder verschleppt und versklavt. 400.000 Menschen wurden durch die Massaker aus ihrer Heimat vertrieben, die meisten von ihnen warten bis heute auf Rückkehr. Es waren Kämpfer:innen der PKK, der YPG und YPJ, die den Ezid:innen damals als einzige zur Hilfe eilten und einen Fluchtkorridor errichteten. Als Andok im Jahre 2019 aus Deutschland in die Region zurückkehrte, schloss auch er sich zunächst den ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ an und unterstützte Geflüchtete bei ihrer Rückkehr nach Şengal.

Die Angriffe auf die Ezid:innen dauern jedoch bis heute an. Ihnen wurden die Lieder „Şengal bîrîndare“ (Şengal ist verwundet) und „Gazîn“ (Klage) gewidmet. In einem anschließend gezeigten Mitschnitt einer Rede von Thomas und Ute bei einer Kundgebung zum zehnjährigen Gedenken des Genozids am 3. August dieses Jahres in Hannover wurden ihre Forderungen nach Gerechtigkeit für die Ezid:innen und einen Abschiebestopp in den Irak vorgetragen.

Die Vielfältigkeit des Widerstands und seine schöpferische Aufbaukraft wurde in Form der Bielefelder Initiative „Frieden und Hoffnung für Kurdistan“ vorgestellt. Diese unterstützt vielseitige zivilgesellschaftliche Projekte in den Bereichen Gedenkarbeit, Bildung und Traumabewältigung in Şengal und in Rojava. In einem Grußwort wandte sich die Vereinsvorsitzende Emine Gözen an die Teilnehmer:innen der Gedenkveranstaltung, bevor ihre Mitstreiterin Berfîn konkrete Tätigkeiten der Initiative darstellte. So ist diese in Şengal an der Errichtung eines Gedenkwalds für ermordete und verschleppte Frauen sowie dem Bau von Kinderspielplätzen beteiligt. Einer davon trägt den Namen Andok Cotkars.

„Die Gefallenen sind unsterblich“

Nach einer ausgedehnten Pause mit reichhaltigem Buffet, zu dem zahlreiche Gruppen und Initiativen beigetragen hatten, folgten Grußworte des Vereins der Familien von Gefallenen (KOMAV) und der Föderation der demokratischen Gesellschaften Kurdistans in Norddeutschland (FED-DEM). Dabei wurden abermals die revolutionäre Haltung, das Herz und die Freundschaft Andoks herausgestellt. Für ihn wurde daran anknüpfend das nunmehr obligatorische Lied „Zana û Andok“ vorgetragen.

Auch die jüngst von Ronahî TV veröffentlichte Dokumentation „Şehîdên Enternasyonal“ (Die internationalistischen Gefallenen), die im Anschluss gezeigt wurde, behandelt als Schwerpunkt das Leben, den Kampf und das Vermächtnis Andoks. Verschiedene Wegbegleiter:innen auf unterschiedlichen Stationen seines Lebens zeichnen darin das Bild eines sprachbegabten, belesenen und diskussionsfreudigen Menschen, den gleichzeitig eine bodenständige Bescheidenheit auszeichnete, die nutzlosem Besitz und Äußerlichkeiten keinen Wert beimaß. Ein naturverbundener junger Mann, den die Empathie mit den Leidtragenden von Krieg und Unterdrückung nach Rojava brachte und der seine Überzeugungen konsequent verfolgte.

Mit der Uraufführung einer kurdisch-sprachigen Interpretation des Liedes „Ha Gerilla“, im Original aus der Feder des Musikers und Kämpfers Hozan Sefkan aus der kurdischen Bewegung, sorgte eine kulturelle Weltpremiere für Stimmung. Eigens für die Gedenkveranstaltung hatte Mamoste Amêdî den ursprünglich türkischen Text ins Kurdische übersetzt und die Hymne der Hoffnung an die kurdische Guerilla von den Spuren von Unterdrückung und Kolonisierung befreit.

Als abschließender inhaltlicher Beitrag eines langen Nachmittags, der den eigentlichen Zeitrahmen großzügig überschritt, stellte sich die Combat Medic Academy Şehîd Andok Cotkar (Akademiya Şehîd Andok Cotkar Ya Tenduristvanên Şer) in Videobotschaften vor. Als Ehrung seines bewundernswerten Einsatzes als Frontsanitäter werden an der Akademie unter dem Namen Andok Cotkars Erstversorger:innen für Kriegssituationen ausgebildet, die sein einstiges Wirken heute fortführen können.

Mit dem, ebenfalls längst obligatorischen, gemeinsamen Singen des italienischen Partisan:innenliedes „Bella Ciao“ wurde zum Ende der gut besuchten, lebendigen und gehaltvollen Gedenkveranstaltung dafür Sorge getragen, dass die Blume des Heval Andok, der für unsere Freiheit starb, auch am fünften Jahrestag seiner Ermordung weiterblüht.