„Demokratisierung nur durch Zerschlagung des aktuellen Systems möglich“

Hakan Dilmeç von der linken Bewegung Kaldıraç erklärt, dass eine Demokratisierung der Türkei nur durch eine Zerschlagung des aktuellen Systems möglich sei. Die Republik Türkei sei auf Massakern aufgebaut.

Der Nationalismus in der Türkei reicht bis weit in linke Kreise hinein. Das Medium für die Verbreitung des Nationalismus ist die staatsfixierte, monistische und autoritäre Ideologie des Kemalismus. Im ANF-Gespräch analysiert Hakan Dilmeç von der linken Kaldıraç-Bewegung die Bedeutung des Kemalismus und die Geschichte der Republik Türkei.

Die Republik Türkei ist auf den Leichen der TKP-Führung aufgebaut“

Dilmeç erinnerte daran, dass die Republik Türkei auf den Leichen der Führungskader der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) gegründet wurde. In der Nacht zum 29. Januar 1921 waren Mustafa Suphi, Ethem Nejat und 13 Genossen auf heimtückische Weise ermordet und ihre Leichen ins Schwarze Meer geworfen worden. „Die 100-jährige Geschichte der türkischen Republik ist eine Geschichte von Massakern“, so Dilmeç. „Diese Republik war nie die unsere. Sie wurde auf dem Ertränken unseres Mustafa und seiner Genossen im Schwarzen Meer gegründet.“ Die Republik stütze sich seit hundert Jahren auf die Verleugnung und Vernichtung der Völker, auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse und auf Antikommunismus. Die Geschichte der Massaker wurde immer wieder mit der angeblichen Fortschrittlichkeit des Kemalismus relativiert. Es sei aber notwendig, diese kemalistische Illusion insbesondere in der Linken zu brechen. Das sei nur durch den gemeinsamen Kampf der Völker möglich.

Hakan Dilmeç

Kurdische Freiheitsbewegung hat Kemalismus zurückgedrängt“

Er kritisierte die sogenannten linken Kemalisten für ihre krampfhafte Suche nach positiven Aspekten des Kemalismus und ihre Ignoranz den kemalistischen Massakern gegenüber. Dilmeç stellte fest, dass der Fortschritt der kurdischen Revolution und die Auswirkungen des Kampfes der kurdischen Freiheitsbewegung den Kampf anderer Völker sichtbarer machten. Man habe versucht, die Geschichte der Griechen, Lasen und Armenier zu begraben, aber sie habe überleben können. Er fuhr fort: „Heute hat dieser Kampf viel zum Rückgang des kemalistischen Einflusses beigetragen; im Vergleich zu früher ist der Einfluss des Kemalismus viel geringer. Nichtsdestotrotz existiert immer noch die Haltung, nicht auf seine eigene Kraft zu vertrauen, nicht an die Stärke des Widerstands zu glauben, sich nicht für die Fähigkeit der Arbeiterklasse und der Völker zu interessieren, sondern den Retter anderswo zu suchen. In unserer Region erscheint dann als angeblicher Retter der Kemalismus.“

Vereinigung des Widerstands von Gezi und Kobanê“

Dilmeç sagte, dass der enorme Widerstand der kurdischen Freiheitsbewegung, der Anfang der 1990er Jahre aufkam, der Revolutionsbewegung in Anatolien Auftrieb gab; die kurdische Revolution und die anatolische Revolution begannen zusammenzuwachsen: „Mit dem Gezi-Widerstand ist die Chemie mit Machthabern der türkischen Republik gestört worden. Die kurdische Revolution auf der einen Seite und die aufkommende Volksbewegung aus dem Westen auf der anderen Seite fordern die türkische Republik weiterhin heraus. Das Ergebnis der HDP vom 7. Juni (2015) zeigte, dass der Gezi-Widerstand und der Widerstand von Kobanê ihre Kräfte vereinen und allen Hoffnung geschenkt hatte. Der Aufbau des Palastregimes, das heute herrscht, begann ebenfalls damals und wurde als Reaktion auf dieses Szenario eingeleitet. Die Linke muss sich immer daran erinnern, dass sie im Kampf voranschreiten kann, wenn sie dabei diese Geschichte nicht vergisst.“

Der Platz der Republik Türkei ist auf Seiten staubiger Geschichtsbücher“

Dilmeç betonte, dass der einzige Weg zur Demokratisierung des Landes die Zerschlagung der Republik Türkei sei: „Wenn wir anfangen, über Demokratie, ein freies Leben, Geschwisterlichkeit und Gleichheit für Arbeiter, die Völker, Frauen und Studierenden zu sprechen, wird sich die Türkische Republik auf den staubigen Seiten der Geschichte wiederfinden. Das ist der Zeitpunkt, an dem die alten Völker Anatoliens und Mesopotamiens, die Arbeiter und Unterdrückten beginnen werden, gleichberechtigt, frei und geschwisterlich zu leben.“