Mehmet Aytunç Altay gehörte zu den Führungskadern der Kommunistischen Partei der Türkei - Einheit (TKP-B). Er saß über 30 Jahre in türkischen Gefängnissen und wurde im August aus der Haft entlassen. Im ANF-Gespräch äußerte er sich über die Perspektiven der Linken in der Türkei. Er unterstrich, dass die Linke immer im Bündnis mit dem Kampf in Kurdistan agieren müsse. Es gehe heute darum, einen gemeinsamen, parallelen Kampf aufzubauen.
„Das Projekt der F-Typ-Gefängnisse ist gescheitert“
Das Isolationsmodell der F-Typ-Gefängnisse, das eigentlich dazu dienen sollte, die politischen Gefangenen zu brechen, sieht Altay als gescheitert an: „Drinnen bewahren sich die Menschen ihre politische Identität und bilden sich für den Kampf draußen. Sie tun ihr Bestes, um sich mit den minimalen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, am Kampf draußen zu beteiligen. In diesem Sinne ist das Projekt der F-Typ-Gefängnisse gescheitert.“
Aufgrund dessen seien anschließend die Y- und S-Typ-Gefängnisse eingerichtet worden und man begann, die politischen Gefangenen dorthin zu verlegen. Altay sagte über diese Entwicklung: „Es hat eine gewisse Zeit gedauert, diese Gefängnisse zu verstehen. Es braucht Zeit, um Nachrichten von denjenigen zu erhalten, die dorthin verlegt wurden, ja sogar, um zu erfahren, wo sie sich aufhalten, denn in den Zellen, in denen sie dort festgehalten werden, dauert es lange, bis sie verstehen können, was vor sich geht. Auch unsere Freunde in anderen Gefängnissen brauchten lange, um uns zu informieren. Als ich im Gefängnis war, gab es daher keinen kollektiven Widerstand gegen die Y-Typen, aber aus Solidarität haben wir unseren Freunden dort so oft wie möglich geschrieben, sie finanziell unterstützt und sie versorgt. Wir kennen den Widerstand der Freunde dort. Sie kämpfen auf verschiedene Weise gegen das Gefängnissystem.“
Altay berichtete über die Entwicklungen in der Linken seit seiner Inhaftierung: „In den Jahren 1993/94, als sich der Kampf in Kurdistan auf seinem höchsten Niveau befand, waren die türkische Revolution und wir, die revolutionäre Bewegung in der Türkei, nicht in der Lage, parallel dazu stärker zu werden und gleichzuziehen. Es gab einige Bemühungen, ein strategisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Es entwickelten sich Friedensbemühungen. Letztendlich konnte keine Phase der strategischen Offensive erreicht werden und das führte zum internationalen Komplott und der Inhaftierung der Führung des kurdischen Freiheitskampfes auf Imrali. Als ich im Gefängnis war, war der Kampf in Kurdistan sehr stark, der Kampf in der Türkei hat dieses Niveau nie erreichen können, aber er war stärker als heute. Als ich jetzt herauskam, sah ich, dass sich der Kurs und die Strategie des Kampfes in Kurdistan geändert hatten und dass der Kampf in der Türkei noch weiter als damals zurückgegangen war. Heute stehen wir vor der Aufgabe, einen koordinierten, parallelen und abgestimmten Prozess zu entwickeln.“
„Die Kräfte in der Türkei müssen auf dieser Verbindung bestehen“
Altay betonte, die Befreiung der Völker in der Türkei und Kurdistans seien intrinsisch miteinander verbunden: „Die Befreiung der Völker Mesopotamiens und Anatoliens bedingt sich gegenseitig. Das zeigen alle vergangenen Entwicklungen. Als der revolutionäre Prozess in Kurdistan viel weiter fortgeschritten war als der Prozess in der Türkei und die Türkei ihn nicht einholen konnte, wurde auch auf der kurdischen Seite kein Erfolg erzielt. Die Niederlage auf der einen Seite warf die andere Seite zurück. Deshalb ist das Bündnis zwischen der revolutionären Bewegung in der Türkei mit dem Kampf in Kurdistan eine strategische Notwendigkeit für die Befreiung in dieser Region. Ein solches Bündnis ist in jeder Hinsicht und unter allen Bedingungen dringend notwendig. Die Kräfte in der Türkei sollten immer auf einem Bündnis mit dem Kampf in Kurdistan bestehen, und einige linke Kräfte, die nicht Teil dieses Bündnisses sind, sollten sich hinterfragen und ihren Platz in diesem umfassenden Kampfbündnis einnehmen.“
„Der Virus des Nationalismus ist auch in der Linken verbreitet“
Altay kritisierte einige linke Kräfte in der Türkei dafür, dass sie die Angriffe auf Rojava ignorierten, und erklärte, der Virus des Nationalismus habe auch die türkische Linke erfasst: „Die Besetzung von Rojava ist offensichtlich. Es handelt sich um eine Okkupation, das kann jeder normale Mensch sehr leicht verstehen. Ein Staat ist in das Gebiet eines anderen Volkes eingedrungen. Die Türkei ist dort eingefallen. Das ist eine unbestreitbare Tatsache. Der Nationalismus ist ein sehr starkes Virus. Dieses Virus breitet sich überall aus, auch bei den Linken. Bei der Situation in Rojava handelt es sich um eine offene Besatzung, noch deutlicher als in Palästina. Es ist völlig irrational, wenn man beachtet, was in Palästina passiert, und sich weigert, das Geschehen in Rojava wahrzunehmen.“
Wer ist Mehmet Aytunç Altay?
Mehmet Aytunç Altay wurde 1956 in Giresun geboren. Nach dem Besuch der Grund- und Sekundarschule in Ankara, wohin er in jungen Jahren mit seiner Familie zog, machte er seinen Abschluss am Kurtuluş-Gymnasium in Ankara. Er begann ein Universitätsstudium an der Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ). Später, als er im dritten Studienjahr an der Fakultät für Politikwissenschaften in Ankara war, brach er das Studium ab und beteiligte sich am sozialistischen Kampf.
M. Aytunç Altay wurde 1993 in Istanbul verhaftet. Er wurde schwer gefoltert, verweigerte aber dennoch die Aussage. Seine Standhaftigkeit wurde als Beweis für seine Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“ eingestuft, und er wurde vor einem der berüchtigten Staatssicherheitsgerichte zu lebenslanger Haft verurteilt.