In Istanbul haben Intellektuelle, Politiker:innen, Journalist:innen und Kunstschaffende ein politisches Umdenken in der kurdischen Frage gefordert. Ein von 78 bekannten Persönlichkeiten unterzeichneter Friedensappell wurde am Samstag in einem Hotel am Taksim vorgestellt. Akın Birdal, Ehrenpräsident des Menschenrechtsvereins IHD, hielt eine Begrüßungsansprache, die Menschenrechtsaktivistin Nimet Tanrıkulu verlas die gemeinsame Deklaration, in der auf den dringenden Bedarf nach gesellschaftlichem Frieden in der Türkei und im Nahen Osten hingewiesen und „Friedens- und Freiheitspolitik statt Kriegs- und Isolationspolitik" gefordert wird.
„Aufruf zum Frieden“: Vorstellung des Friedensappells in Istanbul
„Frieden und Freiheit statt Krieg und Isolation“
In der Deklaration heißt es: „Zwischen 2013 und 2015 erlebte die Türkei den letzten der seit 1993 mit einigen Versuchen fortgesetzten Prozesse zur demokratischen und friedlichen Lösung der kurdischen Frage. Leider endete auch dieser letzte Versuch mit einem Scheitern. Dennoch gab es in dem erwähnten ,Lösungsprozess' wichtige Entwicklungen. In dieser Zeit wurde zum ersten Mal in der Türkei ein konfliktfreies Umfeld und ein ernsthaftes Klima des sozialen Friedens und der Ruhe erreicht.
„Erster Gesprächspartner war Abdullah Öcalan“
Die Gespräche auf Imrali, die mit Wissen der Regierung stattfanden, waren einer der wichtigsten Faktoren, die dieses Klima sicherten. Es wurde sogar ein spezielles Gesetz erlassen für diesen Dialogprozess, der für die Zukunft der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist. Darüber hinaus wurde von der Regierung ein Ausschuss der Weisen gebildet, und es wurden wichtige Berichte erstellt, in denen der Friedens- und Lösungsprozess in der gesamten Türkei diskutiert wurde. Die gemeinsame Aussage der Berichte, die vom Ausschuss der Weisen auf Grundlage der in sieben Regionen der Türkei durchgeführten Arbeit erstellt wurden, war, dass eine friedliche Lösung der kurdischen Frage möglich ist und von der Öffentlichkeit voll unterstützt wird. Das wichtigste Merkmal dieses Prozesses, in dem Entwicklungen von historischer Bedeutung stattfanden, war, dass die Person, mit der die Regierung und der Staat als erstem Gesprächspartner zusammentrafen und die auch von kurdischer Seite benannt wurde, Abdullah Öcalan war.
„Spirale aus Konflikten und vielfältigen Krisen“
Im Jahr 2015 brach der Friedens- und Lösungsprozess zusammen und die Türkei geriet schnell in eine Spirale aus Konflikten und vielfältigen Krisen, insbesondere der sich daraus entwickelnden Wirtschaftskrise. Seit dem 24. Juli 2015 hat dieser ununterbrochene und sich vertiefende Prozess in der Türkei, im Irak und in Syrien das Land an einen Punkt gebracht, an dem es in vielen Bereichen wie Politik, Recht, Wirtschaft, Moral, Kultur usw. geschwächt, degeneriert und verfallen ist.
In dieser Zeit hat sich das Regime der Türkei vollständig in ein autoritäres Regime verwandelt. Die politische und soziale Opposition in der Türkei war nicht in der Lage, diesen Wandel zu verhindern, der durch das Ausbleiben einer Lösung für die kurdische Frage noch verstärkt wurde. Das autoritäre Regime hat seinen Einfluss auf seine politischen Gegner intensiviert, die Justiz wurde politisiert und die Politik der Inhaftierung wurde zu einem grundlegenden Repressionsinstrument.
„Soziale Bewegungen und das Parlament müssen handeln“
Diese Zeit, die im Einklang mit den politischen Zielen des Regimes gestaltet wurde, hat ein solches Stadium erreicht, dass selbst bestehende Gesetze nicht mehr durchsetzbar sind, wie im Fall des Inselgefängnisses Imrali. Es ist eine schwerwiegende Abweichung von der nationalen und internationalen Gesetzgebung, Rechtsprechung und den rechtlichen Werten festzustellen. Angesichts dieser Realität ist der Aufbau von gesellschaftlichem Frieden vor allem auch die wichtigste Grundlage eines demokratischen Systems. Die friedensstiftende Aufgabe fällt den sozialen Bewegungen mit ihrer pluralistischen, integrativen und dynamischen Struktur und den politischen Parteien mit ihren Fraktionen in der Großen Nationalversammlung der Türkei zu. Der Widerstand der gesellschaftlichen Opposition und des Parlaments gegen die Kriegspolitik und das Vorantreiben einer demokratischen Lösung und eines Friedensprozesses müssen sich gegenseitig befruchten und stärken.
„Den Flächenbrand im Nahen Osten verhindern“
Der Aufbau eines Friedensprozesses ist angesichts der Realität im Nahen Osten, der sich in einen Flächenbrand verwandelt hat, die dringendste humanitäre Aufgabe von heute. Es ist eine Frage des Prinzips, auf der Seite des Friedens und gegen den Krieg zu stehen. Wir sind gegen alle Maßnahmen, die das humanitäre Recht in Palästina, Nord- und Ostsyrien, Irak, Karabach und der Ukraine verletzen, wir kritisieren sie. Die Tatsache, dass diese Politik, die zu Todesfällen und Vertreibungen führt, totgeschwiegen wird, ist auf das Fehlen oder die Schwäche einer Friedenspolitik zurückzuführen. Das Prinzip ,Frieden zu Hause und Frieden in der Welt' muss ohne Ambivalenz als ,Frieden in der Türkei und Frieden im Nahen Osten' verteidigt werden.
„Probleme durch Dialog und Konsens lösen“
Soziale Probleme können durch eine Kultur des Dialogs und des Konsenses unter Bezugnahme auf die Werte der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Freiheit gelöst werden. Der Weg dazu ist die Verteidigung des Zusammenlebens der Völker auf Grundlage von Gleichheit nach innen und außen ohne Wenn und Aber. Unser Bestreben ist die Suche nach Frieden und der Mut, Friedensreisende zu sein. Der Zustand des Friedens, der am Ende dieses mühsamen, aber ehrenvollen Weges erreicht werden wird, wird auch eine gesellschaftliche Gesundheit bewirken. Die Entstehung gesellschaftlicher Gesundheit wird nicht nur uns als Individuen und die Gesellschaft, sondern auch das System als Ganzes stark und gesund machen. Aus diesem Grund sagen wir einmal mehr: Es gibt keine Gewinner im Krieg und keine Verlierer im Frieden.
„Die Isolation von Öcalan muss beendet werden“
Wie die Initiativen zwischen 1993 und 2015 gezeigt haben, ist Abdullah Öcalan einer der Gesprächspartner, die die Initiative ergreifen und Lösungen für die Verteidigung und den Aufbau des Friedens erarbeiten können. Öcalan, der eine entscheidende Rolle bei einer demokratischen und friedlichen Lösung der kurdischen Frage spielt, ist seit 32 Monaten aller seiner verfassungsmäßigen und gesetzlichen Rechte beraubt; seine Familie und seine Anwältinnen und Anwälte dürfen keine Nachrichten von ihm erhalten. Wir betonen, dass diese Unrechtmäßigkeit so schnell wie möglich aufgehoben werden muss und Öcalans Rechte zu respektieren sind. Wir glauben, dass Öcalan einen sehr wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Friedens leisten kann und das für die Türkei von historischer Bedeutung ist. Unter diesem Gesichtspunkt fordern wir die Regierung auf, die rechtswidrige Isolationspraxis zu beenden. Wir fordern die politische und gesellschaftliche Opposition auf, die Politik des Friedens zu stärken. Wie die jüngsten Entwicklungen erneut gezeigt haben: Der schlechteste Frieden ist besser als der gerechteste Krieg."
Die Unterzeichnenden des Friedensappells
Bei den Unterzeichnenden des Friedensappells handelt es sich um Abdulhakim Daş, Ahmet Asena, Ahmet Faruk Ünsal, Ahmet Türk, Ahmet Uçar, Akın Birdal, Ali Duran Topuz, Ali Kenanoğlu, Atilla Yüceak, Ayşegül Devecioğlu, Azad Barış, Bahadır Altan, Birgül Asena Güven, Canan Kaplan, Canan Yüce, Cavit Uğur, Celal Fırat, Cengiz Çiçek, Cevdet Bağca, Dilek Gökçin, Doğan Özgüden, Ekin Yeter Moray, Elif Torun Öneren, Ender Öndeş, Erdal Doğan, Erdoğan Yalgın, Eren Keskin, Erol Katırcıoğlu, Esengül Demir, Fatma Gök, Ferda Koç, Feryal Öney, Fikret Başkaya, Filiz Kerestecioğlu, Gamze Taşçı, Gülsüm Ağaoğlu, Hakan Öztürk, Hakan Tahmaz, Hasan Cemal, Hayrettin Belli, Hüseyin Aykol, Hüseyin Ayrılmaz, Hüsnü Öndül, İnci Hekimoğlu, İnci Tuğsavul, İrfan Aktan, Jülide Kural, Kadriye Doğan, Kanber Saygılı, Kezban Konukçu, Mert Büyükkarabacak, Mukaddes Erdoğdu Çelik, Musa Kulu, Müslüm Yücel, Namık Koyuncu ,Nejat Taştan, Nesimi Aday , Nimet Tanrıkulu, Orhan Alkaya, Oya Ersoy, Oya Öznur, Özgür Karabulut, Özgür Müftüoğlu, Pakrat Estukyan, Perihan Koca, Pınar Aydınlar, Rıdvan Turan, Seda Berzeg, Serhat Çakmak, Sinan Gökçe, Suna Aras, Şanar Yurdatapan, Yaşar Güven, Zeki Gül, Ziya Halis, Ertuğrul Barka, Ertuğrul Mavioğlu und Ercan Altuntaş.