Der Gaza-Krieg und der Bedarf nach wahrer Demokratie

Ich schreibe als ein Kämpfer, der sich verpflichtet hat, das palästinensische Volk zu verteidigen, und ich stehe nach wie vor zu diesem Versprechen. Damals gab es die Hamas noch nicht.

Der Dritte Weltkrieg verschärfte sich am 7. Oktober im Gazastreifen, als die Hamas Israel mit 5.000 Raketen angriff. Die Konfliktsituation in dem Gebiet hatte nie aufgehört. Die israelisch-arabischen und israelisch-palästinensischen Widersprüche und Konflikte waren die Ursache dafür. Die guten Beziehungen, die einige arabische Staaten zu Israel aufzubauen versuchten, führten nicht zu einer angemessenen Lösung des Problems. Auch das als „Zwei-Staaten-Modell" bezeichnete Verständnis und Projekt reichte nicht aus, um das israelisch-palästinensische Problem zu lösen. Auf dieser Grundlage war die betreffende Region ein ständiger Konfliktherd, und nun hat sich diese Situation zu einem höchst gefährlichen Krieg entwickelt.

Als die Hamas mit fünftausend Raketen angriff und Israel mit noch schlimmeren Angriffen antwortete, verwandelte sich Gaza in ein Blutbad. Einige meinen, Israel habe mit einem solchen Angriff gerechnet und sei bereits darauf vorbereitet gewesen. Andere sagen, die Angriffe der Hamas hätten Israel schockiert und nun reagiere die israelische Führung darauf. Vielleicht ist an beidem etwas Wahres dran. In jedem Fall aber ist das Ergebnis ein Krieg, der durch keinerlei humanitäre Werte begrenzt ist, und die Menschen in Gaza zahlen den höchsten Preis. Natürlich hat auch das jüdische Volk schwere Verluste erlitten. Es gibt offenbar auch viele Menschen außerhalb der jüdischen und palästinensischen Gemeinschaften, die Opfer dieses Krieges sind. Hunderte Geiseln befinden sich in Lebensgefahr. Die israelische Regierung sagt, dass sie zu einem Bodenangriff auf Gaza bereit ist, aber es ist nicht klar, was zu irgendeinem Zeitpunkt passieren wird. Wenn Sie diesen Artikel lesen, könnte sich die Bilanz bereits deutlich verschärft haben.

Parallel zu der Intensität des Krieges findet eine intensive Debatte statt. Die Parteien beschuldigen sich ständig gegenseitig. Alle sprechen für sich selbst, und es werden ständig neue Erklärungen abgegeben. Es ist klar, dass es eine vollständige Informationsverschmutzung und psychologische Kriegsführung gibt. Die USA, Deutschland und das Vereinigte Königreich haben Israel auf höchster staatlicher Ebene besucht. Die russische Führung droht den USA, keine Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer zu bringen. Die iranische Regierung spricht ständig von der Gefahr einer Ausbreitung des Krieges. Alle versuchen, den Krieg für ihre eigenen Interessen auszunutzen.

Zweifelsohne wäre es nicht richtig, ein so gefährliches Ereignis wie einen Krieg auf eine einzige Ursache zurückzuführen. Es gibt viele Gründe dafür. Auch der Krieg in Gaza hat viele Gründe. Zunächst einmal ist klar, dass ein solcher Krieg auf einem historischen Widerspruch beruht. Er ist mit den israelisch-arabischen und israelisch-palästinensischen Widersprüchen und Konflikten verbunden, die mit der Gründung des Staates Israel entstanden sind. Es ist jedoch wichtig, die Hauptgründe für den Krieg seit dem 7. Oktober nicht aus den Augen zu verlieren. Obwohl es viele Gründe gibt, sollten wir uns auf zwei Hauptgründe konzentrieren.

Die erste und wichtigste Ursache für den Konflikt ist ganz klar der Nationalismus und die Religiosität, die nationalistische und religiöse Mentalität und Politik, die auf beiden Seiten vorherrschen. Mit anderen Worten, es ist das Fehlen einer echten Demokratie. Es liegt auf der Hand, dass es überall dort, wo es keine demokratische Mentalität und Politik gibt, zu solchen Vorfällen kommen kann. Wir wissen sehr gut, dass der arabische Nationalismus und die Religiosität heute von einigen so genannten radikalen Organisationen vertreten werden, und die Hamas ist eine von ihnen. Die Netanyahu-Regierung vertritt den jüdischen Nationalismus und die jüdische Religiosität. Und diese beiden gegenseitigen Nationalismen und Religiositäten sind die Hauptverursacher der gegenwärtige Katastrophe.

Der zweite Grund ist das Projekt für eine neue Energieroute zwischen Asien und Europa entlang der Strecke Indien, Saudi-Arabien, Israel, Südzypern und Griechenland, das nach dem letzten G20-Gipfel in Indien angekündigt wurde. Mit dem gegenwärtigen Krieg wird dieses Projekt einerseits sabotiert, andererseits werden die Hindernisse, die ihm im Weg stehen, beseitigt und der Weg wird eröffnet. Die derzeitige israelische Regierung und Mächte wie die USA gehören zu denjenigen, die versuchen, diesen Weg zu sichern. Die derzeitige türkische Regierung hingegen gehört zu den Kräften, die versuchen, dieses Projekt zu sabotieren. Es war nicht oft auf der Tagesordnung, aber nach der Ankündigung des Projekts hatte die türkische Regierung unter Tayyip Erdoğan offen erklärt, dieses Projekt zu sabotieren. Unmittelbar darauf folgte der Bergkarabach-Krieg, der großes Leid verursachte, und der Anstifter dieses Krieges war die Regierung unter Tayyip Erdoğan. Jetzt findet der Gaza-Krieg statt, und es ist ganz klar, dass die Erdoğan-Regierung auch in diesem Krieg das gleiche provokative Verhalten an den Tag legt.

Kurz gesagt, hinter dem Gaza-Krieg steht ein vielschichtiger Interessenkonflikt, genau wie hinter den Kriegen in der Ukraine und in Bergkarabach. Das unterdrückte palästinensische Volk wird diesem Interessenkonflikt geopfert, und genau wie die Armenierinnen und Armenier in Karabach wird die Bevölkerung von Gaza aus ihrer Heimat vertrieben. Das ist die wesentliche Frage, die Schmerzen verursacht. Der Interessenkonflikt wird mit dem Blut und den Tränen der Bevölkerung von Gaza ausgetragen. Natürlich hat auch das jüdische Volk schwere Verluste erlitten. In der Vergangenheit waren die israelischen Regierungen in dieser Frage sehr sensibel und vorsichtig. Die derzeitige israelische Regierung braucht diese Sensibilität und Vorsicht offensichtlich nicht.

In diesem Zusammenhang handelt es sich um einen Krieg zwischen der derzeitigen israelischen Regierung und der Hamas. Einige sagen, dass die israelische Regierung der Hauptplaner ist. Andere meinen, die Hamas habe alles getan und die Macht dahinter sei die Erdoğan-Regierung. Auch das Vorgehen der derzeitigen US-Regierung erweckt den Eindruck, dass sie auf diese Weise an der Entwicklung und Fortführung dieses Krieges beteiligt ist. Inmitten all dieser Verwirrung können wir Folgendes feststellen: Höchstwahrscheinlich sind die gegenwärtigen Ereignisse im Rahmen des US-Plans zur Wegbereinigung zu sehen. Möglicherweise haben die USA die Regierung unter Tayyip Erdoğan durch nicht genau bekannte Methoden zu einer solchen Provokation veranlasst, und die Erdoğan-Regierung hat möglicherweise die Hamas ermutigt, dasselbe zu tun. Es ist ganz klar, dass das, was die Hamas tut, eine Provokation ist. Auch die derzeitige israelische Regierung versucht, diese Provokation zu ihren Gunsten zu wenden.

Ich muss sagen, dass ich diese Zeilen als ein Kämpfer schreibe, der sich verpflichtet hat, das palästinensische Volk zu verteidigen, und ich stehe nach wie vor zu diesem Versprechen. Aber die Führer des palästinensischen Befreiungskampfes haben uns nie gesagt, dass die Juden insgesamt der Feind sind. Sie haben immer gesagt, dass sie gegen den israelischen Zionismus kämpfen. Damals gab es die Hamas noch nicht.

Kurzum, wir müssen uns weder auf die Seite der gegenwärtigen israelischen Regierung noch auf die der Hamas stellen und ihre Politik mittragen. Wir müssen die nationalistische und religiöse Mentalität und Politik, die von diesen beiden Kräften vertreten wird, ablehnen. Wir müssen wissen, dass der Ansatz zweier Nationalstaaten keine Lösung bringen wird, und wir müssen die Lösung in den vom kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan vorgelegten Modellen „Demokratische Nation" und „Demokratischer Konföderalismus" sehen. Während wir die gerechten und legitimen demokratischen Rechte des palästinensischen Volkes verteidigen, müssen wir wissen, wie wir genossenschaftlich mit den linken, sozialistischen und demokratischen Kräften der hebräischen Gesellschaft zusammen agieren können. In beiden Gesellschaften gibt es Menschen, die eine entsprechende Mentalität und Politik verfolgen, und diese Tendenz sollte als Grundlage genommen und weiterentwickelt werden. Das ist definitiv eine dauerhafte Lösung für diesen brutalen Krieg.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Probleme Palästinas und Kurdistans zweifellos die grundlegenden Probleme des Nahen Ostens sind und die nationalen demokratischen Rechte beider Völker nicht diskutiert und verhindert werden können. Was die Hamas in Gaza und was die PKK in Kurdistan tut, kann jedoch in keiner Weise miteinander verglichen werden. Solche Analogien sind falsch und stellen die Realität auf den Kopf. Ja, den Interessenkonflikt der globalen Mächte und regionaler Staaten um Kurdistan hat es schon immer gegeben. Aber der Freiheitskampf des kurdischen Volkes unter der Führung der PKK hat nichts mit diesem Konflikt zu tun. Während also der Krieg in Gaza hauptsächlich ein Kampf um Interessen innerhalb des Systems der kapitalistischen Moderne ist, geht es in Kurdistan um den Freiheitskampf des kurdischen Volkes. Dieser Kampf ist nicht Teil des Dritten Weltkriegs, weil er nicht Teil des Systems ist, das diesen Weltkrieg führt. Es ist ein Freiheitskampf des Volkes, der darauf abzielt, eine neue Demokratie außerhalb des Systems zu schaffen. Der Befreiungskrieg des kurdischen Volkes zielt darauf ab, die Demokratisierung im Nahen Osten voranzutreiben und einen demokratischen Nahost-Konföderalismus zu schaffen. Das kurdische Volk weiß, dass darin die Lösung liegt für den Krieg, der dem Volk von Gaza Leid zufügt, und es ruft alle Völker des Nahen Ostens zu einem gemeinsamen und geschwisterlichen Kampf für Demokratie auf.

Die Kolumne erschien zuerst auf Türkisch in Yeni Özgür Politika.