KCK: Die kurdisch-türkischen Beziehungen neu überdenken

Zu Beginn des zweiten Jahrhunderts der Republik Türkei ist es dringend notwendig, die kurdisch-türkischen Beziehungen zu überdenken und ein Verhältnis zu entwickeln, das ihrer historischen Bedeutung entspricht, erklärt die KCK.

Die Ko-Vorsitzenden des Exekutivrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) haben eine ausführliche Erklärung zur hundertjährigen Geschichte der Republik Türkei abgegeben. Wir dokumentieren einige Ausschnitte in deutscher Übersetzung:

Versprechen an die Kurd:innen wurden nicht eingehalten

Der Prozess, der zur Gründung der Republik führte, basierte auf dem historischen Bündnis zwischen Kurd:innen und Türk:innen als zwei wesentlichen Elementen, die in dem neu zu gründenden Staat als Gleichberechtigte zusammenleben sollten. Mustafa Kemal reiste nach Kurdistan und führte Gespräche. Es wurde ausdrücklich beschlossen, dass die Rechte der Kurd:innen anerkannt werden, dass es eine kurdische Autonomie geben würde und dass Kurd:innen und Türk:innen den Staat gemeinsam als zwei gleichberechtigte Völker regieren würden. Diese Haltung spiegelt sich auch in der Verfassung von 1921 wider. Am ersten Parlament nahmen Kurden als Abgeordnete aus Kurdistan teil. Mustafa Kemal selbst wies in seinen Erklärungen mehrfach auf die kurdische Autonomie hin und betonte die Bedeutung ihrer Verwirklichung.

Der weitere Prozess verlief nicht in der vorgegebenen Weise. Nach der Überwindung der Gefahren wurden die den Kurd:innen gegebenen Versprechen nicht eingehalten, und statt einer gemeinsamen Heimat und eines gemeinsamen Staates wurde der Aufbau eines auf dem Türkentum basierenden Nationalstaates eingeleitet. Mit dem Vertrag von Lausanne wurde Kurdistan in vier Teile geteilt. Kurdistan wurde nicht nur geteilt, sondern das kurdische Volk wurde in einen Prozess der Verleugnung und Vernichtung versetzt. In der Verfassung von 1924 wurden die Kurd:innen verleugnet und das auf einer monistischen Mentalität basierende Nationalstaatsmodell als Grundlage genommen. Mit dieser Verfassung wurden zum einen die kurdisch-türkischen Beziehungen gesprengt und zum anderen das republikanische Projekt vereitelt.

Der Prozess des Völkermords an den Kurd:innen

Kurdistan wurde geteilt und damit begann ein sehr schmerzhafter und schwerer Prozess für das kurdische Volk. Es handelt sich um einen Prozess des Völkermords. Kurdistan wurde als Expansionsgebiet für die türkische Nationalisierung betrachtet und alles Kurdische wurde verboten. Mit dem Ziel, einen Nationalstaat zu schaffen, wurde der Prozess, der unter dem Namen Republik bekannt wurde, als vollständiger Völkermord an den Kurd:innen gestaltet. Die Nationalstaaten Irak, Syrien und Iran taten das Gleiche. Als diese nicht ausreichten, griff der türkische Staat selbst ein und verhinderte Entwicklungen, die die Politik des Völkermords an den Kurd:innen gefährden würden. Um der nationalstaatlichen Ambitionen willen wollte man das kurdische Volk, eines der ältesten Völker der Geschichte, vernichten.

Blutbad in Kurdistan

Der Widerstand des kurdischen Volkes gegen Leugnung und Völkermord wurde mit einer großen Unterdrückungskampagne beantwortet. Kurdistan wurde in ein Blutbad verwandelt, unter dem Vorwand, die Kurd:innen würden rebellieren. Jedes Tal, jede Ebene und jeder Hügel Kurdistans wurde in einen Ort des Massakers verwandelt, Kurdistan wurde verbrannt und zerstört. Hunderttausende von Kurd:innen wurden in Dörfern, Städten, Tälern und Höhlen massakriert. Die Tunceli-Gesetze und die östlichen Reformpläne wurden umgesetzt. Das Kurdentum und die kurdische Kultur sollten durch Assimilations- und Völkermordpolitik zerstört werden. Das kurdische Volk wurde zwangsumgesiedelt und aus seiner Heimat entwurzelt. Kurdische Menschen waren allen Arten von Beleidigungen und Erniedrigungen ausgesetzt. In Kurdistan wurde nicht nur eine Politik des kulturellen, sondern auch des wirtschaftlichen Völkermords betrieben. Kurd:innen wurden zu Ausgestoßenen gemacht und als billige Arbeitskräfte eingesetzt, während das Land mit seinen unter- und oberirdischen Bodenschätzen grenzenlos ausgeplündert wurde. Den Kurd:innen wurde sogar verboten, ihre eigene Sprache zu sprechen und Unterricht in ihrer eigenen Sprache zu erhalten. Dieses Verbot besteht auch heute noch. Kann man eine Republik, die zu all dem geführt hat, als richtig und positiv ansehen?

Mit antikurdischer Feindseligkeit vergiftet

Abgesehen von den Interessen einiger weniger Minderheiten wurde keines der Ideale, die man von dem neuen Staat und der Republik erwartete, verwirklicht. Das Türkentum und der Nationalismus hatten nie eine andere Bedeutung als ein Machtinstrument zu sein. Das türkische Volk wurde ständig mit den Gefühlen des Türkentums und des Nationalismus bedrängt. Die Gesellschaft wurde mit Kurdenfeindlichkeit vergiftet. Dadurch war es den Menschen nicht möglich, ernsthafte demokratische Forderungen zu stellen und Fortschritte zu erzielen. Das türkische Volk wurde unfähig gemacht, zu denken und etwas anderes zu tun, als sich zu ernähren. Die AKP/MHP-Regierung befindet sich nicht nur mit dem kurdischen Volk im Krieg, sondern mit fast allen Teilen und Mitgliedern der Gesellschaft. Sowohl die Gesellschaft als auch der Staat sind vollständig an Sekten und mafiöse Geldverleiher ausgeliefert worden. All das wird auf der Grundlage der Feindseligkeit gegen die Kurd:innen getan und legitimiert.

Die historische Entstehung der PKK

Die PKK ist eine Bewegung der Rebellion, des Kampfes und der Befreiung des kurdischen Volkes gegen Verleugnung, Massaker und Völkermord. Im Wesentlichen bedeutet sie die Wiederherstellung der zerrütteten kurdisch-türkischen Beziehungen. In diesem Sinne ist sie ein äußerst wichtiger historischer Durchbruch. Die PKK hat das kurdische Volk auf eine Ebene gebracht, auf der es seine historische Rolle wieder spielen kann, indem sie es bewusst, willensstark und kämpferisch gemacht hat, und das ist ihr gelungen. Der Militärputsch vom 12. September 1980 war ein Schritt, der darauf abzielte, die historischen kurdisch-türkischen Beziehungen vollständig zu beenden. Die PKK verhinderte das, indem sie sich gegen den Putsch stellte und diesen Schritt vereitelte. Leider wurde die türkische Gesellschaft daran gehindert, diese Realität zu verstehen. Auch heute noch ist diese Realität der türkischen Gesellschaft nicht klar geworden.

Der Prozess des internationalen Komplotts

Zum hundertsten Jahrestag der Republik ist es für die kurdisch-türkischen Beziehungen äußerst wichtig und notwendig, auf das internationale Komplott hinzuweisen, das am 9. Oktober 1998 begann und in der Gefangennahme von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] auf Imrali am 15. Februar 1999 gipfelte. Denn dieses internationale Komplott ist einer der größten Schläge gegen die historischen kurdisch-türkischen Beziehungen. Es zielte darauf ab, die kurdisch-türkischen Beziehungen, die die PKK wiederherstellen wollte, zu beenden und den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses zu verhindern. Rêber Apo verhinderte die Verwirklichung dieses Ziels, indem er das innere Gesicht und die Absichten des Komplotts offenbarte. Diesen Kampf führt er seit fast 25 Jahren unter den Bedingungen der Gefangenschaft auf Imrali geführt.

Das Ziel der AKP und MHP

Das Ziel der AKP/MHP-Regierung und ihres Handelns ist es, den Völkermord an den Kurd:innen durch den Faschismus zu vollenden und damit das historische kurdisch-türkische Bündnis vollständig zu beseitigen. Die Unionisten [Komitee für Einheit und Fortschritt, tr. İttihat ve Terakki] wollten es erreichen, indem sie sich auf das Türkentum stützten. Das Regime des 12. September hingegen wollte es hauptsächlich auf der Grundlage der Religion tun. Heute versucht die AKP/MHP-Regierung, beides miteinander zu verbinden. Die Existenz der Kurd:innen wird als gefährlich für die Zukunft des Staates angesehen, und es kann gesagt werden, dass die Kurd:innen für das Überleben des Staates beseitigt werden müssen. Um das zu erreichen, wird ein intensiver Krieg gegen die Kurd:innen geführt, indem sie überall angegriffen, getötet und inhaftiert werden. Leider gelingt es der Regierung durch ihre intensive Sonderkriegsführung, die Gesellschaft der Türkei davon zu überzeugen, dass dies eine vernünftige Idee ist.

Nicht ohne die kurdische Frage zu lösen

Die Republik besteht seit hundert Jahren. Eine Auswertung der vergangenen Periode zeigt deutlich, dass eine Demokratisierung der Türkei ohne eine demokratische politische Lösung der kurdischen Frage nicht zu realisieren ist. Ohne eine Demokratisierung der Türkei können die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme der Gesellschaft nicht gelöst werden. Der Wandel, die Entwicklung und der Fortschritt, die von der Republik erwartet werden, können nicht erreicht werden. Die Unabhängigkeit des Staates und die Freiheit der Gesellschaft können nicht gewährleistet werden. Der Staat kann nicht aus dem Putschmechanismus und aus der Kontrolle der Gladio-Strukturen herausgenommen werden. All das ist nur durch eine Demokratisierung und eine Lösung der kurdischen Frage möglich. Daher ist die grundlegendste Frage, die es zu lösen gilt, die Republik mit einer wirklichen Demokratie zusammenzuführen und zu krönen. In einer demokratischen Republik können Kurd:innen und Türk:innen zusammen mit den anderen Völkern in der Türkei leben.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts der Republik ist es daher dringend notwendig, die kurdisch-türkischen Beziehungen zu überdenken und ein Verhältnis zu entwickeln, das ihrer historischen Bedeutung entspricht. Die Kurd:innen handeln in diesem Bewusstsein und zeigen diesen Willen. Sie sehen die Lösung ihrer Probleme in der Demokratisierung der Türkei und kämpfen gleichzeitig dafür. Das ist unsere Haltung als kurdische Freiheitsbewegung. Das ist der Lösungsweg, an den Rêber Apo glaubt und den er verteidigt. Um diese historische Aufgabe zu erfüllen, haben die demokratischen Kräfte der Türkei, die sozialistische Bewegung, die demokratischen Glaubensgemeinschaften, die Intellektuellen, Schriftsteller:innen, Kunstschaffende, alle Teile der Gesellschaft, die für Demokratie und Freiheit eintreten, und natürlich die kurdische Demokratiebewegung eine wichtige Verantwortung. Wir rufen alle auf, in diesem Verantwortungsbewusstsein zu handeln, einen Diskussions- und Umstrukturierungsprozess einzuleiten, der die kurdisch-türkischen Beziehungen neu überdenkt, und dies zu verwirklichen, indem die demokratischen Bündnisse der Völker auf dieser Grundlage sichergestellt werden. Wir erklären, dass wir als kurdische Freiheitsbewegung dafür kämpfen werden.