Beştaş: 200.000 Menschen werden dem Tod überlassen

„Die Menschen wissen nicht mehr, ob sie sich vor dem Virus oder vor dem Faschismus schützen sollen“, erklärt die HDP-Politikerin Meral Danış Beştaş zu dem Fiasko der türkischen Regierungspolitik in der Coronakrise.

In der türkischen Nationalversammlung dauert die Beratung über das neue Strafvollzugsgesetz an. Durch die als „Corona-Amnestie“ bezeichnete Gesetzesänderung könnten 90.000 von 295.000 Häftlingen freikommen. Der von der Regierungskoalition AKP/MHP eingebrachte Entwurf schließt politische Gefangene explizit aus. Kritiker werfen der Regierung vor, die eigene Anhängerschaft zu amnestieren, während Oppositionelle dem Corona-Tod in den Gefängnissen überlassen werden.

Unterdessen hat der türkische Justizminister Abdülhamit Gül erstmalig den Tod von Gefangenen durch das Coronavirus zugegeben. Nach Angaben des Justizministeriums ist bei 17 Gefangenen in fünf Haftanstalten eine Virusinfektion bestätigt worden, drei Häftlinge sind ums Leben gekommen. Auch bei 79 Beschäftigten des Vollzugspersonals soll eine Infektion festgestellt worden sein.

Die HDP-Vizefraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş hat sich in Ankara gegenüber Journalisten zu den aktuellen Entwicklungen und dem diskriminierenden Vollzugsgesetz geäußert. „Die Menschen wissen nicht mehr, ob sie sich vor dem Virus oder vor dem Faschismus schützen sollen“, erklärte die kurdische Politikerin zu dem Fiasko der türkischen Regierungspolitik in der Coronakrise:

„Der Innenminister hat am Freitagabend bewiesen, dass ihm jegliche Fähigkeit zur Voraussicht fehlt. Innenminister und Präsident versuchen sich mit widersprüchlichen Erklärungen gegenseitig reinzuwaschen. Ihr Vorgehen zeigt, dass sie nicht dazu in der Lage sind, die bestehende Krise zu bewältigen und die Türkei zu regieren.“

Zum Entwurf für das Vollzugsgesetz sagte Meral Danış Beştaş: „Die Regierungskoalition ereifert sich, um 90.000 Menschen aus dem Gefängnis zu holen, aber gleichzeitig will sie das Leben von 200.000 weiteren Menschen riskieren und erwartet, dass wir dabei zusehen. Nein, wir werden den Gefangenen nicht beim Sterben zusehen. Es gibt bereits die ersten Toten und es sind Kranke, Alte, Pflegebedürftige und Frauen mit Kindern im Gefängnis. All diese Menschen sollen dem Tod überlassen werden und die Regierung will daraus Profit schlagen. Wir debattieren seit einer Woche über eine Angelegenheit, die mit einem einzigen Artikel gelöst werden könnte. Für Totschlag und Körperverletzung Verurteilte sollen freikommen, Journalisten sollen im Gefängnis bleiben. Mit diesem Gesetz sollen Taten amnestiert werden, aber bloß keine Gedanken und Meinungen. Der Regierung geht es einzig und allein um ihren Machterhalt.“