2020: Kurdische Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit

Trotz Pandemie und Lockdown wurde die kurdische Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit auch in diesem Jahr ohne Unterbrechung fortgesetzt.

Mitte März gingen viele Länder Europas aufgrund der Corona-Pandemie in den Lockdown. Die kurdische Bewegung hielt daher viele Veranstaltungen nur noch online ab. Die diplomatische und Öffentlichkeitsarbeit wurde trotz Pandemie während des gesamten Jahres ohne Unterbrechung fortgesetzt. Schwerpunkte der Arbeit waren der innerkurdische Dialog und die Kampagne für die Freiheit des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan.

Kurdische Konferenz im Europaparlament

Vom 5. bis 6. Februar fand zum 16. Mal die Konferenz „Die Europäische Union, die Türkei, der Mittlere Osten und die Kurden” im Europaparlament in Brüssel statt. Zahlreiche Europa-Abgeordnete und Gäste aus der ganzen Welt diskutierten zwei Tage lang über die kurdische Frage und ihre internationalen Auswirkungen.

Den Anstoß zu dieser Konferenz, die seit 2004 jährlich stattfindet, gab der militärische Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Freiheitsbewegung in Nordkurdistan bzw. der Türkei. Ziel ist es, ein Forum zu bieten, von dem Impulse für eine politisch-diplomatische Lösung der kurdischen Frage ausgehen.

Die diesjährige Konferenz befasste sich hauptsächlich mit der Menschenrechtslage in der Türkei, der Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan, der Krise im Mittleren Osten, der Besetzung Nordsyriens und dem kurdischen Faktor in der Geopolitik des Mittleren Ostens sowie den demokratischen Lösungsperspektiven der Kurden.

In ihrer Abschlusserklärung forderten die Teilnehmenden der Konferenz einen neuen Diskurs im Umgang mit den Beziehungen zur Türkei und allgemein zum Mittleren Osten. Es wurde unterstrichen, dass die Kurden „einen wichtiger Akteur für Stabilität, Festigung des Friedens, Demokratie, Ökologie und Gleichstellung der Geschlechter” in der Region darstellen. Die regionalen Allianzen und globalen Perspektiven der Kurden böten neue Ansätze für die Stabilisierung einer von Kriegen und Krisen betroffenen Region. „Aus diesem Grund sollte die Stärkung der Zusammenarbeit mit diesen demokratischen Kräften absolute Priorität haben”, hieß es in der Abschlusserklärung. An die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, ihre Institutionen und die Vereinten Nationen richteten die Teilnehmenden konkrete Forderungen.

PKK-Urteil in Belgien bestätigt

Der Kassationshof in Brüssel hat am 28. Februar endgültig die Entscheidung des belgischen Revisionsgerichts vom März 2019 bestätigt, wonach die kurdische Arbeiterpartei PKK keine „terroristische Organisation”, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Zwei Wochen zuvor hatte der Generalstaatsanwalt beim Brüsseler Kassationshof bereits eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Die Entscheidung ist endgültig und für alle Parteien verbindlich.

Mord an Olaf Palme: Kurden fordern Entschuldigung

34 Jahre nach dem Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olaf Palme wollten die schwedischen Behörden im Juni 2020 den mutmaßlichen Täter ausgemacht haben. Es sei erwiesen, dass der Grafik-Designer Stig Engström Palme 1986 erschossen habe, sagte Staatsanwalt Krister Petersson letzte Woche in Stockholm. Präsentiert wurde die Theorie des hasserfüllten Einzeltäters. Der damalige Fahndungsleiter Hans Holmér war besessen von der Idee gewesen, dass die kurdische Arbeiterpartei PKK hinter dem Mord an Palme stecken könnte. Es erfolgten polizeiliche Zugriffe auf Dutzende kurdische Aktivisten. Zwar brachten diese keine Fortschritte in den Ermittlungen, doch die antikurdische Propagandamaschinerie in den schwedischen, deutschen und türkischen Medien lief bereits. Die PKK und Abdullah Öcalan dementierten beharrlich jegliche Beteiligung an dem Mord an Palme. Nach der Einstellung des Verfahrens forderte die PKK eine Entschuldigung und erklärte: „Das kurdische Volk und die PKK wurden nicht nur des Mordes beschuldigt: Auf Grundlage des Attentats an Olof Palme wurde Feindseligkeit zwischen den Völkern geschürt und dem kurdischen Volk Unrecht sowie Respektlosigkeit angetan.”

Diplomatische Initiativen des KNK

Der Nationalkongress Kurdistan (KNK) startete in diesem Jahr zahlreiche Initiativen zur Stärkung eines innerkurdischen Dialogs. Besondere Brisanz erhielt dieses Engagement durch die nach wie vor bestehende Gefahr eines Bürgerkriegs in Südkurdistan, die durch die Truppenstationierungen der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) in Guerillagebieten ausgelöst wurden. Eine Abordnung des KNK führte Gespräche mit zahlreichen Parteien und Institutionen, um diese Gefahr abzuwenden.

Im Oktober fand eine Online-Generalversammlung des KNK mit breiter Beteiligung statt. Im November führte der KNK gemeinsam mit südkurdischen Abgeordneten ein Symposium für einen innerkurdischen Dialog durch. An der Online-Veranstaltung nahmen kurdische Vertreter*innen aus allen Landesteilen sowie aus dem Kaukasus und Anatolien teil.

Freiheit für Öcalan

Ein besonderer Schwerpunkt in der kurdischen Öffentlichkeitsarbeit war die international geführte Kampagne „Freiheit für Öcalan“, mit der die Philosophie des kurdischen Vordenkers weltweit bekannt gemacht wurde. In Italien wurde ein 18-köpfiges Kampagnenkomitee gegründet, auf den Philippinen wurde der November zum Monat der Solidarität mit Öcalan und Kurdistan erklärt.

Die britischen Gewerkschaften Unite the Union und GMB, die zusammen über zwei Millionen Mitglieder haben, setzten ihre Öcalan-Kampagne fort.

Internationalistischer langer Marsch

Auch in diesem Jahr fand zum Jahrestag der Verschleppung Abdullah Öcalans in die Türkei im Februar ein Sternmarsch nach Straßburg statt. Unter dem Motto „Freiheit für Öcalan, Schulter an Schulter gegen Faschismus“ beteiligten sich 120 Internationalist*innen aus Dutzenden Ländern an dem in Luxemburg gestarteten Demonstrationszug.

Öcalan-Werke auf Deutsch und Französisch

Im April erschien die deutsche Übersetzung von „Soziologie der Freiheit“, dem dritten Band von Öcalans Manifest der demokratischen Zivilisation, im Unrast Verlag. Der Übersetzer Reimar Heider stellte das Werk auf Veranstaltungen in zahlreichen Städten vor.

In Frankreich erschien im Oktober die Übersetzung des ersten Bands von Öcalans Manifest im Croquant Verlag. Das Übersetzerteam arbeitet zurzeit am zweiten Band.