Die vermutlich am drittlängsten anhaltende Demonstration Europas, welche seit über dreieinhalb Jahren 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche mit mindestens zwei Menschen durchgeführt wird, ist das Klimacamp in Augsburg. Klimaaktivist:innen hatten den Platz vor dem Augsburger Rathaus im Juli 2020 besetzt, nachdem die damalige Bundesregierung die Verstromung der klimaschädlichen Braunkohle bis 2038 angekündigt hat. Die Besetzung sollte so lange bestehen bleiben, bis das in Klimakreisen als Kohle-Einstiegsgesetz bezeichnete Gesetz zurückgenommen würde oder die Stadt Augsburg sich dagegen öffentlich positioniert. Außerdem wurden Forderungen nach einer klimaverträglichen Verkehrswende und einem ehrlichen Umgang mit dem von der schwarz-grünen Stadtkoalition schön gerechneten Augsburger CO2-Budget beansprucht.
Klimacamp erweitert Politikfeld
Sämtliche Versuche der 1. und 2. Bürgermeisterin, das Klimacamp durch Räumungsdrohungen und juristische Spitzfindigkeiten zu verbieten oder zu verdrängen, scheiterten vor Gericht. Das Protestcamp blieb dem Klimathema als zentralem Ziel treu, doch erweiterte es sein Politikfeld durch Aktionen und Veranstaltungen auf viele linke Kämpfe. Die Augsburger Aktivistin Selin Yildirim erklärt dies damit, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung viele andere Kämpfe miteinschließt, wie dem nach sozialem Wohnungsbau – Stichwort: Energiekosten, internationaler Solidarität, der Asyldiskussion im Kontext der Klimaextreme im globalen Süden und dem Kampf um Demokratie und Demokratisierung der Ökonomie – 100 Großkonzerne emittieren 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen.
Parallelen zur kurdischen Freiheitsbewegung
Aktivist Alexander ergänzt: „Zum anderen zeigte sich aber auch, dass diejenigen Menschen, welche bereit waren, bei extremer Hitze, ebenso wie bei minus 20 Grad im Klimacamp zu verharren, vor allem Menschen sind, die einen großen Idealismus in sich tragen. Hier sehen wir auch eine Parallele zur kurdischen Freiheitsbewegung, mit der wir uns sehr verbunden fühlen.“ Und Selin Yildirim betont: „Nicht zuletzt ist aber auch die kurdische Freiheitsbewegung vom Klimawandel betroffen. Die Föderation Nordostsyrien kann nicht außerhalb des Klimawandels gedacht werden. So ist der syrische Bürgerkrieg, neben weiteren Faktoren auch aufgrund von erheblichen Nahrungsmittelpreissteigerungen in Folge von Missernten, entstanden. Eine Situation, die in Folge des Klimawandels in Zukunft wohl häufiger zu sozialen Spannungen führen wird.“
Durch Internationalist:innen von Öcalan-Mahnwache erfahren
Als die Augsburger Klimagerechtigkeitsaktivist:innen bei einer Reise zum ChaosCommunicationCongress auf Internationalist:innen aus der Konföderation Nordostsyrien – mittlerweile Demokratische Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) – trafen, erfuhren sie von Europas vermutlich zweitlängster Dauerdemonstration: Der Mahnwache vor dem Europäischen Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) in Straßburg, die seit Juni 2012 besteht und sich gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan richtet. Nur die Mahnwache „Stuttgart 21“, die im Juli 2010 gegründet wurde, um gegen den damals bevorstehenden Abriss des denkmalgeschützten Nordflügels im Rahmen von Stuttgart 21 zu protestieren, gibt es noch länger.
Das vollständige Solidaritätsfoto (c) Klimanetz Augsburg
Jede Revolution braucht auch Ausdauer und sturen Willen
Bereits zuvor gab es in Augsburg Vorträge und Filme zum Projekt Nord- und Ostsyrien, insbesondere auch zur ökologischen Situation dort sowie Demonstrationen und Kundgebungen gegen die türkische Besatzung von Teilen der Region, welche zu Ermittlungen gegen das Klimacamp führten. Nun aber entschlossen die Aktivist:innen des Klimacamps Augsburg einen „Gruß des Respekts und der Solidarität“ für eine ihnen bekannte Dauerdemonstration zu senden, welche noch länger andauert als ihre eigene. „Wir wünschen allen Genoss:innen in Straßburg, dass ihr langes und kraftvolles Zeichen gesehen wird und zum Ende der Isolation(sfolter) von Abdullah Öcalan führt. Haltet aus! Jede Revolution braucht auch Ausdauer und sturen Willen!“, schreiben sie in einem gemeinsamen Statement, das sie zusammen mit dem Solidaritätsfoto auf verschiedenen Social-Media-Plattformen veröffentlicht haben.
Mit Material von Klimanetz Augsburg