Gegen die Kommerzialisierung der Munzur-Quellen

Gegen die Kommerzialisierung der für die alevitische Bevölkerung heiligen Munzur-Quellen im nordkurdischen Dersim regt sich Widerstand. Der Vorsitzende der Föderation der Dersim-Vereine, Ali Haydar Ben, warnt vor der Zerstörung der Region.

Die nordkurdische Provinz Dersim ist akut vom ökologischen Zerstörungswahn der türkischen Regierung bedroht. Seit zehn Jahren wird dort bereits ein Kampf gegen Staudammprojekte geführt. Während die Wasserkraftwerke in der Region vollgelaufen sind – mit katastrophalen Folgen für Mensch und Tier, und inzwischen auch Pläne für Bergbau vorliegen, will die Regierung nun die heiligen Munzur-Quellen bei Pilûr (türk. Ovacık) kommerzialisieren. Die Bevölkerung ist im Widerstand, denn insbesondere für die Alevit*innen von Dersim, die ihren Glauben „Rae Haq“ (deut. „Weg der Wahrheit“) nennen, sind diese Orte heilig. Ali Haydar Ben, Generalvorsitzender der Föderation der Dersim-Vereine (DEDEF), beschreibt die aktuelle Situation im ANF-Interview.

Was denken Sie über den Umgang des Staates mit der Umwelt von Dersim und die Kommerzialisierung der Munzur-Quellen?

Dieses Landschaftsprojekt steht schon länger auf der Tagesordnung. Das erste Mal tauchte es im Jahr 2017 auf. Als die Euphrat-Entwicklungsagentur das Projekt erstmals einbrachte, erhoben wir Einspruch, da es vollkommen ungeeignet ist. Wir haben den Plan damals blockiert, in der Folge musste er zurückgenommen werden. Es ging aber nicht nur um die Auftragsausschreibung an sich, auch das Budget und das Einkommen der Entwicklungsagentur wurde deutlich und es stellte sich die Frage, was sie mit dem ganzen Geld anfängt. Nun wurde das Projekt neu aufgelegt, ohne die demokratischen Massenorganisationen oder die religiösen Führer einzubeziehen. Es wurde einfach eine zentrale Entscheidung getroffen. Natürlich sagen wir, dass dieses Projekt nicht im Einklang mit dem Gebiet der Quellen des Munzur steht, dass es diesen Ort nicht schützt; Im Gegenteil, wir denken, dass es eine tiefgreifende Zerstörung geben wird. Und das denken nicht nur wir, Wissenschaftler*innen und Fachkräfte, die in dieser Region arbeiten, teilen unsere Auffassung. Wir sind gemeinsam zu der Auffassung gelangt, dass dieses Projekt nicht durchgeführt werden darf, sondern die Natur geschützt werden muss.

Bauarbeiten an den Munzur-Quellen werden trotz Protesten fortgesetzt | © Pirha

Was bedeuten die Quellen für die Menschen in Dersim?

Wir sehen das hier nicht einfach als irgendein Gewässer an. Schon unsere Vorfahren sind an die Quellen gegangen, haben geopfert und die gesamte Natur genossen. Das findet auch unter den heutigen Bedingungen statt. Allein um den Munzur und die Quellen zu retten brauchen Pilûr und die Dörfer ein Abwassersystem. Der Munzur darf nicht verschmutzt werden. Trotz dieser Probleme, die einer dringenden Lösung bedürfen, soll jetzt dieses Projekt an den Munzur-Quellen umgesetzt werden. Wegen dieses Projektes können wir schon bald eine der vierzig Quellen verlieren. Außerdem wird das Gebiet kommerzialisiert. Ob wir wollen oder nicht, das Projekt beinhaltet Camping-Plätze, Picknick-Gebiete, Opferplätze, Parkplätze und Einlasskontrollen. Wir wollen keine Kommerzialisierung unserer religiösen Orte. Wir wollen nicht, dass jemand aus ihnen Profit macht. Sollen denn die Menschen, die wegen ihres Glaubens dorthin kommen, Eintritt bezahlen? Man will den Ort in ein Amüsierareal verwandeln. Morgen werden sie dann Hotels bauen. Deswegen sind wir davon überzeugt, dass die Munzur-Quellen nicht angefasst werden dürfen.

Aber was sagen die religiösen Autoritäten dazu?

Wir haben hier verschiedene bürokratische Initiativen ergriffen. Aufgrund des von der Euphrat-Entwicklungsagentur initiierten Projekts trafen wir uns mit der Provinzialdirektion für Umwelt und Urbanisierung. Wir hatten auch Kontakt mit dem Gouverneur. Sie gaben an, die Meinung einiger Glaubensführer, Ortsvorsteher und demokratischer Institutionen einbezogen zu haben. Aber leider stimmt das nicht. Wir haben zuletzt einen Cem an den Munzur-Quellen veranstaltet. Dort haben viele alevitische Dedes erklärt, sie seien über das Projekt nicht informiert und schon gar nicht nach ihrer Meinung gefragt worden. Sie riefen die Behörden auf preiszugeben, wer denn diese religiösen Führer seien, mit denen man gesprochen habe. Es ist unser Glaube, also der Glaube der Aleviten, jedes Leben zu respektieren und dafür zu kämpfen. Dedes, die diesen Glauben verfolgen, sind mit der Entwicklung nicht zufrieden. Wir wollen so ein Projekt nicht.

© Pirha

Was bedeutet das Projekt für die Identität der Alevit*innen in Dersim?

Das was jetzt geschieht, bedeutet nichts weniger als unser kulturelles Gedächtnis mit Beton zu verschließen. Es handelt sich um einen Angriff auf zentrale Bedeutungen unseres Glaubens. Sie wollen unseren Glauben kontrollieren und ihren Interessen gemäß formen. So sagen sie: „Wir haben uns mit manchen Dedes getroffen und sie haben zugestimmt“. Wer sind denn diese Dedes? Wenn überhaupt, sind das sunnitisch assimilierte Dedes. Dass wir diese Assimilation nicht wollen, steht außer Frage. Die Behörden sollen ihre Pläne aufgeben. Wenn dort etwas gemacht werden sollte, dann mit unserem Volk, unseren Institutionen und unseren Fachleuten. Wir finden es nicht richtig, dass hier eine zentrale Entscheidung getroffen wurde und werden dies niemals akzeptieren.

Daher appelliere ich an die Presse und an die Intellektuellen: Unterstützt den Munzur. Wenn wir keine Verantwortung für den Munzur übernehmen, werden sie bald auch noch mit dem Bergbau hier anfangen.