Kampagne zum Erhalt der Munzur-Quellen

Die Initiative „Der Munzur soll frei fließen“ hat eine Kampagne zum Erhalt der Munzur-Quellen ins Leben gerufen. Die türkische Regierung will die für Aleviten heilige Quellregion in Dersim sperren und profitorientiert umgestalten.

Seit Jahren zeichnet sich die Türkei durch ökologische Zerstörung und Ausbeutung der Natur aus. Insbesondere seit dem Machtantritt von Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP gewinnt der Wahn von Bauprojekten, vor allem von Talsperren, immer mehr an Fahrt. Während die Bevölkerung noch immer nicht aus der Schockstarre infolge des Massakers an der Menschheitsgeschichte in Heskîf (türk. Hasankeyf) erwacht ist, wo zwölftausend Jahre Kulturgeschichte für das auf 50 Jahre Betriebsdauer angelegte Wasserkraftwerk Ilisu untergegangen sind, und auch das Zîlan-Tal in Wan unter Staudämmen verschwinden soll, plant die türkische Regierung in Dersim, die Munzur-Quellen zu sperren und profitorientiert umzugestalten. Die alevitische Gesellschaft ist empört – und hat kollektiven Widerstand angekündigt.

Für die alevitische Bevölkerung von Dersim ist die Fluss- und Gebirgslandschaft des Munzur ein Symbol für ihre Region, die sie als einzigartiges Wunder betrachtet. Neben der Versorgung mit Wasser, Fischerei und anderen wirtschaftlichen Aspekten besitzt der Munzur in den Augen der Menschen einen „heiligen” Stellenwert. Die historische, kulturelle und landschaftliche Bedeutung ist seit Jahrhunderten immens. Der Munzur wird mit fast allen Mythologien, Sagen und Überlieferungen in Dersim in direkte Verbindung gebracht. Benannt wurde er nach dem Hirten Munzur Baba, der nach einer Sage an der heutigen Quellregion bei Pilûr (Ovacık) Buttermilch aus Schreck vergoss, wodurch die 40 Quellen des Munzur entstanden. Sie betreffen vor allem ein Gebiet, welches durch den türkischen Staat als Nationalpark unter Schutz gestellt wurde und in dem solche Eingriffe eigentlich illegal sind. Die Quellregion ist auch durch internationale Konventionen geschützt, die von der Türkei ratifiziert wurden. Eigentlich.

Widerstand soll im Keim erstickt werden

Um den potenziellen Widerstand gegen das Bauvorhaben schon im Keim zu ersticken, haben die türkischen Behörden ein umfassendes Versammlungsverbot rund um das Gebiet der Munzur-Quellen verhängt und Barrieren aufgestellt. Die Absperrungen werden von Militär und Polizei überwacht. Der freie Zugang ist somit untersagt. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die bevorstehende Zerstörung am Munzur zu lenken, hat die Initiative „Der Munzur soll frei fließen“ eine Unterschriftenkampagne ins Leben gerufen. Die Aktion gilt als erster kleiner Schritt im Kampf um die 40 Quellen des Munzur, die erhalten bleiben sollen - „Koste es, was es wolle”.

Das Alevitentum – eine humanistisch geprägte Lehre

Dersim ist die Region mit dem höchsten Anteil an Personen alevitischen Glaubens. Das Alevitentum verbindet sowohl zoroastrische als auch naturreligiöse und altorientalische Elemente miteinander und ist ein Glaube an eine natürliche Gesellschaft, wonach die Beziehungen zwischen sämtlichen Lebewesen auf gegenseitiger Anerkennung fußen, auf der Grundlage einer kommunalen, solidarischen und teilenden Gesellschaft. Alle Völker sind unabhängig von ihrer Ethnie und ihrer Religion gleichwertig. Im Mittelpunkt des Glaubens steht neben der Menschheit und dem Universum die Natur. Es gibt zahlreiche Bäume, Steine und Flüsse, die als heilige Orte gelten. In fast jedem Dorf gibt es einen Pilgerort. Die Quellregion des Munzur ist nur einer davon.

Die Munzur-Sage

Munzur war ein einfacher Hirte, der im Hause eines Aghas, also eines Großgrundbesitzers, lebte. Eines Tages ging der Agha auf Pilgerfahrt, wobei er den Wunsch verspürte, Halva zu essen. Munzur fühlte den Wunsch des Aghas und teilte ihn dessen Frau mit. Diese dachte zuerst: „Munzur möchte Halva essen, aber er traut sich nicht, es mir zu sagen.“ Schließlich kochte sie Halva und gab ihm davon.

Als der Agha am Pilgerort betete, wandte er sich zu seiner Linken, da stand Munzur neben ihm und sagte: „Du wolltest Halva. Bitteschön.“ Er überreichte ihm die noch ofenwarme Süßspeise. Verwirrt wandte sich der Agha kurz zur Rechten und als er zurückblickte, verschwand Munzur so, wie er aufgetaucht war.

Nach der Pilgerfahrt kehrte der Agha in sein Dorf zurück, wo ihm eine Menschenmenge entgegenkam, um ihn zu begrüßen und ihm ehrerbietig die Hand zu küssen. Der Agha jedoch sprach: „Erweist nicht mir die Ehre, sondern Munzur.“ Und er erzählte, was ihm in der heiligen Stätte zugestoßen war. Sofort begaben sich die Leute auf die Suche nach Munzur, der gerade eine Ziege molk. Als er die Menschenmenge kommen sah, sprang er vor Verlegenheit auf und rannte mit dem Melkeimer in der Hand davon. Die Leute aber liefen ihm hinterher. Auf seiner Flucht wurde die Milch verschüttet und vierzig Tropfen fielen zu Boden, aus denen vierzig Quellen entsprangen. Munzur selbst verschwand.