Gedenken im „Hambi“ an Steffen Meyn und andere

Steffen Meyn war Journalist, Filmemacher und Künstler. Bei der Dokumentation der illegalen Räumung des Hambacher Waldes am 19. September 2018 fiel er von einer Hängebrücke und verunglückte tödlich. Ihm und anderen wurde gedacht.

Der Hambacher Wald ist seit 2012 besetzt, um gegen die Rodungspläne des Energiekonzerns RWE zu protestieren. Das Leben im besetzten Wald spielt sich seither vorwiegend in verschiedenen Baumhausdörfern ab. Steffen Meyn dokumentierte dieses Leben und den Kampf für eine klimagerechte Welt seit 2017 im Rahmen seines Studiums an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Aus dieser Zeit stammt auch sein Waldname „Sonne“. Zahlreiche Interviews mit Waldbesetzer:innen vor Ort, Aufnahmen auch in Konfliktsituationen und der Einsatz einer 360-Grad-Kamera sollten den Betrachtenden seiner geplanten Dokumentation die Atmosphäre vom Leben und Kämpfen im Wald ganz nah bringen. 2018 dokumentierte er die oft gewaltvolle Räumung durch die Polizei. Dass er klettern konnte, ermöglichte ihm, die Geschehnisse vom Baumhausdorf aus zu dokumentieren. Doch während der Räumung des ersten Baumhauses in Beechtown stürzte Steffen Meyn am 19. September 2018 von einer Hängebrücke und verunglückte tödlich.

Gedenkstätte in Beechtown

Um an ihn zu erinnern, wurde an Ort und Stelle eine Gedenkstätte errichtet und viele hunderte Menschen kamen, um dort gemeinsam zu trauern. Seither wird jährlich um Meyns Todestag herum zur offenen Gedenkfeier eingeladen. Dabei wird auch weiterer Verstorbener gedacht. Zu ihnen zählen Elf, Waka, Mike, Mogli und Anna. Sie alle haben eine Zeit lang in der Hambacher Waldbesetzung gelebt und diesen Wald verteidigt.

Steffen Meyn © „Hambi“-Besetzung

Die Familie von Steffen Meyn, insbesondere die Eltern Elisabeth und Horst, sind regelmäßig an der Gedenkstätte. Seine Mutter betont, dass sie viel Mitgefühl für den Tod ihres Sohnes erfahren. Zugleich sei es unerträglich, dass die Verantwortlichen für diese Räumung, Innenminister Reul und der damalige Ministerpräsident Armin Laschet, noch immer im Amt seien. Als Eltern sind sie mehrfach an die Öffentlichkeit getreten, haben einen Offenen Brief an die Landesregierung verfasst, Demonstrationen von Fridays for Future begleitet, auf Veranstaltungen gesprochen und stets ihre Solidarität mit dem Engagement der Waldbewohnenden und Klimagerechtigkeitsaktivist:innen an weiteren Orten ausgedrückt.

Gedenken 2022

Die Gedenkfeier in diesem Jahr fand mit etwa 50 Menschen am vergangenen Samstag an der Gedenkstätte in Beechtown statt. Elisabeth Meyn eröffnete sie mit einer kurzen Ansprache. Die Trauer über den Tod ihres Sohnes sei nach wie vor groß. Zugleich könne sie ihren Blick inzwischen weiten und auch der Tod von Elf, Waka, Mike und Mogli berühre sie sehr. Diese seien verbunden mit Steffen Meyn, da sie sich alle für eine bessere Welt eingesetzt hätten. Sie habe die Hoffnung, dass der Hambacher Wald und das von Räumung bedrohte besetzte Dorf Lützerath am Leben blieben. Die Koalition der Grünen mit der CDU in NRW mache sie wütend. Daher habe sie sich als Mutter von Steffen Meyn persönlich an die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) sowie die Grüne Jugend und auch an den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) gewandt, um unter anderem den Erhalt von Lützerath und Konsequenzen für die rechtswidrige Räumung im Hambacher Wald zu fordern. Lediglich von der grünen Jugendorganisation habe sie eine Antwort auf ihr Schreiben erhalten Doch sie werde nicht aufhören, Konsequenzen einzufordern und auf das verantwortungslose Handeln dieser Politiker:innen und die Bedeutung von Aktivist:innen wie jenen, die der Sohn begleitete, aufmerksam zu machen.

Die Geschichte vom Bürgewald

Die Geschichte des Hambacher Waldes geht zurück auf Arnoldus, der einst durch eine Wette mit dem damaligen Kaiser erreichte, dass der Wald zu einem Bürgewald (Allgemeingut) umgewidmet wurde. Arnoldus sei nicht aus der Region gewesen, aber habe sich trotzdem für die Gesellschaft vor Ort eingesetzt. Gleiches gelte für Steffen Meyn, der dieses Jahr für seinen Einsatz geehrt wurde: Die lokale Initiative „Buirer für Buir“ verlieh ihm den Arnoldus-Preis, den die Eltern stellvertretend in Empfang nahmen.

Gedenken an Waka / Șahîn Qereçox / Farid Medjahed

Eine Freundin von „Waka“ (Farid Medjahed, Nom de Guerre: Șahîn Qereçox), der 2017/18 im Hambacher Forst gelebt hatte und 2018 im Kampf gegen den IS in Ostsyrien gefallen war, berichtete von seinem Weg. Er sei ein Mensch gewesen der, wie Steffen Meyn, stets sein Bestes für die Menschen um ihn und die Natur und Tiere gegeben habe. Sein Weg führte ihn auch nach Pont Valley in England, wo er sich, auch als Salamander verkleidet, gegen die Eröffnung eines Tagebaus einsetzte, und nach Schweden, wo er gegen die Wolfsjagd protestierte. Zuletzt ging er nach Rojava, wo er ein Gesellschaftssystem, das auf Basisdemokratie, Geschlechterbefreiung, Ökologie und Pluralismus beruhte, kennenlernte und half, dieses gegen den IS zu verteidigen. Dort starb er im Oktober 2018. Wakas Freundin machte darauf aufmerksam, dass dieses fortschrittliche Gesellschaftssystem erneut bedroht sei, diesmal unter anderem durch Drohnenangriffe des türkischen Staates, und es in Gedenken an Waka auch die Aufgabe der Waldbewohnenden sei, die Menschen vor Ort weiter zu unterstützen.

Die diesjährige Gedenkfeier wurde durch Gesang, Cello und Akkordeon musikalisch begleitet. Eine interaktive Darbietung der zapatistischen Geschichte „Wir Späteren haben verstanden“ zeigte die Verbundenheit der Kämpfe im Hambacher Wald mit der Verteidigung der ökologischen Gesellschaft der Zapatistas in Chiapas/Südmexiko.

„Wir wollen die Erinnerung an unsere Freund:innen präsent halten, kennenlernen, was sie bewegte, und darin Kraft und Inspiration finden, um ihre Wege mit neuem Mut weiterzugehen“, sagen die Bewohnenden des Hambacher Waldes.


Dieser leicht veränderte Text erschien zuerst auf der Webseite https://hambacherforst.org/