Angriff auf ODTÜ-Studierende löst Solidaritätswelle aus

Seit 56 Tagen protestieren Studierende der renommierten Universität ODTÜ in Ankara mit einer Besetzungsaktion gegen den Bau eines illegalen staatlichen Wohnheims. Gestern wurden sie angegriffen und vertrieben, anschließend begann die Abholzung der Bäume.

Seit eine etwa vier Hektar große Waldfläche mit Pappeln, die sich auf dem Gelände der renommierten Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) in Ankara befindet, ohne juristische Grundlage durch Rektor Mustafa Verşan Kök für 49 Jahre an die Anstalt für Ausbildungsförderungsdarlehen im Hochschulwesen und Verwaltung der Studentenwohnheime (KYK) übertragen wurde, protestieren Studierende mit einer Besetzungsaktion gegen das Bauvorhaben. 55 Tage lang campten die Studierenden an der Stelle, an der das staatliche Heim errichtet werden soll, um das illegale Bauvorhaben zu verhindern. Parallel dazu gab es überall im Land kulturelle und akademische Solidaritätsveranstaltungen, um auf den Widerstand der ODTÜ-Studierenden aufmerksam zu machen. Am Montag schließlich gab Kök, der bei der Wahl zum Universitätsrektor im vergangenen Jahr nur Zweiter geworden war und von Staatspräsident Erdoğan persönlich ins Amt gehoben wurde, grünes Licht für einen massiven Polizeiangriff. Gegen 9.30 Uhr stürmten etliche Polizisten den Campus und vertrieben unter Einsatz von Gewalt und Tränengas die rund hundert Studentinnen und Studenten, die auf dem bedrohten Waldstück Wache hielten. Einige wurden festgenommen, andere verletzt. Daraufhin zogen mehrere hundert Studierende und dutzende Lehrkräfte für einen Protest gegen Kök zum Rektorat, die Polizei versperrte ihnen allerdings den Zugang. In einer Erklärung wurde angekündigt, den Kampf gegen den Bau des illegalen Wohnheims fortzusetzen um am Widerstand festzuhalten.

Staatliches Wohnheim: Trojanisches Pferd

Das Bauvorhaben auf dem Campus der ODTÜ wird von vielen Studierenden als „trojanisches Pferd” empfunden. Die ODTÜ ist eine der liberalsten Hochschulen in der Türkei, hat eine gewisse Autonomie und steht daher nicht unter der vollständigen Kontrolle der AKP-Regierung. Diverse Versuche, das Personal der Universität, die bei der Studentenbewegung 1968 eine wichtige Rolle spielte, durch AKP-Anhänger zu ersetzen, verliefen bisher weitgehend erfolglos. Die Gegnerinnen und Gegner des staatlichen KYK-Wohnheims vermuten, dass AKP-nahe konservativ-naionalistische Studierende eine zentrale Anlaufstelle erhalten sollen. Mehrfach hatten sie den Vorschlag eingebracht, ein Wohnheim auf einer nicht bewaldeten Fläche zu bauen, der jedoch konsequent abgelehnt wurde.

Unmittelbar nach dem gestrigen Übergriff auf die Besetzung ließ das Rektorat Abholzungsmaschinen auf den Campus fahren. Binnen weniger Stunden wurden hunderte Bäume gefällt, wie auf Luftbildern einer Drohne zu erkennen ist. Abgeordnete der CHP und HDP hatten vergeblich versucht, zu intervenieren. Sie wurden erst viel zu spät auf den Campus gelassen.

In der Zwischenzeit hatte Alper Taşdelen, CHP-Bürgermeister von Çankaya (Bezirk, in dem sich die ODTÜ befindet), Gespräche mit der Universitätsleitung geführt und ließ mitteilen, dass die Rodung gestoppt worden sei. Die Widerstand leistenden Studierenden teilten mit, dass fast alle Bäume der vier Hektar großen Fläche bereits abgeholzt wurden und seine Aussage keinen Wert habe. Am Nachmittag ließ dann CHP-Oberbürgermeister Mansur Yavaş seine Bereitschaft verlauten, das Wohnheimprojekt auf einer anderen nicht bewaldeten Fläche umzusetzen. Der Vorschlag wurde von der ODTÜ-Leitung ebenfalls abgelehnt, da Yavaş nicht die Befugnis habe, darüber zu entscheiden. Die Studierenden forderten daraufhin den Rücktritt von Mustafa Verşan Kök.

Internationale Solidaritätswelle

Unzählige zivilgesellschaftliche Organisationen - nicht nur in der Türkei und Nordkurdistan - haben sich bereits solidarisch mit dem Widerstand auf dem ODTÜ-Campus gezeigt. Neben Studierenden- und Jugendorganisationen sowie Ökologiebewegungen sind es auch Menschenrechtsgruppen, Berufsorganisationen sowie politische Parteien, die ihre Verbundenheit mit dem Kampf um die Pappelbäume im universitätseigenen Wald zum Ausdruck gebracht haben. Auch die „Initiative zur Rettung von Hasankeyf“ zeigte sich mit einer Erklärung solidarisch. Das Fällen von Bäumen sei die Fortsetzung der ökologischen Zerstörung im ganzen Staat, erklärte die Initiative.

Baustelle symbolisch versiegelt

Heute Abend wurde die „Baustelle“ auf dem ODTÜ-Gelände von Studierenden und Lehrkräften symbolisch versiegelt. Auch diese Demonstration wurde von der Polizei angegriffen. Es kam zu mindestens einer Festnahme.