US-Abschuss türkischer Drohne „bedauerlicher Vorfall“

Das Pentagon will keine Hinweise darauf haben, dass eine türkische Drohne absichtlich auf das US-Militär in Nordostsyrien gezielt hat. Dabei sollen US-Truppen ihre türkischen Kollegen vor dem Abschuss der Maschine mehr als ein Dutzend Mal gewarnt haben.

Der Abschuss einer türkischen Kampfdrohne im Luftraum über der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien durch das US-Militär soll ein „bedauerlicher Vorfall“ gewesen sein. Das sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder am Donnerstagabend. Die Drohne war früher am Tag in Richtung der US-Basis in Tell Beydar bei Til Temir geflogen. US-Befehlshaber seien vor Ort zu der Einschätzung gelangt, dass eine „potenzielle Bedrohung“ bestanden habe. Daraufhin holte ein US-Kampfjet des Typs F-16 die Drohne vom Himmel. Ryder betonte, dass man derzeit keine Hinweise darauf habe, dass die Türkei absichtlich auf das US-Militär gezielt habe. Es seien außerdem keine US-Streitkräfte verletzt worden.

Die Nachrichtenagentur AP berichtete jedoch unter Berufung auf US-Beamte, dass amerikanische Truppen das türkische Militär vor dem Abschuss der Drohne „mehr als ein Dutzend Mal“ gewarnt und Gegenmaßnahmen angekündigt hätten, sollte das Fluggerät die Sperrzone rund um die Basis nicht verlassen. Die USA wollen offenbar keine Spannungen mit der Türkei provozieren, obwohl der Drohnenabschuss offensichtlich während eines Angriffsflugs des türkischen NATO-Staates gegen die Truppen eines Verbündeten erfolgte. Zu dem Vorfall kam es im Zuge der aktuellen Angriffswelle der Türkei in Nord- und Ostsyrien, für die es aus Washington ohnehin grünes Licht gegeben haben muss, da die USA die Lufthoheit über die syrischen Gebiete östlich des Euphrat innehaben.

Über die bei Tell Beydar abgeschossene Drohne hatte es zunächst geheißen, dass es sich um eine Killermaschine vom Typ Bayraktar TB2 des Rüstungsherstellers Baykar handelt. Bilder vom Wrack deuten jedoch darauf hin, dass das Flugobjekt eine „TAI Anka“ war, die im Auftrag der türkischen Streitkräfte von dem Hersteller Turkish Aerospace Industries entwickelt und gebaut wird. | Bildrechte: ANHA


Das deutete auch Ryder an. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe mit seinem türkischen Amtskollegen Yaşar Güler über den Drohnenabschuss gesprochen und eine „ergiebige Diskussion“ geführt. „Wir werden niemals das legitime Recht der Türkei infrage stellen, ihr Volk vor Terroristen zu schützen“, betonte der Pentagon-Sprecher. Man stehe fest an der Seite des NATO-Partners im Kampf gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sei aber „besorgt“ über die möglichen Auswirkungen einer militärischen Eskalation in Nordsyrien. Ein Mitarbeiter des türkischen Verteidigungsministeriums hatte zunächst bestritten, dass es sich bei dem abgeschossenen Objekt um eine türkische Drohne handele.

Großes Schweigen trotz angekündigter Kriegsverbrechen

Seit einer Aktion der PKK-Guerilla am Sonntag nahe dem Parlament in Ankara fliegt die türkische Luftwaffe „Vergeltungsangriffe“ gegen die nordostsyrische Autonomieregion. Auch das südliche Kurdistan beziehungsweise die Kurdistan-Region Irak (KRI) wird täglich bombardiert. Allein in Syrien wurden bisher mindestens zwölf Menschen infolge der türkischen Militärgewalt getötet, sechs von ihnen waren Zivilpersonen. Weitere zwölf Menschen wurden teils schwer verletzt, die meisten sind Zivilist:innen. Die Angriffe richten sich gezielt gegen lebenswichtige Infrastruktur- und Energieanlagen, zur (beweislosen) Begründung heißt es, die an der Ankara-Aktion beteiligten Guerillakämpfer seien in Nordsyrien ausgebildet worden und von dort über die hochgesicherte Grenze in die Türkei gelangt.

Selbstverwaltung: Türkische Begründung konstruierter Kriegsvorwand

Die Behörden und Verteidigungskräfte der nordostsyrischen Autonomieverwaltung und auch die PKK wiesen diese Darstellung umgehend als „Lüge“ zurück und sprachen von einem konstruierten Vorwand, den seit langem von der Türkei geplanten Angriffskrieg gegen Nord- und Ostsyrien zu starten. Der türkische Außenminister Hakan Fidan hatte am Mittwoch gesagt, in Zukunft würden „alle Infrastruktureinrichtungen der PKK und der YPG“ in Syrien und im Irak als legitime Angriffsziele betrachtet. Er erwähnte dabei insbesondere Energieeinrichtungen. Bei der internationalen Gemeinschaft stießen die Äußerungen kaum auf Kritik, obwohl es sich dabei um zivile Infrastruktur handelt, die nach dem Völkerrecht kein legitimes Ziel darstellen kann.

Titelbild: US-Soldat in Syrien, Oktober 2020 | Spc. Jensen Guillory | Combined Joint Task Force | Gemeinfrei