Die Angriffe der vom Regime in Damaskus und dem Iran unterstützten Söldnergruppen auf die selbstverwaltete Region Deir ez-Zor dauern an. Zeitgleich finden intensive Attacken im Norden Syrien an der Minbic-Şehba-Front durch die türkische Armee und ihre Söldner statt. Das Ganze geschieht während einer von Russland orchestrierten Annäherung zwischen Ankara und Damaskus. Immer wieder ist in westlichen Medien von einem kurdisch-arabischen Konflikt zu lesen, dies ist eine gefährliche Fehlbewertung. Real greift das syrische Regime gemeinsam mit vom Iran unterstützten Söldnergruppen pro-demokratische Araber:innen an. Am vergangenen Freitag hat das Regime ein Massaker an der Bevölkerung der Dörfer al-Dahla und Jadeed Bakkarah verübt. Dort wurden mindestens elf Zivilist:innen durch Raketen der Regimekräfte getötet, fünf weitere wurden verletzt. Unter den Toten und Verletzten befinden sich Kinder und Babys. Zwei weitere Zivilist:innen wurden in den folgenden Tagen getötet.
Nach vorläufigen Informationen wurden bei den Angriffen am Montag 16 weitere Menschen verletzt und Häuser zerstört. Am frühen Morgen wurden die Stadt al-Busaira und die Dörfer al-Kishkiya und Abu Hamam beschossen; zwei Menschen aus derselben Familie wurden verwundet. Bei der Bombardierung des Dorfes Sebha im Kreis al-Busaira wurden zahlreiche Häuser zerstört oder schwer beschädigt. Bei dem Angriff auf das Viertel al-Mewh in der Gemeinda Abu Hamam wurden 14 Menschen verletzt. Die Verletzten wurden in Krankenhäuser im Kanton Deir ez-Zor gebracht und dort behandelt. Nach Angaben der Kliniken befinden sich zwei der Verletzten in einem ernsten Zustand. Berichten zufolge konnten Rettungsteams das Gebiet aufgrund der anhaltenden Bombardierung nicht erreichen. Die Moschee in al-Kishkiyah war ebenfalls Ziel der Angriffe.
Die von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) eingeleiteten Operationen dauern an. Der Militärrat von Deir ez-Zor gab als Mitgliedsverband der QSD am Montagnachmittag bekannt, dass er aufgrund des Massakers von al-Dahla und Jadeed Bakkarah eine Operation gegen drei Stellungen der Söldner des syrischen Regimes durchgeführt habe. Die QSD hatten dazu über den Euphrat übergesetzt. Der Erklärung zufolge wurden 20 Söldner getötet.
Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete von einer Drohne unbekannten Ursprungs, die ein Militärfahrzeug östlich von Deir ez-Zor angegriffen habe. Dabei seien fünf Mitglieder pro-iranischer Söldnergruppen getötet und weitere verletzt worden. Gelegentlich greifen US-Drohnen oder israelische Drohnen solche Einheiten in der Region an.
Dass dieser Angriff nach der Tötung des Leiters des Politbüros der Hamas, Ismail Haniyya, in Teheran erfolgte, ist auffällig. Die US-Streitkräfte trafen Vorsichtsmaßnahmen gegen einen möglichen Angriff auf Stützpunkte in Hesekê, Shedade und Rimelan auf das Omer-Ölfeld sowie die Stützpunkte Koniko und Tenek östlich des Euphrat. In den letzten Jahren haben die USA ihre Stützpunkte mit dem Sentinel-Radarsystem, dem leistungsstarken HIMARS-Luftabwehrsystem mit mittlerer Reichweite und Lenkung einer mittleren Artillerie-Haubitze und dem Avenger-Luftabwehrsystem mit kurzer Reichweite verstärkt. Die US-Streitkräfte überwachen die von Iran unterstützten Söldnergruppen westlich des Euphrat mit Drohnen aus der Luft.
Vom Iran unterstützte Söldner sind im Süden von Damaskus, bei Der ez-Zor, Mayadin, Muhasan und Bukamal sowie an der syrisch-irakischen Grenzlinie stark vertreten. Faylaq al-Quds, die Fatimiyyun-Brigade, Kata'ib al-Shuhada und mit der Hisbollah verbundene Elemente sind dort aktiv. Faylaq al-Quds untersteht dem Korps der Iranischen Revolutionsgarden und ist im Stützpunkt Imam Ali untergebracht. Dieser Stützpunkt wurde 2018 im Bezirk Bukamal bei Deir ez-Zor an der irakischen Grenze errichtet und ist mit mehrläufigen Katjuscha-Raketenwerfern, Grad-Raketen, bewaffneten Drohnen, russischen Kurzstreckenraketen vom Typ Scud und iranischen Fajr-5-Raketen ausgestattet.
Zeitgleiche Angriffe durch die türkische Armee
Zeitgleich griff die türkische Armee an der Şera-Front in Efrîn-Şehba an. In den vergangenen drei Tagen wurden mindestens 171 Haubitzen- und Mörsergranaten sowie Kamikaze-Drohnen auf den Kanton Minbic abgefeuert. Am 7. August hatte die türkische Armee zeitgleich zu baathistisch-iranischen Angriffen auf die Region Deir ez-Zor die Dörfer Seyada, al-Dandaniya, Umm al-Julud, Ereb Hesen, Toxar und Awn al-Dadat mit 52 Mörser- und Haubitzengranaten beschossen. Darüber hinaus wurden die Dörfer Hoşeriyê und Ewn al-Dadat mit DSchK-Geschützen angegriffen. Am 8. August wurden die Dörfer Qawukli (Al-Kavakli), Korhiyûk, Qurtwêran und Biwêhîc mit 70 Mörser- und Haubitzengranaten angegriffen. Am 10. August wurden 33 Mörser- und Haubitzengranaten auf die Dörfer Ewn al-Dadat und al-Jat und 16 auf das Dorf Seyada abgefeuert. Auch Kamikaze-Drohnen griffen das Dorf Seyada an. Durch die Angriffe wurden zahlreiche Häuser beschädigt.
Ankara und Damaskus gehen koordiniert vor
Zêdan al-Asî, Ko-Vorsitzender des Verteidigungsbüros der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, erklärte, die gleichzeitigen Angriffe machten deutlich, dass es eine Koordination zwischen beiden Seiten gebe. Sie verfolgten das gemeinsame Interesse, das Projekt der Selbstverwaltung zu vernichten.
Regime verdreht die Wahrheit
Das Büro für Außenbeziehungen der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien reagierte in einer schriftlichen Erklärung auf eine Erklärung des Außenministeriums des Regimes in Damaskus, in denen die Selbstverwaltung bzw. die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) für die Angriffe und Massaker in Deir ez-Zor verantwortlich gemacht wurden. In der Erklärung hieß es: „Die Ereignisse in Deir ez-Zor begannen mit den Angriffen, die von den regierungstreuen Kräften in Damaskus und ihren Anhängern durchgeführt wurden.“ Die Selbstverwaltung forderte das Regime auf, sich besser mit den türkischen Söldnern und den Verletzungen der syrischen Souveränität durch die Türkei zu befassen, anstatt mit solchen Erklärungen die Tatsachen zu verdrehen. Weiter hieß es: „Sie beharren weiterhin darauf, die Bevölkerung Syriens zu massakrieren."
Aber die Haltung der Bevölkerung Syriens, der Menschen, die sich gegen diesen von Damaskus initiierten Angriff stellen und ihre Unterstützung für die Kräfte, die sie schützen, ist sehr bedeutsam. Das Büro der Selbstverwaltung appellierte an die Menschen in den vom Regime kontrollierten Gebieten, sich nicht von der aufhetzenden Rhetorik des Regimes täuschen zu lassen und forderte das Regime auf, seine „sinnlose Demagogie“ aufzugeben.
„Wir wollen keinen Krieg, wir wollen Dialog“
Der stellvertretende Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Selbstverwaltung, Gabi Shamoun, unterstrich die Entschlossenheit der Selbstverwaltung zum Dialog. Sie sei auch weiterhin jederzeit zum Dialog bereit.
Die Ko-Vorsitzende des Demokratischen Syrienrats (MSD), Leyla Qereman, unterstrich ebenfalls für den MSD die Entschlossenheit für eine friedliche und politische Lösung. Qereman begrüßte die unterstützende Haltung vieler Stämme und Organisationen und warnte das Regime in Damaskus vor einer Eskalation.
„Es gibt kein Zurück zum Status quo ante 2011“
Foza Yûsif, Mitglied des Vorstandsrats der PYD, erklärte: „Die Kräfte um uns herum wollen nicht, dass unser Projekt Erfolg hat. Die Fortdauer der Situation in Deir ez-Zor ist ein Versuch, unser Projekt zu zerstören. Die Regierung in Damaskus will Syrien in die Zeit vor 2011 zurückversetzen, wie sie es 2004 in Qamişlo getan hat. Was in Deir ez-Zor passiert ist nichts anderes, als eine Fortsetzung der zerstörerischen Versuche von 2023 Zwietracht zu säen und die soziale Struktur der Region zu erodieren. Das Ziel der Normalisierung zwischen dem türkischen Staat und Syrien unter Beteiligung lokaler und internationaler Mächte besteht darin, das Schlachtfeld zu vergrößern und den Konflikt in Syrien zu vertiefen. Gleichzeitig sollen die Errungenschaften der Völker in Nord- und Ostsyrien zerstört werden. Der einzige Weg, den Konflikt in Syrien zu lösen, ist der innere Dialog. Die Menschen in Nord- und Ostsyrien werden gemeinsam mit ihren Streitkräften die Angriffe nicht unbeantwortet lassen und nicht zulassen, dass Syrien in die Situation von vor 2011 zurückfällt. Die Regierung in Damaskus muss auf militärische Lösungsansätze verzichten.“
Die Türkei zieht sich aus den besetzten Gebieten nicht zurück
Die Initiative zur „Normalisierung“ zwischen Ankara und Damaskus gewann am 28. Juni an Schwung, als der türkische Präsident Erdoğan eine „Normalisierung mit Syrien“ und ein Treffen mit dem syrischen Präsidenten Assad forderte. Der syrische Präsident Bashar al-Assad erklärte am 15. Juli, er werde sich nur dann mit Erdoğan treffen, „wenn Ankara seine Haltung in ‚grundlegenden‘ Fragen wie der Unterstützung des Terrorismus und dem Rückzug der türkischen Streitkräfte von dem syrischen Staatsgebiet ändere". Ankara will sich mit Damaskus über eine neue Initiative gegen die selbstverwalteten Regionen „normalisieren“, während Damaskus klargemacht hat, es wolle einen vollständigen Rückzug der türkischen Armee von syrischem Staatsgebiet und ein Ende der Unterstützung für Terrorgruppen. Nur dann könne es eine „Normalisierung“ geben. Der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler erklärte gestern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Türkei und Syrien könnten sich „auf Ministerebene treffen, wenn die notwendigen Bedingungen erfüllt sind“. Güler sagte auch: „Über eine Koordinierung des Rückzugs aus Syrien kann erst gesprochen werden, wenn eine neue Verfassung angenommen, Wahlen abgehalten und die Grenzen gesichert sind.“
Türkei gegenüber Söldnern: „Es wird keine Normalisierung geben“
Bei einem Treffen des türkischen Außenminister Hakan Fidan am 8. August mit Söldnerführern in Ankara, gab dieser ganz andere Signale. Die Kontakte der Türkei mit dem Assad-Regime zielten nicht auf eine Normalisierung ab, sondern konzentrierten sich auf Themen wie die nationale Sicherheit und die Rückkehr syrischer Flüchtlinge. Fidan betonte laut der in Großbritannien ansässigen Zeitung Asharq al-Arabi, die jüngsten Gespräche der Türkei mit Damaskus seien weitgehend eine Reaktion auf den russischen Druck im Astana-Prozess. Fidan habe argumentiert, die Türkei strebe nicht die Wiederherstellung uneingeschränkter diplomatischer Beziehungen zum Assad-Regime. Eine politische Lösung sei in absehbarer Zeit nicht in Sicht.
Russland priorisiert die Zusammenarbeit mit der Türkei
Auf Fragen zu den strategischen Zielen Russlands in Syrien antwortete die Dozentin Iqbal Dürre von der Moskauer Universität auf Rûdaw TV, dass Russland an einer Zusammenarbeit mit der Türkei interessiert sei, um seine Macht in Syrien zu stärken, und diese Zusammenarbeit verbessern wolle. Dürre nannte drei Hauptgründe für diese Strategie Russlands und fasste sie wie folgt zusammen;
* Durch eine Annäherung zwischen der Türkei und dem Regime in Damaskus in Syrien plant Russland, dass die Energie auf die Lösung der Probleme zwischen Damaskus und der Türkei gelenkt werden solle, anstatt sie auf die Bekämpfung der von der Türkei unterstützten Söldnern in der Region zu verschwenden. Eine friedlichere Beziehung zwischen Assad und der Türkei ist also im Sinne Russlands und erhöht Moskaus Einfluss in Syrien.
* Im Falle einer Eskalation der iranisch-israelischen Spannungen könnte Syrien vor einem großen Problem stehen. Die Verschlechterung der Beziehungen Syriens zur Türkei kann sowohl Syrien als auch Russland in eine schwierigere Lage bringen. Aus diesem Grund versucht Russland, Assad und Erdoğan zu versöhnen.
* Russland möchte, dass die Widersprüche zwischen der Türkei und den USA zunehmen. Eine Annäherung der Türkei an Assad würde zu Problemen in den Beziehungen zwischen der Türkei und den USA führen, was Russland in die Hände spielen würde. Russland hat die türkische Präsenz in Idlib wegen der Bedeutung seiner kommerziellen und strategischen Beziehungen zu Ankara auf die lange Bank geschoben. Russland wird sich weiterhin bemühen, in Abstimmung mit der Türkei zu handeln.