Rojava: Newroz ist auch Symbol unseres Kampfes

Das Bewusstsein des Aufbegehrens gegen die Unterdrückung, das für das kurdische Volk seinen Ursprung in Newroz hat, lässt auch den Widerstand in Nord- und Ostsyrien Jahr für Jahr anwachsen. „Diesen Weg gilt es fortzusetzen“, erklärt die Selbstverwaltung.

Das Widerstandsfest Newroz steht in den Autonomiegebieten von Nord- und Ostsyrien unter dem Motto „Mit dem Willen der Völker Newroz 2022 in einen Befreiungskampf für Rêber Apo verwandeln“. Damit gemeint ist Abdullah Öcalan, Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung und auch Ideengeber des demokratischen Konföderalismus, der als Gesellschaftskonzept in Nord- und Ostsyrien umgesetzt wird und von dort aus zum Symbol für Frieden und Demokratie in einer krisengeschüttelten Region aufgestiegen ist.

Schon seit Samstag lodern in zahlreichen Städten der befreiten Gebiete die Flammen des Newroz, die den Kampf und die Sehnsucht des kurdischen Volkes nach Freiheit symbolisieren. Am Sonntag wurden die Feiern vielerorts fortgesetzt. Menschen in festlicher Kleidung machten an geschmückten Plätzen den traditionellen Sprung über das Feuer, um das Alte hinter sich zu lassen und den Neubeginn in Empfang zu nehmen. An den Friedhöfen werden Kerzen entzündet, um der Gefallenen der Revolution zu gedenken und für sie zu beten. Die zentrale Newroz-Feier für dieses Jahr steht am morgigen Montag in Hesekê an. Wie das Organisationskomitee am Abend durchblicken ließ, sind alle Vorbereitungen bereits abgeschlossen.

Kobanê

Geburtsstunde der Geschichte des Willens eines Volkes, aufzubegehren

Ebenfalls am Sonntag veröffentlichte die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens ein Grußwort zum diesjährigen Newroz-Fest. Besonders hervorgehoben wird darin die Bedeutung dieses Tages für die kurdische Gesellschaft. Newroz, das traditionell am 21. März gefeiert wird, ist 612 v. Chr. aus dem Widerstandsgeist des kurdischen Volkes im Reich der Meder entstanden, den es bis heute symbolisiert. Es gilt als Fest der Wiedergeburt und steht in der Tradition der Befreiung von Unterdrückung und Tyrannei. Die Selbstverwaltung beschreibt diesen Tag mit den Worten: „Das erste Newroz war die Geburtsstunde der Geschichte des Willens eines Volkes, aufzubegehren, um ein würdevolles und freies Leben zu führen. Und auch heute, mehr als 2.600 Jahre später, hat Newroz noch immer dieselbe Bedeutung wie damals: Es ist das Symbol des Kampfes gegen Tyrannei, Versklavung, Kolonialherrschaft. Und es ist die historische Formel dafür, Gesellschaften als Kollektiv zu erhalten.“

Kurdisches Viertel Şêxmeqsûd in Aleppo

Einheit für ein freies, demokratisches und pluralistisches Syrien

Weiter heißt es in der Botschaft: „Newroz gab auch der Revolution der Menschen in Nord- und Ostsyrien einen Sinn. Die Einheit unseres Volkes und sein Kampf, der trotz aller Hindernisse entschlossen fortgesetzt wird, stehen sinnbildlich für den freiheitlichen Geist von Newroz. Es ist dieses Bewusstsein des Aufbegehrens gegen die Unterdrückung, das den Widerstand in Nord- und Ostsyrien Jahr für Jahr anwachsen lässt. Diesen Weg gilt es fortzusetzen. Nicht nur das kurdische Volk, sondern alle Gemeinschaften Nord- und Ostsyriens tragen den Kampf gegen das Unrecht aus. Sie tun dies gemeinsam, Schulter an Schulter, um nach dem Prinzip einer demokratischen Nation trotz oder gerade wegen der Vielfalt und der Unterschiede der vertretenen Kulturen eine wahrhaftige Geschwisterlichkeit der Völker zu erreichen. Diese Einheit ist erforderlich, um ein freies, demokratisches und pluralistisches Syrien aufzubauen. In diesem Sinne: Newroz pîroz be!“

Kerzen für die Gefallenen

Newroz: Fest des Widerstands

Das Neujahrsfest Newroz ist für viele Völker weit über den Nahen Osten hinaus ein Fest des Neubeginns und des Widerstandes. Es ist eines der ältesten, noch lebendigen Feste der Menschheit und stellt vor allem auch für die kurdische Gesellschaft eine wichtige Säule der kulturellen Identität dar. Das Aufbegehren eines Schmieds gegen einen Tyrannen bleibt bis heute ein starkes Leitmotiv in vielen Gesellschaften.

Gefeiert wurde auch in den Vertriebenencamps Nord- und Ostsyriens

Die Legende erzählt, dass im Land der Kurden Dehak regierte, ein brutaler und tyrannischer Herrscher, der die Menschen versklavte und den Frühling verbot. In seinem Reich lebte auch ein Schmied namens Kawa. Eines Tages wuchsen Dehak zwei Schlangen aus seinen Schultern. Er bekam den Rat eines Weisen, der ihm sagte, er solle diese Schlangen mit den Gehirnen zweier kurdischer Knaben füttern, deren Verzehr die Schlangen vielleicht besänftigen würde. Dehak ließ daraufhin jeden Tag zwei Jungen aufs Schloss bringen und von seinen Köchen töten, die aus den Gehirnen ein Mahl für die Schlangen zubereiteten.

Armayel und Garmayel wollten dem Treiben des Tyrannen Dehak ein Ende setzen. Als Köche gelangten sie ins Schloss und töteten fortan nur noch einen der beiden Jungen. Dem anderen verhalfen sie heimlich zur Flucht. Kawa, der Schmied, der unter dem Volk als kluger und mutiger Mann galt, bildete die Entkommenen zu Kriegern aus. Als die Streitmacht groß genug war, marschierte sie unter der Führung des Schmieds zum Palast. Es war ein 20. März, als Kawa den König mit seinem Schmiedehammer erschlug. Dann entzündete er ein Feuer auf dem Gipfel des höchsten Berges, als Zeichnen für alle zum Kampf bereiten Kurden, den Palast zu stürmen. Dies war das erste Mal, dass die Kurden sich von einem Unterdrücker befreien konnten. Und am nächsten Tag zog der Frühling wieder ins Land.

Da der Held Kawa das Feuer zum Schmieden des Eisens brauchte, ist das Feuer zu einem wichtigen Symbol des Neujahrsfestes geworden. Das Feuer spielt beim kurdischen Volk eine große Rolle, da es das Verlangen nach Freiheit bezeugt. So werden jedes Jahr Feuer entzündet, um die Sehnsucht und den Widerstand des kurdischen Volkes zu verkörpern.