Der Kantonsrat von Efrîn hat die Ignoranz der internationalen Gemeinschaft angeprangert, die trotz fortgesetzter Kriegsverbrechen der türkisch-dschihadistischen Besatzungstruppen in Nordsyrien anhält. Statt weiter zu schweigen, müsste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt werden, hieß es auf einer Pressekonferenz, die am Dienstag im Camp-Veger abgehalten wurde. Das Lager, in dem Binnenvertriebene aus Efrîn leben, befindet sich in der Ortschaft Ziyaret in Şêrawa, einem nicht vollständig von der Türkei besetzten Kreis im Kanton Efrîn.
Am 20. Januar 2018 begann die Türkei ihre von Russland und Iran abgesegneten und der internationalen Staatengemeinschaft ignorierten Angriffe auf Efrîn, um das Experiment einer Demokratischen Nation in Nord- und Ostsyrien zu zerstören. Die Erprobung einer direkten kommunalen Demokratie mit emanzipatorischen Zügen stellt die Systemfrage an die Staaten im Mittleren Osten, daher rührt die Gegnerschaft. Durch die invasiven Angriffe auf den Kanton mussten Hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen. Bis zum Rückzug aus Efrîn am 16. März 2018 waren hunderte Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet worden. Über 1000 Menschen wurden verletzt.
„Aber auch seit der Besetzung und gerade jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, halten die Angriffe der Türkei und ihren islamistischen Verbündeten unvermindert an. Trotz des UN-Aufrufs für einen globalen Waffenstillstand angesichts der Coronakrise sind die Kurden nach wie vor im Visier des türkischen Staates.“ Die Lage für die nach Şehba und andere Regionen außerhalb Efrîns vertriebene Bevölkerung sei prekär. Auf der einen Seite bedrohe die Türkei das Leben der Menschen, auf der anderen Seite die Pandemie, hieß es in der Erklärung, die auf Arabisch und Kurdisch verlesen wurde.
Aus der Stellungnahme gingen auch aktuelle Fakten zur Umsetzung der Annexion hervor: „Der kurdische Bevölkerungsanteil in Efrîn beträgt mittlerweile nur noch 27 Prozent. Vor der Invasion waren 97 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner kurdischstämmig. Heiligtümer und Pilgerstätten der ezidischen Glaubensgemeinschaft werden systematisch zerstört. Angehörige nicht-islamischer Religionen werden zwangsislamisiert. Efrîn, das einst die verschiedensten Glaubensrichtungen und Kulturen beherbergte, gleicht heute einem einzigen Trümmerhaufen.“
Das globale Schweigen müsse endlich beendet werden, damit die Kriegsverbrechen der Türkei in Nordsyrien enden und die Menschen in ihre angestammte Heimat zurückkehren können, fordert der Kantonsrat von Efrîn.