Kampf um die Toten: Hundert Tage Widerstand in Sêmalka

Seit hundert Tagen harren Angehörige von Gefallenen und Unterstützer:innen am Grenzübergang Sêmalka in Nordostsyrien aus. Ihre einzige Forderung ist die Übergabe der Leichen von Guerillakämpfer:innen, um sie in Würde bestatten zu können.

Eine bewaffnete Spezialeinheit der PDK hat am 26. Juli 2021 eine dreiköpfige Guerillagruppe unter dem Kommando von Server Serhat in Südkurdistan in einen Hinterhalt gelockt und verschleppt. Bis heute ist ihr Schicksal ungeklärt. Noch während Aufklärung über ihren Verbleib gefordert wurde, hat eine PDK-Einheit in der Nacht vom 28. auf den 29. August eine weitere Guerillagruppe in einem Hinterhalt angegriffen. Die Gruppe befand sich auf dem Weg von Qendîl nach Behdînan. Sechs Kämpferinnen und Kämpfer kamen ums Leben, nur ein Kämpfer überlebte und erreichte Tage später eine andere Guerillaeinheit.

Geständnis eines PDK-Sprechers

Die Volksverteidigungskräfte (HPG) forderten von der PDK eine Stellungnahme. Daraufhin erfolgte lediglich eine schnippische Antwort des PDK-Sprechers Mahmud Muhammed, der mit der Frage „Was hatte die Guerilla dort zu suchen?“ gleichzeitig den Angriff zugab. Nach dieser Antwort wurden die Familien der aus Rojava stammenden Gefallenen Tolhildan Raman und Serdem Cûdî aktiv, um die Leichen einzufordern. Die Institution der Gefallenenfamilien aus Rojava wurde um Hilfe gebeten.

Zelt an der Grenze

Die Institution und die Angehörigen der Gefallenen gaben öffentliche Erklärungen ab und forderten die Übergabe der Leichen. Die PDK reagierte nicht darauf. Am 5. Oktober 2021 rief der Rat der Gefallenenfamilien zu einer Mahnwache an der Grenze nach Südkurdistan auf, um die Forderung zu bekräftigen. Am Grenzübergang Sêmalka wurde ein Zelt errichtet, das seit nunmehr hundert Tagen von Gruppen aus verschiedenen Ortschaften im Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien besucht wird. Unter den Besucher:innen sind mitfühlende Menschen aus der Bevölkerung, Frauendelegationen, Vertreter:innen der Autonomieverwaltung und zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie auffällig viele arabische Scheichs und Stammesälteste.

Friedensmütter werden von der PDK zurückgewiesen

Die größte Unterstützung leisten Frauen, die selbst Kinder im Kampf gegen die türkische und islamistische Besatzung verloren haben und auch in den anderen Teilen Kurdistans unter dem Label „Friedensmütter“ organisiert sind. Die Friedensmütter versuchten drei Mal, am 11. und 21. Oktober sowie am 4. November, die Brücke über den Grenzfluss zu überqueren, um ein Schreiben mit ihrer Forderung an die Zuständigen der PDK zu überreichen. Sie wurden jedes Mal von den Sicherheitskräfte der PDK aufgehalten und zurückgeschickt.

Angriff auf Jugendbewegung und Schließung der Grenze

Auch die Revolutionäre Jugendbewegung Syriens unterstützte die Forderung der Hinterbliebenen und zog in einer mehrtägigen Demonstration an die Grenze. Auf der Brücke nach Südkurdistan wurden die Aktivist:innen von Sicherheitskräften und Mitarbeitern des PDK-Geheimdienstes mit Hochdruckschläuchen und Steinen angegriffen und zurückgedrängt. Die PDK schloss am 16. Dezember den Grenzübergang zwischen Pêşxabûr (Fish Khabur) in Südkurdistan nach Sêmalka in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien und am 16. Dezember den Übergang zwischen El-Welîd und Koçerat.

Die Angehörigen sind entschlossen

Anstatt die Leichen zu übergeben, hat die PDK die Mütter der Gefallenen etliche Male bedroht. Die Angehörigen halten jedoch entschlossen an ihrer Forderung fest und signalisieren, dass die Aktion an der Grenze nicht beendet wird, bis die Toten würdevoll bestattet werden können.

Heute hat eine Gruppe aus Amûde die Mahnwache in Sêmalka übernommen. Die Aktivist:innen sagen, dass es eine Ehre für sie ist, den hundertsten Tag der Aktion zu gestalten.