Deutsches Grundgesetz gilt auch für Kurd:innen!
Der kurdische Politiker und Aktivist Yüksel Koç wurde am 20. Mai von der Polizei Bremen festgenommen, seine Wohnung wurde durchsucht. Ein Ermittlungsrichter in Karlsruhe ordnete am Folgetag den Vollzug der Untersuchungshaft für den 61-Jährigen an. Koç wurde noch am Mittwoch in der JVA Bremen in Haft genommen. Die Strafverfolgungsbehörden werfen dem bekannten kurdischen Politiker Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor.
Der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. verurteilt diese Maßnahme in einer Pressemitteilung aufs Schärfste und sieht generell eine Diskrepanz zwischen der Wahrung der Grundrechte und der Verurteilungspraxis deutscher Gerichte in derlei Fällen. Koç habe sich über Jahre hinweg als verlässlicher Partner in der Zusammenarbeit mit dem Verein erwiesen. In seiner Mitteilung erklärt AZADÎ seine Verbundenheit und Solidarität mit dem inhaftierten Politiker Yüksel Koç und fordert seine umgehende Freilassung.
Friedliches und demokratisches Engagement
Als langjähriger Ko-Vorsitzender der Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland (YEK-KOM) und später des kurdischen Europadachverbands (KCDK-E) sei Koç ein anerkannter Gesprächspartner für die kurdische Bewegung und setze sich seit Jahrzehnten mit friedlichen und demokratischen Mitteln für die Rechte der kurdischen Community in Deutschland ein. So vertrat er im Oktober 2012 die Forderungen Yek-Koms (die von 53.657 Personen mitgezeichnet wurden) vor dem Petitionsausschuss des deutschen Bundestages. Auch damals stand neben elf weiteren Punkten die Forderung nach der Aufhebung des PKK-Verbots im Raum.
Langjährige konstruktive Zusammenarbeit
AZADÎ e.V. gab an, über Jahre hinweg ausgesprochen konstruktiv mit Koç zusammengearbeitet zu haben. Insbesondere während dessen Zeit im Vorstand von YEK-KOM habe man bei der Vorbereitung vieler Veranstaltungen, Konferenzen und Demonstrationen in einem aufbauenden Austausch miteinander gestanden.
Strafbar soll sich Yüksel Koç zwischen 2016 und 2023 im Rahmen seines politischen Engagements für den KCDK-E gemacht haben. Die Bundesanwaltschaft beschuldigt ihn propagandistischer und koordinierender Tätigkeiten in mutmaßlicher Mitgliedschaft der PKK. Nach dieser Auffassung habe er sich wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer „terroristischen“ Vereinigung im Ausland nach §§ 129a, 129b StGB strafbar gemacht. Eine individuelle Straftat wird dem mehrfachen Familienvater darüber hinaus nicht vorgeworfen.
Gilt das deutsche Grundgesetz auch für Kurd:innen?
Der Rechtshilfefonds findet dieses gängige Vorgehen der deutschen Justiz juristisch fraglich: „In fast allen Anklageschriften der § 129b-Verfahren gegen Kurd:innen werden den Angeklagten nur allgemeine politische Aktivitäten vorgeworfen wie etwa die Vorbereitung und Durchführung von friedlichen Demonstrationen und Veranstaltungen. Entgegen den Behauptungen der auf der Grundlage des § 129b StGB verurteilenden Gerichte ist eine ersichtliche Trennung zwischen durch das Grundgesetz geschützten politischen Aktivitäten und strafbarem Handeln im Auftrag der PKK nicht gegeben. Dies führt staatlich gewollt zu einer Verunsicherung und Entpolitisierung der kurdischen Community in Deutschland.“
Festnahme ist Schlag gegen den Friedensprozess
Insbesondere der aktuell sensiblen Phase in der Türkei, in der sich historische Möglichkeiten für einen nachhaltigen Friedens- und Demokratisierungsprozess eröffnen, stünde die am Dienstag in Bremen erfolgte Festnahme als eine bewusste Sabotage gegenüber. Der Friedensaufruf des seit 1999 inhaftierten PKK-Begründers Abdullah Öcalan vom 27. Februar und die daraufhin im Mai gefassten Beschlüsse des 12. Kongresses der PKK, ihre Selbstauflösung und das Ende des bewaffneten Kampfes, „waren von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Europäischen Union begrüßt worden. Auch die Bundesregierung äußerte sich positiv zu den Beschlüssen in Hinblick auf mehr Stabilität in der Türkei und der Region.“
In diesem Zusammenhang findet AZADÎ scharfe Worte der Kritik am Vorgehen der deutschen Behörden: „In dieser Situation mutet es wie Torschlusspanik an, dass die deutschen Staatsanwaltschaften ihren Repressionsdruck erhöhen und zunehmend niederschwelliger Razzien, Festnahmen und Anklagen gegen politisch aktive Kurd:innen vornehmen. Während in der Türkei Hintergrundgespräche zwischen dem Regime und der kurdischen Opposition über die Reformierung des dortigen ausufernden Terrorismusparagraphen laufen, gleicht sich die deutsche Justiz dem aktuellen türkischen Niveau an.
Primat der Politik gegenüber der Repression
In der aktuellen Situation fordern wir als Rechtshilfefonds AZADÎ ein Primat der Politik gegenüber der seit Jahrzehnten eingespielten Repressionsbürokratie und appellieren vor allem an den deutschen Bundestag, die positiven Schritte der kurdischen Bewegung aufzunehmen und entsprechende Initiativen zu ergreifen. Dazu gehören im Bereich der Innenpolitik die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums gegen die PKK in Bezug auf § 129b StGB und die Einstellung der laufenden Verfahren. Ebenso fordern wir die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste.“