IS-Opfer fordern internationalen Gerichtshof

Auf einem internationalen Forum in Nordsyrien haben Opfer des IS-Terrors die Einrichtung eines länderübergreifenden Gerichtshofs zur Verurteilung der Verbrechen der islamistischen Organisation gefordert.

In Amûdê im nordsyrischen Kanton Qamişlo hat ein internationales Forum gegen den Terrorismus der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) begonnen. Hunderte Expert*innen und persönliche Betroffene aus dem In- und Ausland nehmen an der dreitägigen vom Zentrum für strategische Studien Rojava (NRLS) veranstalteten Konferenz unter dem Titel „IS: Dimensionen, Herausforderungen und Strategien für Auseinandersetzungen“ teil.

In der ersten Sitzung kamen Betroffene des IS-Terrors vor allem in Syrien und dem Irak, aber auch in Frankreich und aus Jordanien zu Wort. Einleitend äußerte sich Ahmed Sino in einer Begrüßungsansprache im Namen des NRLS zu den Zielen des Forums. In erster Linie gehe es um die Sicherheit der Region, den Kampf gegen den IS, die Aufklärung der politischen und militärischen Zusammenhänge und eine Verurteilung der IS-Anhänger für die von ihnen begangenen Kriegsverbrechen. „Das Forum bietet die Gelegenheit, die Aufgaben der internationalen Gemeinschaft zum Thema einer Verurteilung der IS-Verbrechen nach internationalen Rechtsnormen zu konkretisieren“, so Ahmed Sino.

Nach der Eröffnungsansprache wurde eine Videodokumentation zu den Terrorangriffen des IS in den letzten Jahren gezeigt. Anschließend ergriffen Opfer, Zeugen und Hinterbliebene des IS-Terrors aus Şengal, Kobanê, Frankreich, Pirsûs (Suruç), Deir ez-Zor und Jordanien das Wort und bekräftigten die Forderung nach einem internationalen Gerichtshof zur Sühnung der IS-Verbrechen.

Ezidische Frauen: Nicht nur persönliche Rache

Als erste Rednerin berichtete die junge Ezidin Makbûla Êzidiya, wie ihre Familie beim IS-Angriff auf Şengal am 3. August 2014 ermordet und sie selbst verschleppt und auf einem Sklavenmarkt „verkauft“ worden ist. Die schlimmsten Verbrechen des IS haben in Şengal stattgefunden, betonte sie und forderte eine Verurteilung vor einem internationalen Gericht.

Nach Makbûla Êzidiya erzählte eine weitere Ezidin von ihren Erlebnissen. Suad Murad Xelef wurde nach Raqqa verschleppt und als Sklavin verkauft. Nach ihrer Befreiung durch die YPJ/YPG kehrte sie nach Şengal zurück und schloss sich den ezidischen Frauenverteidigungskräften YJŞ an, um sich am IS zu rächen. „Es ging mir jedoch nicht nur um meine persönliche Rache. Ich habe zur Waffe gegriffen, um Vergeltung für alle ezidischen Frauen zu üben. Dann habe ich mit den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) in Raqqa gekämpft, wo ich vorher als Sklavin gehalten wurde. Unser Volk hat am meisten unter dem IS gelitten. Wir wollen, dass diese Personen nach internationalem Recht verurteilt werden. Damit soll auch verhindert werden, dass neue Milizen wie der IS entstehen.“

Überlebende des Anschlags von Pirsûs: Aufgabe der gesamten Menschheit

Sibel Işık hat den IS-Anschlag in Pirsûs (Suruç) überlebt, der im Juli 2015 33 jungen Menschen das Leben kostete: „Wir waren in Pirsûs, weil wir nach Kobanê weiterfahren und uns dort am Wiederaufbau beteiligen wollten. Vor allem den Schmerz der Kinder wollten wir lindern. Aber plötzlich befanden wir uns mitten im Blut unserer Freundinnen und Freunde, mit denen wir wenige Minuten zuvor noch gelacht und getanzt hatten. Die IS-Mitglieder müssen verurteilt werden, damit diese Denkweise nie wieder an Stärke gewinnt. Die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs ist eine Aufgabe der gesamten Menschheit.“

Weltweite Gefahr

Die nächste Rednerin war Alice Daif, die bei dem IS-Anschlag in Nizza im Juli 2016 verletzt wurde. Sie ging auf die weltweite Gefahr ein, die der IS immer noch darstellt, und forderte eine Bestrafung der Täter. Cewad al-Kasasba, ein Bruder des vom IS durch Verbrennung getöteten jordanischen Piloten Muas al-Kasasba, nahm über Skype an dem Forum teil und erklärte, dass seine Familie als Nebenkläger bei einem internationalen Gerichtsverfahren gegen die Täter auftreten wollen würde.

IS-Verbrecher müssen in Syrien vor Gericht

Alcîn Ibrahim hat zwei Geschwister bei dem IS-Massaker am 25. Juni 2015 in Kobanê verloren und fordert eine Verurteilung der Täter in Syrien: „Wenn sie unbestraft bleiben, werden sie weitere Verbrechen begehen. Sie müssen auf jeden Fall hier, in Syrien, sogar in Kobanê vor Gericht gestellt werden.“

Nasir al-Sebaa äußerte sich auf dem Forum als Vertreter des Stammes der Shihetat aus Deir ez-Zor. Tausende Stammesangehörige sind 2013 vom IS ermordet worden. „Dabei handelte es sich um den ersten Massenmord des IS. Wir werden diese Angelegenheit weiter verfolgen“, so al-Sebaa.