Ilham Ehmed: Damaskus muss die Selbstverwaltung anerkennen
Die Außenpolitikerin Ilham Ehmed fordert von Damaskus die Anerkennung der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien und betont die Bedeutung der Selbstverteidigung.
Die Außenpolitikerin Ilham Ehmed fordert von Damaskus die Anerkennung der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien und betont die Bedeutung der Selbstverteidigung.
In Qamişlo hat die Arbeitskonferenz „Definition der kurdischen Identität und des syrischen Volkes im System der demokratischen Nation“ stattgefunden. Die Ko-Vorsitzende des Büros für auswärtige Angelegenheiten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Ilham Ehmed, ging in ihrem Beitrag unter dem Titel „Die mit der Revolution entstandene kurdische politische und organisierte Identität im Kontext von Lösungsperspektiven der kurdischen Frage“ insbesondere auch auf die Perspektiven im Verhältnis zum Regime in Damaskus ein.
Das syrische Regime hat nicht nur in den letzten Wochen insbesondere die selbstverwaltete ostsyrische Region Deir ez-Zor massiv angegriffen und dabei dutzende Zivilist:innen massakriert, es praktiziert auch weiterhin eine massive Verleugnungskampagne gegen die kurdische Identität. So werden Schulabschlüsse von Schulen, in denen Kurdisch unterrichtet wird, nicht anerkannt.
Ilham Ehmed ging zunächst auf die Veränderungen mit der Revolution von Rojava ein und erklärte: „In den 13 Jahren seit Beginn der Syrienkrise hat die Lösung der kurdischen Frage in Nord- und Ostsyrien ein entscheidendes Niveau erreicht. In Syrien und in Rojava fand seit langem ein Kampf statt. 2011 brach aber ein neues Stadium an, das bis heute andauert. Vor der Revolution wurde der Kampf durch kurdische Parteien in Syrien in ihren Strukturen organisiert. Das ist seit 2011 anders. Dieser neue Kampfabschnitt zeigt sich in den Beziehungen zwischen den Völkern und Kulturen in Syrien.“
Zehntausende Kinder lernen an kurdischen Schulen
Ehmed wies darauf hin, dass diese Entwicklungen auf dem Erbe der kurdischen Freiheitsbewegung basieren, und erklärte weiter: „Es wurden große Opfer für die Anerkennung der kurdischen Identität gebracht. Dafür sind auch große Erfolge erzielt worden. Einige Gruppen, Parteien oder Einzelpersonen arbeiten gegen diesen Erfolg. Sie haben es besonders auf die kurdische Sprache abgesehen. Sie stellten sich [wie das Regime] gegen den Fortschritt. Zum Beispiel akzeptiert das Regime keine Kinder, die in unseren kurdischsprachigen Schulen lernen. Das ist falsch, es ist ein Mangel an Vertrauen in die Zukunft. Es gibt Zehntausende von Kindern, die in unseren Schulen lernen.“
Heute ist der Wunsch nach Unterricht in Muttersprache erfüllt
Ehmed fuhr fort: „Es ist nicht möglich, zum Status quo vor 2011 zurückzukehren. Es gibt fast eine Million Schüler und Studierende. Man versucht, mangelndes Bewusstsein und nicht ausreichend ausgeprägten Kampf zu nutzen, um die Rechte einer Gesellschaft mit Füßen zu treten. Die Sehnsucht aller Kurdinnen und Kurden war es, ihre Kinder eines Tages in eine Schule zu schicken, wo sie in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Heute ist diese Sehnsucht hier erfüllt worden. Aber diese Gegenpolitik schwächt den Kampf des kurdischen Volkes. Unsere Gesellschaft darf dies nicht zulassen. Dies ist die wichtigste und grundlegendste Errungenschaft der Revolution.“
Verteidigungskräfte sind eine Notwendigkeit
Ehmed weiter: „Eine unserer weiteren Errungenschaften sind unsere militärischen Kräfte. Auf der Grundlage unserer Kräfte bildet die Welt Koalitionen. Diese Koalition wird zur Anerkennung führen. Die Existenz von Verteidigungskräften ist eine Notwendigkeit. Diejenigen, die gegen unsere Kräfte vorgehen, tun dies in vollem Bewusstsein. Wir müssen für unsere Kräfte eintreten und stolz auf sie sein. Die ganze Welt sagt, dass es sich um eine disziplinierte Truppe handelt.“
Das Modell der Selbstverwaltung ist ein Erfolg
Aber auch den radikaldemokratischen Selbstverwaltungsstrukturen komme eine wichtige Rolle zu: „Das Modell der Selbstverwaltung ist von den Kommunen bis zu den Räten und Institutionen ein Erfolg. Wir haben unsere Kritikpunkte, aber wir sollten uns nicht enttäuschen lassen. Es finden permanent türkische Angriffe auf unsere Dienstleistungseinrichtungen statt. Unsere Einrichtungen engagieren sich demgegenüber auf allen Ebenen. Es ist nicht richtig, sich gegen diese Institutionen zu stellen. Wir stehen zu den Errungenschaften der Revolution bis zum Tod. Die freiwillige Beteiligung ist entscheidend für die Institutionalisierung der Strukturen.“
Die Revolution hat ein neues Bewusstsein geschaffen
Ehmed betonte, dass die Revolution ein neues Bewusstsein geschaffen habe, und sagte: „Wenn das Leben nach diesem neuen Bewusstsein organisiert wird, dann ist die Revolution verwirklicht. Aber das ist nicht im vollen Umfang geschehen. Die Geschichte des kurdischen Volkes ist eine Geschichte des Widerstands für ein neues Leben. Dieser Kampf wird in unserer Revolution umgesetzt. Mit der Allianz der Völker haben wir viele Angriffe und Komplotte verhindert.“
Wer uns nicht akzeptiert, wird in eine neue Sackgasse geraten
Ehmed stellte fest, dass eine Lösung des Syrienkonflikts auf einer Lösung der kurdischen Frage basieren werde, und machte dazu die notwendigen Bedingungen klar: „Das Recht auf die kurdische Sprache muss in die syrische Verfassung aufgenommen werden. Unsere Grundrechte müssen garantiert werden. Das Recht auf Selbstorganisation muss durchgesetzt werden. Das Regime muss sich ändern. Ein dezentrales Selbstverwaltungssystem muss akzeptiert werden und der Staat darf nicht zentralisiert bleiben. Entweder das Regime akzeptiert uns, oder es wird in einer neuen Sackgasse feststecken. Es wurden viele Treffen zur Lösung der kurdischen Frage abgehalten. Das Regime weigert sich, auch nur zwei Stunden Unterricht in kurdischer Sprache anzubieten, d.h. es verweigert das Recht auf die kurdische Sprache vollständig. Auch werden keine kurdischen Parteien zugelassen.“
Die Gesellschaft muss ihre Rolle spielen
Ehmed unterstrich, die Gesellschaft müsse ihre Rolle spielen. Dazu sei insbesondere Einheit erforderlich: „Es ist die Rede von kurdischer oder nationaler Einheit. Wenn es keine Einigung zwischen den Parteien gibt, gibt es auch keine nationale Einheit. Ein Konsens auf höchster Ebene ist wichtig. Die Gesellschaft kann in dieser Frage eine Rolle spielen. Wenn die Gesellschaft auf diesem Punkt beharrt, wenn sie den Willen hat, glauben Sie mir, kann sie die Parteien innerhalb einer Woche an einen Tisch bringen. Bislang hat die Gesellschaft ihre Rolle in diesem Sinne noch nicht gespielt. Die Gesellschaft sollte sagen: Entweder ihr kommt und setzt euch zusammen, oder wir akzeptieren euch alle nicht. Unsere Gesellschaft sollte Konzepte und Projekte haben.“
Es gibt Risiken und Chancen
Die Außenpolitikerin sprach von Risiken und Chancen, die die nächsten Tage bringen werden, und schloss mit den Worten: „In Syrien, im Irak und in der Türkei besteht man darauf, die kurdische Identität nicht anzuerkennen. So wurde den Kurd:innen beispielsweise jede Errungenschaft in Südkurdistan genommen und die türkischen Truppen wurden auf der Grundlage eines neuen Abkommens in Bashiqa stationiert. Das bedeutet, dass die irakische Frage von der Türkei bestimmt wird. Es wird versucht, alle kurdischen Errungenschaften zu zerstören. Die Rolle der Türkei ist dabei entscheidend. Der türkische Staat ist auch Teil der Allianz gegen Nord- und Ostsyrien. Deir ez-Zor ist ein Beispiel dafür. Die derzeitige Situation ist nicht ermutigend, es gibt Risiken, aber auch Chancen auf Erfolg. Das Entscheidende ist das Eintreten für die Revolution und ihre Verteidigung.“