„Im Licht der Revolution“
Almas Hemîd stammt aus Efrîn-Mabeta. Die 48-jährige Mutter von vier Kindern ist eine der Gründerinnen der Kräfte der Inneren Sicherheit in Efrîn. 2012 hatte sie mit der Revolution ihre erste Ausbildung in Selbstverteidigung erhalten. Nach der türkischen Invasion in Efrîn war sie am Aufbau der Sicherheitskräfte in der Şehba-Region beteiligt. Heute gehört sie zu den Verantwortlichen für die Sicherheit der Region Deir ez-Zor. Im ANF-Gespräch berichtete Almas Hemîd über ihre Geschichte und die Organisierung von Selbstverteidigung für Frauen und die Gesellschaft.
Eine von zwölf Frauen in der ersten Selbstverteidigungsausbildung
Almas Hemîd hat bereits 2011 erlebt, wie die ersten Selbstverteidigungsstrukturen aufgebaut wurden. Über die Vorbereitungen auf die Revolution in Rojava erzählt sie: „Im Jahr 2011 wurden nach den Wahlen in Efrîn Räte aufgebaut. Auch die Selbstverteidigung war Teil dieses Organisierungsprozesses. Ich wusste nicht, was Selbstverteidigung ist. Nach einer kurzen Ausbildung wurde ich Teil der Frauenselbstverteidigung im Bezirk Mabeta. Zu dieser Zeit, 2011, hatte das Baath-Regime noch die Kontrolle. Mit der Rojava-Revolution im Jahr 2012 begannen wir, unsere Selbstverteidigung offen zu organisieren. Im Februar 2012 nahm ich mit einer Gruppe von zwölf Frauen an einer Ausbildung der Selbstverteidigungseinheit teil. Damals nannten wir die Einheiten noch nicht Asayîş. Es gab allgemeine Selbstverteidigungskräfte, in denen auch Frauen organisiert waren. Aber am 1. April 2012 wurde die Frauenselbstverteidigung gegründet. Damals hießen diese natürlich nicht Kräfte der Inneren Sicherheit. Anfangs hatten wir keine Waffen. Wir haben unsere Selbstverteidigungsstrukturen organisiert, um die Sicherheit unserer Straßen, unseres Volkes und unserer Kinder zu gewährleisten. Wir haben darüber diskutiert, wie wir eine Frauenselbstverteidigung aufbauen könnten. Wir hatten gerade begonnen, uns in diesem Sinne zu organisieren. Ab 2014 machten wir dann als Kräfte der Inneren Sicherheit bzw. Asayîş weiter.“
„Es war klar, dass es ohne Frauenselbstverteidigung nicht geht“
Almas Hemîd beschrieb den Aufbau von Frauenselbstverteidigung als essenziell: „Zu Beginn der Revolution gab es massive Angriffe auf Frauen. Mit den Frauen wurde die Gesellschaft angegriffen. Niemand würde die Frau verteidigen, wenn sie nicht selbst für ihre Verteidigung sorgte. Es gab einen umfassenden Angriff auf die Gesellschaft. Aus diesem Grund war eine starke Frauenorganisierung erforderlich. Durch Bildungsarbeit wurde ein Verständnis für die Bedeutung von Frauen und Selbstverteidigung geschaffen. Es wurde verstanden, dass eine Frau ohne die Fähigkeit zur Selbstverteidigung sich selbst, ihre Familie, ihr Land und ihre Gesellschaft nicht schützen kann. Frauen, die sich ihrer Kraft bewusst wurden, zeigten, dass sie die Gesellschaft anführen können und dass das Paradigma der demokratischen Moderne, das eine Alternative zu dem der Gesellschaft aufgezwungenen System darstellt, zum Leben passt.“
Hindernisse von Familie und Gesellschaft
Damit setzte auch ein Mentalitätswandel ein. Almas Hemîd berichtete über den schwierigen Prozess: „Als ich begann, mich an der Arbeit zu beteiligen, stieß ich auf Hindernisse durch die Gesellschaft und meine Familie. Es wurde nicht akzeptiert, dass eine Frau an der Selbstverteidigung teilnimmt. Ich wurde mit Fragen konfrontiert wie: ‚Wie kann eine Frau in ihrer Straße, in ihrem Viertel Wache halten und die Sicherheit von Kontrollpunkten gewährleisten?‘ Es gab auch solche Fragen, wie überhaupt eine Frau neben einem Mann eine solche Arbeit machen könne und dass die Selbstverteidigung Männersache sei. Diese Haltung war extrem dominant. Nach dem Selbstverteidigungstraining wurde ich beauftragt, die Sicherheit eines Kontrollpunktes zu gewährleisten. Meine Familie versuchte einen Monat lang, dies zu verhindern. Ich erfüllte meine Pflicht zur Selbstverteidigung, ohne auf die Widersprüche und Krisen zu achten. Als Frau wehrte ich mich dagegen, dass mein Wille ignoriert wurde, und ich tat meinen Dienst.“
Führende Aktivistin beim Aufbau der Sicherheitskräfte in Şehba
Nachdem Efrîn von der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Söldnerbanden 2018 besetzt worden war, machte sich Hemîd sofort an den Aufbau der Selbstverteidigung im Kanton Şehba. „Unsere Vertreibung von Efrîn nach Şehba war ein großer Schmerz. Nach der Besetzung von Efrîn endeten die Angriffe auf Frauen nicht. Im Gegenteil, wir wurden noch stärker angegriffen, man wollte uns die Hoffnung nehmen. Aber wir konnten unser System der Inneren Sicherheit, das wir in Efrîn geschaffen und großartig organisiert hatten, in Şehba wieder aufbauen. Ich war an der Gründung der Sicherheitskräfte in Şehba beteiligt. Wir haben wichtige Schritte unternommen, um die Selbstverteidigung der Frauen wiederherzustellen. Nicht einmal eine Woche nach unserer Übersiedlung nach Şehba begannen wir mit der Organisierung der Arbeit. Natürlich war es nicht einfach. Wir waren verstreut, es würde nicht leicht sein, sich zu organisieren und zusammenzukommen. Wir waren uns dessen bewusst, aber wir wussten, dass wir ohne Selbstverteidigung nicht leben konnten. Unsere ersten Kontrollpunkte als Asayîş wurden in Zelten eingerichtet. Bei Vertriebenen sind es die Frauen, die den größten Schmerz und Schaden erleiden. Durch die Neuorganisation des Selbstverteidigungssystems konnte die Gewalt gegen Frauen während und nach der Vertreibung im Vergleich zu früher massiv verringert werden.“
„Selbstverteidigung fängt im Kopf an“
Weiter erklärte Almas Hemîd: „Die Gewährleistung der Selbstverteidigung unserer Gesellschaft ist unsere Priorität. Eine Person, die sich nicht selbst verteidigen kann, ist nicht in der Lage, ihre Gesellschaft zu schützen. Selbstverteidigung ist auch wichtig, um die Hände zu brechen, die sich gegen Frauen richten. Selbstverteidigung ist nichts, das nur durch Waffen erreicht werden kann; nur eine organisierte, gebildete, bewusste Gesellschaft und Frauen, die für Freiheit kämpfen, können Selbstverteidigung gewährleisten. Kurz gesagt: Selbstverteidigung muss im Kopf stattfinden.“
„Im Licht der Revolution“
Abschließend beschrieb Almas Hemîd das Leben vor der Revolution mit den Worten: „Es ist ein totes Leben. Stellen Sie sich vor, eine Frau befindet sich in einem Raum und das Licht in diesem Raum wird ausgeschaltet. Die Frau atmet nur noch für ihre Kinder und führt so ihr Leben. Es gab nichts anderes als ihre Kinder und ihr Zuhause. Wenn es ein Leben gab, dann war es für ihre Kinder. Auch wenn meine Familie eine patriotische Familie war, die den kurdischen Freiheitskampf unterstützte, herrschte dennoch eine feudale Familienstruktur. Mit der Verwirklichung der Rojava-Revolution öffneten sich die Türen dieses Raums und ich konnte ins Licht treten.“