Generalamnestie für syrische Staatsangehörige in Camp Hol

Die rund 25.000 syrischen Staatsangehörigen im Internierungslager Camp Hol bei Hesekê sollen im Rahmen einer Generalamnestie freigelassen werden. Das kündigt die Exekutivausschuss-Vorsitzende des MSD, Ilham Ehmed, an.

Die rund 25.000 syrischen Staatsangehörigen im Internierungslager Camp Hol sollen im Rahmen einer Generalamnestie freigelassen werden. Das kündigte die Exekutivausschuss-Vorsitzende des Demokratischen Syrienrates (MSD), Ilham Ehmed, am Sonntag in Raqqa an. Durch die Freilassungen aller in dem Camp südöstlich von Hesekê internierten Syrerinnen und Syrer, 17.000 davon Kinder und Minderjährige, würde zum einen der Druck auf die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens verringert, zum anderen würden die Forderungen der lokalen Stämme damit erfüllt, sagte Ehmed. Bei einem Großteil der in Hol internierten Syrer*innen handelt es sich um Angehörige von IS-Dschihadisten, es gibt allerdings auch viele Binnenvertriebene. Die 30.000 Iraker*innen, darunter 20.000 Kinder, sowie knapp 10.000 Personen aus dem Ausland, darunter 7.000 Kinder, bleiben vorerst in dem Lager.

„Das Camp Hol ist eine besonders schwere Belastung, welche die Selbstverwaltung vollkommen allein schultern muss“, erklärte Ehmed. „Die Autonomiebehörden sind nicht verpflichtet, exorbitante Beträge zu leisten, um diese Menschen mit Lebensmitteln und anderen Dingen zu versorgen, geschweige denn, um täglich auftretende Probleme wie Attentate, Vergewaltigungen und andere Straftaten zu lösen.“ Die Amnestie soll für alle syrischen Staatsangehörigen gelten. Solche, die im Lager verbleiben, würden nicht länger im Verantwortungsbereich der Selbstverwaltung liegen, führte Ehmed weiter aus. „Konkret bedeutet das, dass sie als Gefangene betrachtet werden.“ Die Rückführung der Internierten an ihre Wohnorte werde schrittweise unter der Schirmherrschaft der arabischen Stammesverbände geschehen.

Camp Hol, die neue IS-Hauptstadt

Nach der Zerschlagung der Territorialherrschaft des sogenannten IS ist die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien mit tausenden gefangenen IS-Dschihadisten sowie zehntausenden von teilweise hochgradig fanatisierten Familienangehörigen konfrontiert. Ein Großteil ist im Gefangenenlager Hol (al-Haul) untergebracht. Das Camp beherbergt derzeit etwa 65.000 Personen aus mehr als 50 verschiedenen Ländern, darunter tausende IS-Familien, die nach der Einnahme der letzten Bastion der islamistischen Terrororganisation im März letzten Jahres bei Hajin nahe Deir ez-Zor von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) aufgegriffen wurden, und gilt als eines der gefährlichsten Lager der Welt.  

Internationale Staatengemeinschaft ignoriert Problem

Doch statt sich dem IS-Problem in globaler Verantwortung anzunehmen, liegt die gesamte Last sowohl in wirtschaftlicher und logistischer als auch sicherheitspolitischer Hinsicht allein auf den Schultern der Autonomieverwaltung und der Völker Nordostsyriens. Nach wie vor ist kein Land bereit, seine wegen Kriegsverbrechen im Namen des IS inhaftierten Staatsangehörigen zurückzunehmen – trotz der Hauptlast Nordostsyriens, die bereits im Kampf gegen die Terrormiliz getragen wurde: 52.000 Quadratkilometer Syriens konnten von den QSD (Demokratische Kräfte Syriens) im Rahmen ihrer Offensive „Gewittersturm Cizîrê“ von der IS-Herrschaft befreit werden, inzwischen ist diese Zahl auf knapp 100.000 Quadratkilometer angestiegen. Mehr als 11.000 Menschen starben dabei, über 21.000 Kämpferinnen und Kämpfer wurden verletzt. Der Westen argumentiert, die gefangenen Dschihadisten und ihre Angehörigen seien zu gefährlich, um sie in ihre Heimatländer zurückzubringen. Da fragt man sich: Wenn das für ein westliches Land gilt, sind sie dann für Syrien nicht erst recht zu gefährlich?

Irak stoppt Rückführung von eigenen Staatsangehörigen

Über 4.000 syrische Staatsangehörige, größtenteils aus Raqqa und Deir ez-Zor, konnten bisher Camp Hol verlassen und an ihre Wohnorte zurückkehren. Dafür, dass sie wieder in die Gesellschaft integriert werden und sich nicht erneut dem IS anschließen, garantieren die arabischen Großfamilien beziehungsweise Stämme. Doch auch Familien ohne jegliche Beziehung zum sogenannten IS sind bereits freigelassen worden. Was allerdings mit den irakischen Staatsangehörigen in dem Lager passieren soll, ist noch unklar. Die Zentralregierung in Bagdad hat die Rückführungen von irakischen Staatsangehörigen vor einer Weile so gut wie gestoppt, auf Anfragen aus Nordostsyrien erfolgt keine Reaktion.

Die Zeltstadt war Anfang 1991 während des Zweiten Golfkriegs vom UNHCR für irakische Flüchtlinge errichtet worden. Nachdem das Camp zwischenzeitlich geschlossen war, wurde es im Zuge des Irakkrieges 2003 wiedereröffnet. Seit eineinhalb Jahren wird es hauptsächlich zur Unterbringung von Frauen und Kindern benutzt, die zuvor in Gebieten unter Kontrolle des IS lebten. Ein großes Problem dabei ist jedoch die massive Überbelegung. Die Verhältnisse sind aufgrund der ausbleibenden Hilfe von der Staatengemeinschaft katastrophal, die medizinische Versorgung ist miserabel.

Camp Hol gilt zudem als die „neue Hauptstadt“ des IS: In weiten Teilen des Lagers herrschen Probleme bei der Aufrechterhaltung der Kontrolle, immer wieder kommt es zu Aufständen, Morden und Übergriffen. Das liegt einerseits auch daran, dass die Autonomiebehörde die IS-Gefangenen bislang kaum vor Gericht stellen konnte und diese sich in einer Art juristischem Vakuum befinden. Besonders fanatische IS-Anhängerinnen, die gemeinsam mit ihren Kindern in einem gesonderten Bereich im Camp al-Hol interniert sind und über die die Reorganisierung des IS stattfindet, haben sich zudem in Milizen organisiert und terrorisieren die übrige Bevölkerung. In den Gefängniskomplexen bei Hesekê mit tausenden inhaftierten IS-Mitgliedern werden ebenfalls immer häufiger Unruhen und Ausbruchsversuche beobachtet. Mehrmals in diesem Jahr haben die Insassen im Sina-Gefängnis bereits Revolten angezettelt.

Eigene Prozesse gegen ausländische IS-Mitglieder

Die Autonomieverwaltung kritisiert seit langem, dass die Staatengemeinschaft keine Verantwortung für ihre Bürgerinnen und Bürger übernimmt, die als IS-Dschihadisten nach Syrien kamen, und mit ihrer Versorgung praktisch auf sich allein gestellt ist. Die Generalamnestie für die syrischen Internierten könnte den Weg für mehr internationale Unterstützung bei der Versorgung und sicherheitsrelevanten Fragen hinsichtlich der ausländischen IS-Gefangenen ebnen, meint Ilham Ehmed. Auch auf Unterstützung bei der Errichtung eines internationalen Tribunals gegen Verbrechen der festgenommenen IS-Mitglieder, so wie es die Selbstverwaltung seit Jahren verlangt, werde nicht mehr gewartet. „Wir werden unsere eigenen Prozesse für ausländische IS-Dschihadisten durchführen“, kündigte Ehmed an.

Was ist der MSD?

Der Demokratische Syrienrat (MSD) wurde 2015 gegründet und ist das politische Dach, das den politischen Rahmen für die Lösung des syrischen Konflikts durch innersyrische Gespräche und die Übernahme diplomatischer Arbeit bildet. Im MSD sind politische Parteien sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, der Autonomieverwaltung und Schlüsselpersonen organisiert.