Der türkische Staat verlegt weiter Truppen in die umkämpfte Region Idlib in Nordsyrien. Nach vorliegenden Informationen sind seit Anfang Februar acht Militärkolonnen mit insgesamt 400 Fahrzeugen der türkischen Armee in Idlib eingetroffen.
Ein Teil der Militärtransporte ging an die acht türkischen Beobachtungsposten, die noch nicht von der syrischen Armee umstellt sind. Der andere Teil erging an die von der Türkei neu errichteten Kontrollpunkte in der Umgebung der Stadt Saraqib im Süden von Idlib.
Nach der Einnahme von Maaret al-Numan am 28. Januar durch die syrische Armee hat die Türkei rund um Saraqib vier neue Militärposten errichtet. Saraqib liegt knapp 20 Kilometer südöstlich von Idlib und verbindet die Verkehrswege M4 und M5 miteinander. Das türkische Militär versucht die Eroberung der Stadt durch die syrische Armee zu verhindern. Russland interpretiert die Errichtung der neuen Militärposten als Verletzung des Sotschi-Abkommens vom 17. September 2018 und als beharrliche Weigerung der Türkei, ihren aus dem Abkommen entstandenen Verpflichtungen nachzukommen.
Im Rahmen des Abkommens mit Russland und dem Iran hat die Türkei zwölf Beobachtungsposten in der Region Idlib installiert und sich zur Schutzmacht der dortigen bewaffneten Gruppen erklärt. Das Abkommen sah eine waffenfreie Deeskalationszone im Norden von Hama und Osten von Idlib vor. Die Straßen M4 und M5 sollten freigegeben und der syrischen Kontrolle überlassen werden. Außerdem sollten die bewaffneten Gruppen nach den Kategorien „gemäßigt“ und „radikal“ voneinander getrennt werden. Russland wirft der Türkei vor, ihre Verpflichtungen nicht erfüllt zu haben. Die syrische Armee ist unterdessen mit russischer Luft- und Bodenunterstützung bis in die Außenbezirke von Saraqib vorgerückt.
Russische Geheimdienstler exekutiert
Nach vorliegenden Informationen hat das russische Zentrum zur Aussöhnung der gegnerischen Parteien in Syrien die Türkei wegen der Entwicklungen in Saraqib zum Gespräch aufgefordert. Vier Mitarbeiter des russischen Nachrichtendienstes, die mit diesem Gespräch beauftragt waren, sind am 1. Februar von bewaffneten Gruppen in verletztem Zustand aufgegriffen und exekutiert worden. Das war offenbar der Auslöser für die jüngsten Gefechte zwischen der Türkei und Syrien in Idlib.
Wie die russische Zeitung Nowaja Gaseta meldet, sind die vier ermordeten Geheimdienstler des föderalen russischen Sicherheitsdienstes FSB nach Kasab entsandt worden, um für die Sicherheit des Treffens zwischen türkischen und syrischen Vertretern zu sorgen. Im Norden von Aleppo sollen sie durch eine Mine verletzt und von protürkischen Dschihadisten anschließend exekutiert worden sein.
Direkt im Anschluss an den Vorfall wurde in der Nacht vom 2. auf den 3. Februar ein türkischer Konvoi in Idlib angegriffen. Nach offiziellen Angaben der Türkei wurden dabei acht Soldaten getötet. Quellen vor Ort berichten, dass die Bombardierung der türkischen Militärkolonne direkt nach der Ermordung der russischen Geheimdienstmitarbeiter erfolgt ist. Der türkische Staat machte den Vorfall jedoch erst am 3. Februar öffentlich, weil offenbar die Reaktion Russlands erst abgewartet werden sollte.
Nach dem Angriff hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan im Vorfeld seines Ukraine-Besuchs Russland vorgeworfen, sich nicht an die Abkommen von Sotschi und Astana zu halten. Nach seiner Rückkehr zeigte er sich gemäßigt und sagte, es bestehe kein Grund für einen ernsten Konflikt mit Russland, die Türkei verfolge „sehr ernste strategische Initiativen“ gemeinsam mit Russland.
Unterstützung für die Türkei aus den USA
In den russisch-türkischen Idlib-Konflikt haben sich auch die USA eingemischt und sich auf der Seite der Türkei positioniert. US-Außenminister Mike Pompeo nannte die syrische Regierung, Russland, den Iran und die Hisbollah und forderte ein Ende der „barbarischen Angriffe“ auf Idlib. Die USA seien auf der Seite des NATO-Partners Türkei, so Pompeo.
Erdoğan, der sich seit langer Zeit um den Schutz von Idlib und der anderen von der Türkei besetzten Gebiete in Syrien durch die NATO und die USA bemüht, drehte nach der Unterstützungserklärung Pompeos die Schraube erneut an und kündigte an, dass sich das syrische Regime innerhalb dieses Monats von den türkischen Beobachtungsposten zurückziehen müsse, andernfalls werde die Türkei selbst dafür sorgen.
Dass der türkische Staat sich nicht so einfach aus Idlib zurückziehen wird und Idlib als Verhandlungsmasse weiter auf der Agenda gehalten werden soll, zeigt sich allein an der Tatsache, dass die von der syrischen Armee umstellten türkischen Beobachtungsposten nicht geräumt werden.
Auffällig ist dabei, dass – während die Gefechte zwischen der türkischen und der syrischen Armee in Saraqib und Umgebung weitergehen – die eingekreisten türkischen Beobachtungsposten in syrisch kontrolliertem Gebiet liegen. Die logistische Versorgung und der Wachwechsel an diesen Posten finden unter russischer Beobachtung und entlang syrischer Militärstellungen statt.