Der Krieg gegen Nordostsyrien hat längst begonnen
Die politische Konjunktur lässt im Moment keine umfassende Invasion der Türkei in der Autonomieregion Nordostsyrien zu. Der Krieg hat jedoch längst begonnen.
Die politische Konjunktur lässt im Moment keine umfassende Invasion der Türkei in der Autonomieregion Nordostsyrien zu. Der Krieg hat jedoch längst begonnen.
Mihemed Şahin ist Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der Autonomieverwaltung in der Euphrat-Region und hat sich gegenüber ANF zu den türkischen Angriffen auf Nordostsyrien geäußert.
In der letzten Zeit haben die Angriffe des türkischen Staates auf Ihre Region zugenommen. Die Abkommen, für die Russland und die USA als Garantiemächte fungieren, werden permanent verletzt. Wie bewerten Sie die zunehmende Aggression?
Der türkische Staat hat vor kurzem zwei Luftangriffe auf Kobanê durchgeführt. Dabei sind zwei Zivilisten und drei QSD-Kämpfer ums Leben gekommen. Die QSD-Kämpfer waren zur medizinischen Behandlung nach Kobanê gekommen. Natürlich handelt es sich nicht um die ersten Angriffe auf Nord- und Ostsyrien. Wie allgemein bekannt ist, sind nach der Besatzung von Serêkaniyê und Girê Spî unter der Garantie von Russland und den USA Abkommen getroffen worden. Laut diesen Abkommen sollte es keine Militäroperationen auf syrischem Territorium mehr geben.
Der türkische Staat behauptet als Begründung für seine Aggression, dass die QSD und die Autonomieverwaltung eine Gefahr an seiner Grenze darstellen. Die QSD haben sich dreißig Kilometer zurückgezogen, um dieser Begründung den Boden zu entziehen. Seitdem diese Abkommen getroffen worden sind, haben die Luft- und Bodenangriffe jedoch keinen Tag ausgesetzt. Menschen sterben. In den letzten Tagen haben diese Angriffe zugenommen. Der Grund dafür ist, dass der türkische Staat sich mit seiner Syrien-Politik in einer Sackgasse befindet. Eigentlich verliert der türkische Staat mit seiner schmutzigen Politik. Das AKP-Regime erlebt im In- und Ausland eine große Krise, es herrscht Chaos. Auch auf internationaler Ebene erfährt es nicht mehr dieselbe Unterstützung wie früher. Im Mittleren Osten steht es allein da. Aus diesem Grund will es neuen Druck aufbauen und damit politische Ergebnisse erzielen.
Warum treffen die jüngsten Angriffe vor allem Kobanê?
Kobanê ist international bekannt und für die Völker der Welt von symbolischem und ideellem Wert. Die Revolution von Rojava hat am 19. Juli 2012 in Kobanê begonnen. Kobanê war der Ausgangsort für das Projekt der demokratischen Nation und die Autonomieverwaltung. Hier hat die Niederlage des IS begonnen. Das alles ist der AKP bekannt. Kobanê ist das Zentrum des Erfolgs und der Niederlage. Darum ist Kobanê ein permanentes Angriffsziel.
Lässt die aktuelle politische Konjunktur eine neue Invasion des türkischen Staates in Nordostsyrien zu?
Die Luftangriffe auf Kobanê sind eine Dimension des erklärten Krieges. Der Krieg gegen Nordostsyrien hat schon längst begonnen. Die politische Konjunktur lässt momentan keinen umfassenden Besatzungsangriff zu, aber die Türkei hat grünes Licht für die aktuellen Angriffe von den in Syrien präsenten Mächten bekommen. Von dieser Situation profitieren auch die Großmächte. Der Druck auf die Autonomieverwaltung und die QSD nützt nicht nur dem türkischen Staat, sondern auch den anderen Mächten. Es geht dabei um Zugeständnisse hinsichtlich einer Lösung in Syrien. Deshalb wird bei den türkischen Angriffen ein Auge zugedrückt.
Der türkische Staat setzt spezielle Methoden der Kriegsführung ein, auf militärischer und politischer Ebene sowie über die Medien und digitale Netzwerke. Damit soll die Autonomieverwaltung geschwächt und der Willen der Bevölkerung gebrochen werden. Unser Gebiet steht unter einem Wirtschaftsembargo, das Wasser des Euphrat wird zurückgehalten, es werden Anschläge durchgeführt. Die Zivilbevölkerung wird angegriffen. Der türkische Staat führt einerseits diplomatische und politische Verhandlungen durch. Auf der anderen Seite will er mit seiner speziellen Kriegsführung die gewünschte Atmosphäre schaffen, um die Region leichter besetzen zu können, sobald er auf internationaler Ebene die notwendige Unterstützung erhält.