Blutige Melonen in deutschen Supermärkten

Der Tod eines indischen Landarbeiters in Italien wirft Licht auf die Produktion von Billigobst und Gemüse mitten in der EU.

Den meisten Menschen ist bekannt, dass Obst und Gemüse aus Spanien und Italien, das günstig in Discountern und Supermärkten in Deutschland angeboten wird, aus brutaler Ausbeutung stammt. Der Tod von Satnam Singh in Italien wirft nun ein besonders drastisches Licht auf den grausamen Alltag auf europäischen Feldern.

Vom Plantagenbesitzer verbluten gelassen

Singh war von einer Verpackungsmaschine für Melonenkisten auf dem Feld der Arm abgerissen und beide Beine gebrochen worden. Antonello Lovato, der mittlerweile unter Verdachts des Totschlags inhaftierte Betreiber der Plantage, beschimpfte den Arbeiter und weigerte sich, einen Krankenwagen zu rufen. Er warf den abgerissenen Arm in eine Melonenkiste, ließ Singh und seine um Hilfe flehende Frau in einem Lieferwagen zu ihrer Unterbringung karren und vor der Tür ablegen. Die Bewohner:innen des Hauses riefen einen Krankenwagen und Singh wurde mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik gebracht, doch zu spät. Er verstarb am 19. Juni, Todesursache Verbluten. Bei der Autopsie wurde festgestellt, dass er bei rechtzeitiger Hilfe überlebt hätte.

Landarbeiterstreik: „Schluss mit der Ausbeutung“

Am 25. Juni traten mehrere Tausend indische Landarbeiter:innen in Italien in einen Streik. Sie demonstrierten durch die Stadt Latina unter der Parole „Schluss mit der Ausbeutung“ und forderten Gerechtigkeit für Singh, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für seine Ehefrau und angemessene Gesundheitsversorgung für verletzte Arbeiter:innen.

Die Familie Lovato, Eigentümer der Plantage, war vor fünf Jahren wegen „illegaler Anwerbung und Ausbeutung von Arbeitskräften“ angeklagt und verurteilt worden. Ein Skandal hatte aufgedeckt, dass das Landgut seinen Arbeitern nur 200 Euro pro Monat zahlte. Damals wurde in der riesigen pontinischen Ebene ein Netzwerk aufgedeckt, das Scheinfirmen und korrupte Beamte nutzte, um Tagelöhner illegal und billig zu beschäftigen.

Seitdem hat sich wenig geändert. Die Kolleg:innen von Satnam und Alisha Singh auf den Feldern von Agro Pontino verdienen beispielsweise nur 4 Euro pro Stunde bei einem Arbeitstag von bis zu 14 Stunden.

Ein indischer Landarbeiter erklärte: „Wir alle brauchen reguläre Arbeitsverträge, damit wir nicht in dieser Sklaverei gefangen sind.“ Er selbst ist aufgrund eines Arbeitsunfalls am Auge verletzt und bemüht sich seit zehn Monaten um Hilfe. Da er jedoch keinen regulären Vertrag habe, weigere sich der Plantagenbetreiber, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Arbeiter:innen ohne Vertrag sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel auf diesen quasikolonialen Ausbeutungsfeldern mitten in Europa. Das System heißt in Italien „caporalato“, den migrantischen Arbeiter:innen werden vom „Caporale“, dem Bandenchef, die Papiere weggenommen und dann werden die Arbeiter:innen an die meistbietenden Farmen de facto verkauft. Die Gewerkschaft CGIL geht davon aus, dass in Italien etwa 230.000 Menschen in diesem System arbeiten. Unzählige Menschen aus Afrika, Indien und China arbeiten für einen Hungerlohn in der europäischen Agrarproduktion unter solchen Bedingungen. Ähnliche Verhältnisse existieren auch im spanischen Mar de Plastico – Gewächshäuser, die die spanische Küste zwischen Malaga und Almeria überziehen.

Illegale Billiglohnkräfte – die Kehrseite der Abschottungspolitik

Hinter der Faschisierung der europäischen Migrationspolitik steht auch ein ökonomisches Interesse. Durch die Illegalisierung von vielen Migrant:innen entsteht ein zu nahezu jeder Bedingungen ausbeutbares Subproletariat, die im Mar de Plastico oder in Latium und Apulien sprichwörtlich bis zum letzten Blutstropfen ausgebeutet werden und Discounterketten mit billigem Obst und Gemüse versorgen. Der Stundenlohn liegt dabei oft nur knapp über einem Euro, denn häufig werden noch horrende Gebühren für Unterkünfte in katastrophalen Behausungen verlangt. Immer wieder würden Menschen in den „Ghetti“ genannten, isolierten, oft einsturzgefährdeten Hütten sterben. Die Menschen leben dort ohne Wasser und Elektrizität, ohne Müllabfuhr im Ungeziefer.

Man lässt die Leute liegen, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit angefahren werden“

Bei diesem Arbeitsmord handelt es sich auch nicht um einen Einzelfall, stellte Jean-René Bilongo, Leiter des Osservatorio Placido Rizzotto, einer Beobachtungsstelle der Landwirtschaftsgewerkschaft Flai-Cgil, gegenüber dem Tagesspiegel fest. Er erklärte: „Die wenigsten wissen, dass das jeden Tag passiert. (…) Man lässt die Leute sogar liegen, wenn sie auf dem Weg zur Arbeit angefahren werden. Es wäre überfällig, sich auch einmal mit der Zahl der Selbstmorde unter indischen Landarbeitern zu beschäftigen.“ Er fuhr fort: „Die ausländischen Landarbeiter werden behandelt wie Sachen, sie sind nichts als Werkzeuge.“ Da sie keine Papiere hätten, müssten sie zu jeder Bedingung arbeiten.

Faschisierung und Ausbeutung Hand in Hand

Die Regionen, in denen Landarbeiter:innen besonders stark ausgebeutet werden, sind häufig Gebiete mit einer starken rechten Tradition. So auch in Italien. Die malariaverseuchten pontinischen Sümpfe waren einst unter Mussolini unter unzähligen Toten von Zwangsarbeiter:innen trockengelegt worden. Auf dem Gebiet wurden dann faschistische Loyalisten angesiedelt. Diese Tradition besteht bis heute fort. Sie stellt Kerngebiet der Wähler:innenschaft der Fratelli d’Italia der Mussolini-Verehreren Giorgia Meloni dar. Diese rang sich erst Wochen nach dem Arbeitsmord und nachdem der Aufschrei im ganzen Land groß wurde, zu einer Verurteilung der Tat des Plantagenbesitzers durch. Die faschistische Haltung zeigte sich auch in den Äußerungen von Renzo Lovato, dem Vaters des für Singhs Tod verantwortlichen Plantagenbetreibers Antonello Lovato, Singh sei „leichtsinnig“ gewesen, und für seinen Leichtsinn müssten jetzt andere büßen. Entmenschlichung und Ausbeutung gehen Hand in Hand. Die systematische Sabotage an wirksamen Lieferkettengesetzen durch die FDP sekundiert dabei.