„Migrantische Arbeitskräfte werden als Wegwerfware behandelt“

Der Journalist Ercüment Akdeniz beschreibt die Situation von migrantischen Arbeitskräften in der Türkei als katastrophal. Nach dem Tod durch Gewalt oder Arbeitsunfälle werden die Menschen einfach „weggeworfen“.

In einem Waldstück bei Zonguldak im Norden der Türkei wurde am 11. November die verbrannte Leiche des afghanischen Flüchtlings und Vaters von drei Kindern, Vezir Mohammed Nourtani, entdeckt. Es stellte sich heraus, dass der Arbeiter in der illegalen Mine des MHP-Politikers Hakan Körnöş bei der Arbeit zusammengebrochen war, schwer misshandelt wurde und anschließend in den Wald geworfen und dort verbrannt wurde. Offenbar war er bei seiner Verbrennung noch am Leben, was darauf hindeutet, dass dies vermutlich geschah, um zu verhindern, dass die illegale Mine auffliegt. Körnöş wurde zusammen mit weiteren Komplizen festgenommen und verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Nourtani zu Tode geprügelt und anschließend verbrannt zu haben.

Immer wieder kommen solche und ähnliche Fälle ans Licht. Ein bekannter Fall ist beispielsweise der des syrischen Arbeiters Mustafa al-Recep, dessen Leiche 2019 in eine Decke eingewickelt in einen Orangenhain bei Adana geworfen wurde. Er war zuvor bei einem Arbeitsunfall, den viele auch als Arbeitsmord bezeichnen, ums Leben gekommen. Diese bekannten Fälle sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs und zeigen, wie Großgrundbesitzer und Unternehmer in der Türkei die Arbeitskraft von Migrant:innen bis zum Letzten ausbeuten, um die Menschen anschließend „wegzuwerfen“. Im ANF-Interview bestätigte Ercüment Akdeniz, Journalist und Experte für die Arbeitsbedingungen von Migrant:innen, dass solche Vorfälle keine Einzelfälle seien.

Die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle hat stark zugenommen. Insbesondere migrantische Arbeiter:innen sind davon betroffen. Warum ist das so?

Nach der Einführung des Lizenzvergabesystems in Zonguldak, also nach der Privatisierung der zuvor staatlichen Unternehmen, ging der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen zurück. Dadurch entstand dort eine mafiöse Struktur. Bestimmte Kapitalgruppen, insbesondere solche, die mit der MHP oder verschiedenen anderen Gruppierungen in Verbindung standen und schnell wachsen wollten, schossen wie Pilze aus dem Boden. Die illegalen Minen können folgendermaßen beschrieben werden: Minen oder Steinbrüche werden sogar in illegalen Wohnsiedlungen ausgehoben. Hügel werden aufgegraben. Bei meinem Besuch von Zonguldak habe ich tatsächlich zahlreiche illegale Minen gesehen, deren Eingänge sich beispielsweise am Rande von Straßen und unter Brücken befinden.

Andererseits spielt auch die gesellschaftliche Struktur von Zonguldak in diesem Zusammenhang eine Rolle. Die Tradition der Minenarbeit, die vom Vater auf den Sohn vererbt wurde, ist inzwischen aus Zonguldak verschwunden.

Warum?

Nach dem Arbeitsmord in Soma zum Beispiel wird dort nur der Mindestlohn gezahlt. Es ist daher schwierig geworden, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, die ohnehin nicht in diese illegalen Minen hinabsteigen wollen, da es an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz mangelt.

Es braucht jedoch Menschen, die hier arbeiten und keine andere Wahl haben, als ihr Leben zu riskieren. Das sind bereits migrantische Arbeitskräfte. In Zonguldak sind es nicht Menschen aus Syrien, sondern aus Afghanistan, die in diesem Bereich arbeiten. Dahinter steckt natürlich eine Geschichte. Diejenigen, die aus verschiedenen Regionen Afghanistans kommen, wissen im Voraus, wo sie arbeiten werden. Dies haben wir auch beim Untergang des Bootes im Wan-See gesehen. Es war klar, wo diese Menschen arbeiten würden, in welcher Werkstatt, in welcher Provinz und wo sie schlafen würden.

Natürlich können die Sanktionen sehr hart sein, wenn ein Arbeiter sein Leben verliert, insbesondere wenn es sich um einen Bürger der Republik Türkei handelt und die Fabrik keine Lizenz hat oder die Mine illegal ist. Wenn es sich jedoch um einen Migranten handelt, wird dies irgendwie geregelt, wie im aktuellen Fall. Deshalb hat man begonnen, illegalisierte Einwanderer:innen bevorzugt einzusetzen. In den illegalen Minen in Zonguldak und auch in allen anderen Sektoren herrscht im Allgemeinen ein sehr brutales Arbeitsregime. Die Angehörigen, sofern sie hier sind, können sich in der Regel nicht beschweren, da sie andernfalls abgeschoben werden. Sie sind schutzlos, rechtlos, gefährdet und werden permanent bedroht oder abgeschoben, denn der Mechanismus der Korruption reicht von den Sicherheitskräften an der Grenze über die Schleuser bis hin zu den Chefs der Unternehmen.

Handelt es sich bei dem Fall von Zonguldak also um keinen Einzelfall?

Ja. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie viele migrantische Arbeiter auf Baustellen sterben und im Beton begraben werden oder wie viele Menschen bei der Arbeit auf dem Feld sterben und einfach in eine Ecke geworfen werden. Diese Verbrechen zeigen die Notwendigkeit einer erneuten Untersuchung von anonymen Friedhöfen, Todesfällen, Obduktionen und Polizeiberichten. Hier liegt eine politische Verantwortung vor. Es ist unklar, ob dem Parlament ein Untersuchungsantrag vorgelegt wird oder ob die Parteien zusammenkommen werden, aber es besteht eine große Verantwortung. Dies muss angegangen werden, da diese Ereignisse auffällig zugenommen haben und nicht mehr versteckt werden können. Hier herrscht starker Rassismus, der bedeutet, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft über andere gestellt werden. Jeder, der von außerhalb kommt, wird rassifiziert und als eine Art Untermensch behandelt, unabhängig vom Herkunftsland. Es gibt Bürger und Einheimische, dann gibt es diejenigen, die illegal über die Grenze kommen und als Fremde behandelt werden, die weniger wert sind. Auf der einen Seite will man nicht, dass sie die Grenze überqueren, es wird sogar eine Mauer gebaut, die Migrant:innen scheinbar daran hindern soll, obwohl es sich in Wirklichkeit um ein Filtersystem handelt.

Was meinen Sie mit „Filtersystem“?

Es geht darum, so viele Arbeitskräfte, wie man wünscht, über die Grenze zu bringen. Diese Illegalität, Marginalisierung oder rassistische Ausgrenzung führen zu Folgendem: Migrant:innen, die all diese Barrieren überwunden haben, sind darauf angewiesen, als Subproletariat alles in Kauf zu nehmen, sogar den Tod. Früher wurde so vor allem mit kurdischen Arbeitskräften umgegangen, heute sind es die Migrant:innen. Es wird ein Keil zwischen die einheimischen Arbeiter:innen und die migrantischen Arbeiter:innen getrieben, und da letztere einer extremen Ausgrenzung ausgesetzt sind, lassen sie alles über sich ergehen, um wenigstens einen Arbeitsplatz zu haben. Dies ist das neue Migrationsregime des Kapitalismus. Das gibt es nicht nur in der Türkei, sondern in vielen Teilen der Welt, aber in der Türkei zeigt es sich auf eine sehr markante Weise.

Seit der Machtübernahme durch die AKP wurden offiziell 32.000 Menschen bei Arbeitsunfällen getötet. Davon sind 900 Flüchtlinge oder Migranten. Das ist eine sehr hohe Zahl. Natürlich ist die Hauptfrage, wie viele von diesen Fällen überhaupt erfasst wurden. In Bezug auf migrantische oder einheimische Arbeiter, die in diesen illegalen Minen arbeiten, müssen wir leider sagen, dass es normalerweise keine Nachrichten darüber gibt, wenn sie „normal“ sterben. Wenn man diese Ereignisse aber am Ausmaß der Gewalt misst, dann sieht man, dass hier ein sehr ernstes Problem vorliegt. Denn es gibt Arbeiter, die aufgrund von Berufskrankheiten und der Vernachlässigung der einfachsten Vorsichtsmaßnahmen, die man treffen kann, sterben.

Es sollte hinzugefügt werden, dass es nicht nur in Zonguldak, sondern auch in Kınık und Izmir illegale Minen gibt. Kleine Kinder leben unter furchtbaren Bedingungen, und einheimische und migrantische Arbeiter sterben Seite an Seite. Der Ausweg liegt in ihrer gemeinsamen Organisierung und ihrem gemeinsamen Kampf. Auch hier muss man leider den Gewerkschaften ein sehr schlechtes Zeugnis ausstellen. Ihnen geht es nur um Beiträge, oder sie treiben den Nationalismus voran. Das passt den Bossen gut in den Kram. Ich denke, das tun sie in Komplizenschaft mit ihnen.

Dieser schreckliche und unsichere Transfer von migrantischer Arbeitskraft führt zu immer mehr Todesfällen. Dies ist das Ergebnis einer Strategie der globalen Migrationssteuerung, in die die Türkei eingebunden ist. Was tun Arbeiterorganisationen, Gewerkschaften und demokratische Kräfte gegen diese Strategie? Das ist die Frage, die sich jeder stellen sollte.