Bittere Ausbeutung von Saisonarbeiter:innen in der Türkei
Um billige Exportschlager wie Haselnüsse und Kirschen zu produzieren, werden Saisonarbeiter:innen in der Türkei bis zum letzten ausgebeutet. Kinderarbeit ist an der Tagesordnung.
Um billige Exportschlager wie Haselnüsse und Kirschen zu produzieren, werden Saisonarbeiter:innen in der Türkei bis zum letzten ausgebeutet. Kinderarbeit ist an der Tagesordnung.
In deutschen Supermärkten werden insbesondere Kirschen und Haselnüsse aus der Türkei verkauft. Diese Produkte sind das Ergebnis brutaler Ausbeutung von Saisonarbeitskräften. Jedes Jahr beginnt der Ausbeutungszyklus der Saisonarbeiter:innen im Frühling und endet erst im Oktober. Oft handelt es sich um vertriebene Kurd:innen, die je nach Erntesaison bestimmter Obst- und Gemüsesorten von Ort zu Ort ziehen müssen. Auf Lastwagen werden sie an Orte gebracht, die sie noch nie zuvor gesehen haben – Orte, an denen ihnen keinerlei Rechte gewährt werden, nicht einmal Nahrung.
95 Prozent der Saisonarbeitskräfte sind Kurd:innen
Diese Praxis betrifft keine Minderheit. Etwa 3,6 Millionen Menschen in der Türkei und Nordkurdistan sind von der Ausbeutung in Saisonarbeit betroffen, von denen nur 600.000 offiziell registriert sind. 95 Prozent von ihnen sind Kurd:innen. Sie stammen insbesondere aus Städten wie Riha (tr. Urfa), Dîlok (Antep), Wan und Agirî und arbeiten ohne jede Sicherheit oder Versicherung. Ohne sie wäre die Landwirtschaft in Anatolien nicht möglich. Trotz dieses entscheidenden Beitrags werden sie in Bezirken wie Sakarya immer wieder zum Ziel rassistischer, immer wieder auch tödlicher Angriffe.
Kinderarbeit weit verbreitet – bis zu fünf Millionen in den Sommermonaten
Gerade der Sektor der Saisonarbeit wird von Kinderarbeit getragen. In der Türkei und Nordkurdistan werden nach Angaben von Initiativen für das Jahr 2022 zwei Millionen Kinderarbeiter:innen vermutet. Die Zahl steigt in den Sommermonaten laut Berichten des Netzwerks ISIG, das sich für die Gesundheit und Sicherheit von Werktätigen einsetzt, auf bis zu fünf Millionen an. Hunderttausende dieser Kinder sind im Alter von 6 bis 14 Jahren. 45 Prozent der Kinderarbeiter:innen arbeiten in der Saisonarbeit auf den Feldern für Obst, Nüsse und Gemüse. Die Kinderarbeit resultiert aus den katastrophalen Bedingungen und extrem niedrigen Löhnen, die den Familien für ihre Saisonarbeit gezahlt werden. So ist jedes Familienmitglied gezwungen, mitzuarbeiten, während die Großgrundbesitzer und Unternehmen beide Augen zudrücken. Der Staat hat sogar Kinderarbeit für über 14-Jährige legalisiert. So sind Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren zu 18,7 Prozent bei einer Arbeit angemeldet. Diese Zahl spiegelt jedoch nicht das reale Ausmaß wider, da der Großteil der Kinderarbeit irregulär ist. Im Jahr 2021 kamen nach offiziellen Statistiken 62 Kinderarbeiter:innen bei der Arbeit ums Leben.
„Die Saisonarbeitskräfte fordern die Einhaltung ihrer verbrieften Rechte“
Der Agrarexperte Asrın Keleş bereitet derzeit den „Bericht zur Bewertung der Lebensbedingungen von Saisonarbeitern in der Landwirtschaft“ vor. Er sprach über die Probleme der Saisonarbeiter:innen. Keleş erklärte, dass die Saisonarbeiter:innen in der Landwirtschaft in der Regel im April nach Zentralanatolien kommen und bis Oktober/November in Zelten auf den Feldern vor den Städten bleiben. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zur landwirtschaftlichen Produktion. „Wir bereiten derzeit einen Bericht zur Bewertung der Lebensbedingungen der landwirtschaftlichen Saisonarbeiter vor. Gemeinsam mit den Arbeitern diskutieren wir über die Probleme, die sie erleben, und über Lösungsvorschläge. Die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, um die es in diesem Bericht geht, fordern eine Änderung der Bedingungen und die Einhaltung ihrer gesetzlich verbrieften Rechte.“
„Die Saisonarbeiter:innen erhalten nicht einmal sauberes Wasser“
Keleş prangerte die Lebensbedingungen der Saisonarbeiter:innen an: „Diese Menschen müssen so schnell wie möglich Zugang zu sauberem Wasser erhalten. Die Lager, in denen Saisonarbeiter in der Landwirtschaft leben, sind weit davon entfernt, menschenwürdige Lebensbedingungen zu bieten. Die Menschen sind gezwungen, auf dem Gelände zu leben, die sich bei jedem Regen in Seen verwandeln. Die Gebiete sind mit Müll übersät. Die behelfsmäßigen Toiletten sind gesundheitsgefährlich. Die lokalen und zentralen Verwaltungen sollten sich darum bemühen, bessere Bedingungen für diese Bürgerinnen und Bürger zu schaffen, die in diesen Zelten leben müssen. Der Zugang zu primären Gesundheitsdiensten, insbesondere zu Impfungen, Familienplanung und Gesundheitserziehung, ist für die Menschen in diesen Lagern schwierig und stark eingeschränkt. Ich kann ganz klar sagen, dass die Gesundheitsbehörden die Zelte nicht besuchen. Auch die Schulbildung von schulpflichtigen Kindern wird nicht berücksichtigt."
„Das Schicksal der Saisonarbeiter:innen wird ignoriert“
Keleş forderte, dass die Arbeiter:innen in Containerhäusern statt in Zelten untergebracht werden müssten und dass die Bereitstellung menschenwürdiger Lebensbedingungen ein grundlegendes Menschenrecht sei. „Sowohl die Haltung der Gewerkschaften als auch der Nichtregierungsorganisationen und der politischen Parteien ist unzureichend. Es wird nicht ausreichend auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass unsere Menschen unter gesünderen und menschenwürdigeren Bedingungen leben und dass Kinderarbeit verhindert wird.“