Wieder ist ein kurdischer Journalist in die Fänge der türkischen Justiz geraten. Der Freelancer Celalettin Yalçın ist am Donnerstag in Istanbul wegen eines seit mehr als sechs Jahren andauernden „Terror“-Verfahrens verhaftet worden. Es habe Fluchtgefahr bestanden, weil Yalçın gegen ein zuvor verhängtes Ausreiseverbot verstoßen habe, teilte die 37. Große Strafkammer Istanbul mit. Wie der Journalist trotz Ausreisesperre das Land verlassen haben soll, dazu äußerte sich die für lange Freiheitsstrafen gegen Oppositionelle berüchtigte Kammer nicht. Yalçıns Verteidigung wies die Darstellungen des Gerichts zurück und hat Beschwerde gegen die Entscheidung angekündigt.
Gegen Celalettin Yalçın und dutzende weitere Personen aus dem Großraum von Istanbul wird wegen des angeblichen „Terror“-Verdachts ermittelt. Das sich seit Februar 2017 hinziehende Verfahren richtet sich gegen Aktive und Handelnde pro-kurdischer Politik und Zivilgesellschaft. Über 70 Menschen aus den Reihen der Parteien HDP und DBP und der Frauenbewegung TJA hatte die Istanbuler Oberstaatsanwaltschaft damals festnehmen lassen und später Anklage erhoben. Yalçın gehörte zu dem Zeitpunkt dem Parteirat der HDP an. Seither befand er sich eigenen Angaben nach permanent im Fokus der türkischen Behörden. Im August 2021 machte er öffentlich, von Personen, die sich als Polizisten ausgaben, in Istanbul-Sancaktepe verschleppt und misshandelt worden zu sein.
Spuren der Misshandlung: Celalettin Yalçın nach seiner Entführung im Sommer 2021 durch mutmaßliche Polizisten. Der Fall ist bis heute nicht juristisch verfolgt worden | Foto: MA via Evrensel
Zur Festnahme Yalçıns kam es am Mittwoch im Istanbuler Stadtteil Esenyurt im Zuge einer sogenannten GBT-Abfrage. GBT steht für „Genel Bilgi Toplama“ und ist eine 2002 von der türkischen Polizei eingeführte Überprüfungstechnologie für Identitätsdokumente. Dabei handelt es sich um eine Datenbank mit Informationen zu gesuchten Personen sowie Straf- und Verdachtsmeldungen von Polizei und Gendarmerie, um Angaben zu bestehenden Haftbefehlen, bereits früher durchgeführten Verhaftungen, Ausreisesperren, Wehrdienstentzug oder -verweigerung sowie Steuerhinterziehung zu hinterlegen. Auch enthält das System subjektive Notizen der Polizei ohne rechtliche Bedeutung zu den betroffenen Personen. Im GBT-System werden auch Informationen über vermeintlich „verdächtige“ Personen aufgezeichnet, gegen die nicht strafrechtlich ermittelt wird.
Türkei – größtes Gefängnis für Journalisten
Die Türkei gehört weltweit zu den repressivsten Staaten gegenüber Medienschaffenden. Nach Angaben des in Amed ansässigen Journalistenvereins Tigris-Euphrat (Dicle Fırat Gazeteciler Derneği, kurz: DFG) befinden sich derzeit mindestens 64 Medienschaffende in türkischen Gefängnissen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von RSF rangiert die Türkei auf Platz 165 von 180.