Kurdische Medienschaffende seit sechs Monaten ohne Anklage in Haft

Die Medien in der Türkei sind unter dem AKP/MHP-Regime nahezu gleichgeschaltet. Nur noch wenige Journalist:innen bemühen sich trotz massiver Repression um eine unabhängige Berichterstattung. 16 von ihnen sind deshalb seit Juni ohne Anklage im Gefängnis.

Die Medienlandschaft in der Türkei galt einmal als vielfältig. Nach bald 20 Jahren Erdoğan-Regentschaft ist davon kaum noch etwas übriggeblieben: Kritische Berichterstattung gilt als ein Minenfeld, mindestens 95 Prozent des Journalismus sind gleichgeschaltet. Nur wenige kurdische und linke Medieneinrichtungen bemühen sich trotz massiver Repression um eine unabhängige Berichterstattung. So erklärt sich auch, warum das Regime bei ihnen die Zügel immer wieder weiter anzieht. Mehr als 80 Journalistinnen und Journalisten befinden sich derzeit in der Türkei hinter Gittern. Bei den meisten handelt es sich um Medienschaffende in der Tradition der freien kurdischen Presse. Sie stehen im Zentrum der Repression in der Türkei und werden systematisch mit Terrorverfahren überzogen, um sie auf diese Weise domestizieren.

Die Politik des „zum Schweigen bringen“ ist bereits seit den 90er Jahren gültig. Es wurde eine Atmosphäre der Angst geschaffen, in der sogar extralegale Hinrichtungen an kurdischen Medienschaffenden, deren Berichterstattung außerhalb der Regierungsperspektive stand, zur Tagesordnung gehörten. Die Methoden der Unterdrückung mögen sich gewandelt haben – statt dem erzwungenen Verschwindenlassen aus dem Leben werden kritische Medienschaffende für Jahre eingesperrt. Was gleichgeblieben ist, ist der Mut kurdischer Medien, trotz allem gegen die Herrschenden standzuhalten und über die Geschehnisse zu berichten.


Schlag gegen führende Journalist:innen

„16 dieser mutigen Menschen, die sich der kurdischen Presse verschrieben haben, befinden sich inzwischen auf den Tag genau sechs Monate ohne Anklage im Gefängnis“ – das sagte die Ko-Vorsitzende des Journalistenverbands DFG, Dicle Müftüoğlu, am Freitag bei einer Kundgebung in der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakir). Die Zusammenkunft, die vor dem Justizpalast stattfand, wurde unterstützt von der Journalistinnenplattform Mezopotamya (MKGP) sowie in der Region aktiven politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Bei den Verhafteten handelt es sich um die Direktorin der Frauennachrichtenagentur JinNews, Safiye Alagaş, den Ko-Vorsitzenden von DFG, Serdar Altan, den Redakteur der Nachrichtenagentur MA, Aziz Oruç, die beiden Redakteure der kurdischsprachigen Zeitung Xwebûn, Mehmet Ali Ertaş und Zeynel Abidin Bulut, den Moderator und ehemaligen MA-Redakteur Ömer Çelik, die Moderatorinnen Neşe Toprak und Elif Üngür, die Kameraleute Mazlum Doğan Güler, Ibrahim Koyuncu, Abdurrahman Öncü, Suat Doğuhan, Ramazan Geciken, Lezgin Akdeniz und Mehmet Şahin sowie um Remziye Temel, Buchhalterin von Piya Production.

Engagement für kurdische Medien: „Pressearbeit“ für PKK

Sie alle werden in zwei Hochsicherheitsgefängnissen in Amed festgehalten, ihnen wird die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zur Last gelegt. Als politische Gefangene unterliegen sie zudem besonders schweren Haftbedingungen. Die türkischen Behörden werten ihr Engagement für kurdische Medien als „Pressearbeit“ für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Dennoch liegt weiterhin keine Anklageschrift gegen sie vor. 

„Die freie Presse beugt sich nicht“

Für Dicle Müftüoğlu, die als Redakteurin für MA arbeitet, ist klar: „Es existieren keine Beweise für angebliche Straftaten. Das juristische Vorgehen gegen unsere Kolleginnen und Kollegen ist reinste Willkür, die Vorwürfe sind konstruiert und ihre Verhaftung ist politisch motiviert.“ In Ländern, in denen keine Meinungsfreiheit herrscht, würden Medienschaffende ohnehin die größte Risikogruppe darstellen. Deshalb gehörte es gerade unter einem Regime, das von der Koalition aus AKP und MHP geführt wird, mittlerweile zur Norm, das kritische Berichterstattung in Terrorismus umgewidmet wird, um die Medien zum Schweigen zu bringen. Gedanken- und Ausdrucksfreiheit seien jedoch die Grundlage des Journalismus, so Müftüoğlu weiter. „Da vor allem die kurdischen Medien oppositionell berichten, sind sie auch am stärksten von Repression betroffen.“ Die DFG-Vorsitzende hatte sich vor einem Transparent mit der Aufschrift „Die freie Presse beugt sich nicht“ aufgestellt, auf dem auch die Fotos von insgesamt 26 inhaftierten Journalist:innen abgebildet waren – nach dem ersten Repressionsschlag im Juni waren Ende Oktober zehn weitere kurdische Medienschaffende unter Terrorvorwürfen verhaftet worden.

„Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit“

Müftüoğlu bezeichnete die Operation gegen ihre Kolleg:innen als „Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit“ und forderte die türkische Justiz auf, die verhafteten Journalist:innen umgehend freizulassen. Außerdem kündigte sie an: „Die kurdische Presse wird den Weg, den ihr Vorkämpfende wie Musa Anter und Gurbetelli Ersöz geebnet haben, weiter gehen. Wir lassen uns nicht abschrecken, Freiheit für den Journalismus.“