KON-MED stellt Forderungen an CDU-Chef Merz

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz will in die Türkei reisen und Recep Tayyip Erdoğan treffen. Der kurdische Dachverband KON-MED mahnt in einem offenen Brief, die Menschenrechtslage in dem Land ganz oben auf der Gesprächsagenda zu positionieren.

Friedrich Merz reist zu Erdoğan in die Türkei

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz wird in der kommenden Woche zu politischen Gesprächen in die Türkei reisen. Wie der Spiegel am 5. September unter Berufung auf Unionskreise berichtete, wird Merz auf der Reise, die vorrangig seinen außenpolitischen Anspruch verdeutlichen soll, in Ankara den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan treffen. In Istanbul plane man einen Austausch mit dem dortigen Bürgermeister Ekrem Imamoğlu.

Die Reise sei Merz’ eigene Idee gewesen, heißt es in dem Bericht weiter. „Auf dem Themenzettel stünden alle »aktuell relevanten Themen«, von der Nato über das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union bis zum Krieg Russlands gegen die Ukraine und dem Flüchtlingsabkommen, das die Türkei 2016 noch unter der Ägide der damaligen Kanzlerin Angela Merkel mit der EU geschlossen hatte.“ Hinweise, ob und in welchem Umfang auch die Menschenrechtslage in der Türkei und der Krieg in Kurdistan zur Sprache kommen wird, finden sich in dem Artikel nicht.

Die Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED) reagierte darauf überrascht. In einem offenen Brief, der von Emine Ruken Akca und Kerem Gök, den Ko-Vorsitzenden des bundesweiten Dachverbands von etwa 250 kurdischen Einrichtungen und Organisationen, unterzeichnet wurde, mahnte der Verband den CDU-Chef an, die Menschenrechtslage in der Türkei ganz oben auf der Agenda zu positionieren:

Sehr geehrter Herr Merz,

Sie reisen am 17. September zu politischen Gesprächen in die Türkei. Dabei ist auch ein Treffen mit Staatspräsident Erdoğan vorgesehen. Auf Ihrer Agenda stehen essentielle Themen, darunter die europäisch-türkischen Beziehungen einschließlich des Flüchtlingsabkommens. 

Die Europäische Union hat der Türkei im Rahmen dieses Abkommens bisher zehn Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dieser Deal wird als Erfolgsmodell gepriesen und sogar als Blaupause für Abkommen mit weiteren Staaten angeführt. Berichte von Menschenrechtsorganisationen zeigen jedoch, dass das Abkommen ursächlich für gravierende Rechtsverletzungen von Geflüchteten ist. Das verheerende Ergebnis für Europa ist, dass es die Erwartung generiert hat, mit Managementmaßnahmen Migration bzw. Flucht reduzieren zu können, und so rechtsextremer Gesinnung den Aufstieg ermöglicht hat. Damit ist der Deal gescheitert.

Problematisch im Bereich europäisch-türkischer Beziehungen ist auch die fehlende Umsetzung von Urteilen des EGMR und der Beschlüsse des Europarates. Einschlägige Beispiele sind Osman Kavala und Selahattin Demirtaş, aber auch und vor allem Abdullah Öcalan. Letzterer ist schwerster Folter in Form von Isolationshaft ausgesetzt. Die Berichte des Antifolterkomitees des Europarates sprechen hier eine eindeutige Sprache.

Herr Öcalan ist jedoch unerlässlich für eine politische Lösung der kurdischen Frage, Grundvoraussetzung für Frieden in der gesamten Region, welche - so zeigen es die Asylstatistiken - nicht unerheblich ist für Flucht nach Europa, insbesondere auch nach Deutschland.  Der Spiegel schreibt in dem Artikel zu Ihrer Reise, dass unklar ist, „ob und in welchem Umfang auch die Menschenrechtslage in der Türkei zur Sprache kommen wird oder Fragen der deutschen Innenpolitik, etwa der umstrittene Wahlkampf Erdoğans von 2023 in Deutschland oder der Einfluss der türkischen Religionsbehörde auf den hiesigen Islamunterricht“. Diese Themen sind essentiell und gehören priorisiert.

Die Menschenrechtslage in der Türkei ist katastrophal, die Rechtsstaatlichkeit nicht gegeben. Im Rule of Law Index lag die Türkei 2023 auf Rang 117. Im Kontext von Menschenrechten sei auch auf die Berichte der Independent International Commission ofInquiry on the Syrian Arab Republic der Vereinten Nationen hingewiesen, die umfassende Menschenrechtsverletzungen in den von der Türkei besetzten Gebieten Syriens dokumentiert.

Darüber hinaus sind in der Türkei nach wie vor mehrere zehntausend Menschen aufgrund politischer Verfolgung inhaftiert. Recep Tayyip Erdoğan hat jegliche Kontrolle über die Gewaltenteilung an sich gerissen und hemmt nicht nur einen möglichen Demokratisierungsprozess, sondern hat alle Grundsätze eines Rechtsstaats abgeschafft. Diese Entwicklung hat das gesellschaftliche Gefüge der Türkei über Generationen hinweg nachhaltig und massiv beschädigt. Nicht nur in der Türkei spaltet Erdoğan die Gesellschaft, auch hierzulande polarisiert er stark. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 sind nur ein Beispiel. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, ihr Parteikollege Michael Stübgen, bezog hier klar Stellung, als es um die Gründung der DAVA-Partei ging. „Ich sehe nicht, warum ein Ableger der AKP das Ziel verfolgen sollte, sich zum Wohle der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen“, meinte er. „Eine solche Partei wird ausschließlich im Sinne ihrer türkischen Mutterpartei agieren und das passt nicht in die deutsche Parteienlandschaft“. Schon der Name erinnere nicht ohne Zufall an den islamischen Begriff Da'wa, der für eine Missionierung von Nichtmuslimen stehe, sagte Stübgen. In diesem Zusammenhang ist auch der Einfluss der türkischen Religionsbehörde auf den hiesigen Islamunterricht zu beleuchten.

Der islamistische Terroranschlag in Solingen zeigt einmal mehr, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) mit seiner menschenverachtenden Gesinnung keineswegs besiegt ist, sondern weiterhin eine akute Gefahr auch hier in Deutschland darstellt. An dieser Stelle darf nicht übersehen werden, dass insbesondere von Organisationen wie DAVA, DITIB, Milli Görüş und den Grauen Wölfen in Deutschland eine zunehmende Gefahr ausgeht. Es sind jene Organisationen, die zur Verbreitung extremistischer Ideologien beitragen. Es ist auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan selbst, der die Terrororganisation Hamas als Freiheitskämpfer bezeichnet und in den türkischen Besatzungszonen in Nordsyrien islamistische Proxy-Truppen unterhält. Zum Schutz demokratischer Grundwerte und der Sicherheit der Gesellschaft ist es unerlässlich, dass Politik und Sicherheitsbehörden endlich entschieden gegen islamistische Strukturen und Gefährder vorgehen.

Zusammenfassend ist zu sagen:

Wer Migration begrenzen will, muss Fluchtgründe beseitigen. Dafür erforderlich ist:

- ein sofortiger Stopp der völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei auf Syrien und die Kurdistan-Region des Irak sowie der Rückzug aller Truppen von dort

- die Implementierung aller Beschlüsse des EGMR und des Europarates 

- Friedensverhandlungen mit der PKK bzw. Abdullah Öcalan, wie auch jüngst von 69 Nobelpreisträger:innen gefordert

Wir hoffen im Namen der demokratischen Öffentlichkeit, dass Ihr Besuch beabsichtigt, zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in der Türkei beizutragen.


Foto: Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse gegen eine kurdische Demonstration in Silopiya, September 2023 © MA