Vor einem türkischen Gericht in der nordkurdischen Metropole Amed (türk. Diyarbakir) ging am Mittwoch der Prozess gegen die Journalistin Beritan Canözer mit der Urteilsverkündung zu Ende. Wegen „Propaganda für eine Terrororganisation” wurde die Korrespondentin der feministischen Nachrichtenagentur JinNews zu fast zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Die einzige Grundlage für das Strafmaß bilden ein Like sowie vier Kommentare beim Kurznachrichtendienst Twitter.
Persönlich anwesend war Canözer, die seit ihrem 19. Lebensjahr für die feministisch-kurdische Presse arbeitet, im Gerichtssaal nicht, sondern wurde von ihrem Verteidiger Resul Tamur vertreten. Bereits beim zweiten Verhandlungstag Anfang des Jahres wies die 25-Jährige die Anschuldigungen gegen sie zurück und erklärte, dass die Abschriften der ihr zum Vorwurf gemachten Beiträge erst nach ihrer polizeilichen Vernehmung als Beweismittel der Ermittlungsakte hinzugefügt wurden. „Die Polizei legte mir lediglich Fotos mit Abbildungen der Kommantare vor, woraufhin ich bejahte, dass es meine seien. Ohnehin waren meine Social-Media-Accounts zum Zeitpunkt der Einleitung des Ermittlungsverfahrens geschlossen. Erst viel später reaktivierte ich unter anderem auch mein Twitter-Konto, allerdings waren meine Beiträge geschützt und nicht öffentlich.“ Somit habe die Polizei „besondere Anstrengungen” unternommen, um Einsicht in das Twitter-Profil zu nehmen und somit eine Begründung für das Verfahren gegen Canözer zu finden, ergänzte Rechtsanwalt Resul Tamur heute. Die beanstandeten Kommentare seien zudem nicht strafbar.
Das sahen die Richter am 11. Schwurgerichtshof von Diyarbakir anders und verurteilten die Journalistin zu einer Haftstrafe von einem Jahr, zehn Monaten und 15 Tagen. Tamur kündigte bereits Berufung an.
Repression - Alltag für kurdische Journalist*innen
Staatliche Repression, Anklagen wegen vermeintlicher Terrorunterstützung oder Präsidentenbeleidigung, Behinderungen bei der Recherche und Bedrohungen auf der Straße - all das gehört in der Türkei zum Alltag kritischer Journalist*innen. Wer aus den kurdischen Regionen des Landes berichtet, steht unter einer besonderen Beobachtung von Behörden und Justiz. Beritan Canözer ist nicht das erste Mal im Visier der türkischen Willkürjustiz. Im Jahr 2018 wurde ein Terrorverfahren wegen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ gegen sie eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von siebeneinhalb bis 15 Jahren Haft, vergangenen Oktober wurde die Journalistin freigesprochen. Mit 21 Jahren saß Canözer bereits einige Monate wegen „Terrorverdacht” im Gefängnis. Die Begründung: Sie sei bei einer Personenkontrolle „nervös” gewesen.